So kompliziert und undemokratisch sind die Vorwahlen in den USA

Nach dem deutlichen Sieg von Joe Biden in South Carolina sind die Vorwahlen der demokratischen Partei wieder völlig offen. Dafür sorgt auch ein Wahlsystem das weder transparent noch sonderlich demokratisch ist. Adam Baltner und Reinhard Lang über idyllische Caucuses, prominente Superdelegierte und unterirdische Wahlbeteiligung.

Im November 2020 finden die nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA statt. Donald Trump steht wieder zur Wahl. Die potenziell verheerenden Folgen seiner Wiederwahl betreffen nicht nur die US-amerikanischen StaatsbürgerInnen. Gewinnt er, würde seine katastrophale Umwelt- und aggressive Außenpolitik weiter gehen.  Gespannt verfolgen Menschen weltweit daher die gerade angelaufenen Vorwahlen der demokratischen Partei. Sie sind der erste Schritt der Entscheidung, wer im November gegen Trump kandidiert.

Die Antwort auf diese Fragen hängt gänzlich vom Ergebnis des Nominierungsparteitages der demokratischen Partei (DNC) ab, auf dem die Ergebnisse des Vorwahlprozesses zusammengetragen werden. Dieses System ist unübersichtlich, selbst für US-AmerikanerInnen nur schwer durchschaubar – und ist ein demokratiepolitisches Problem.

Februar – Juni 2020: Vorwahlen in den einzelnen Bundesstaaten

Der Nominierungsprozess beginnt mit den Vorwahlen in den 50 Bundesstaaten, Washington, D.C., und den Außengebieten. Hier geben WählerInnen ihre Stimme für eineN demokratischen PräsidentschaftskandidatIn ab. Obwohl das zunächst einfach klingen mag, gibt es zwei Faktoren, die diese erste Stufe des Wahlprozesses verkomplizieren. Zum einen haben die Bundesstaaten unterschiedliche Abstimmungsverfahren, eine einheitliche Regelung auf Staatsebene gibt es nicht. Zum anderen werden die KandidatInnen nur indirekt gewählt. In den Vorwahlen entscheidet sich, wie viele „verpflichtete Delegierte“ (pledged delegates) jedeR KandidatIn erhält, die auf der DNC für ihn/sie stimmen sollen. Jeder Bundesstaat hat eine bestimmte Anzahl an Delegierten, die von der Bevölkerungszahl abhängt.

Wie unterschiedlich die Abstimmungsverfahren sein können, sieht man anhand der vier Bundesstaaten, in denen die Vorwahlen im Februar 2020 stattfanden. Während es in Iowa und Nevada sogenannte Caucuses gab, hielten New Hampshire und South Carolina Primaries ab.

Bild: Reinhard Lang

Eine Primary wird durch eine geheime Wahl entschieden. Dabei können am Wahltag alle registrierten WählerInnen abstimmen. Es gibt unterschiedliche Arten von Primaries: open, semi-open, semi-closed und closed. In einer open primary dürfen alle Wahlberechtigten an den Vorwahlen jeder Partei teilnehmen, während sie sich bei einer semi-open primary für die Teilnahme entweder an der demokratischen oder der republikanischen Primary entscheiden muss. An einer semi-closed primary dürfen registrierte WählerInnen der jeweiligen Partei sowie registrierte Parteilose (independents) teilnehmen. Um in einer closed primary abstimmen zu können, müssen die Wahlberechtigten sich zuvor für die Teilnahme an der Primary einer Partei entscheiden und auch registrieren.

Der Caucus: Keine Idylle

In den meisten Bundesstaaten finden die Vorwahlen als Primaries statt. Zusätzlich gibt es aber in acht Bundesstaaten Caucuses. Ein Caucus ist eine Kombination aus Wahlkampfveranstaltung, öffentlicher Versammlung und tatsächlicher Wahl. Da die Landesverbände der demokratischen Partei den genauen Ablauf und die Details des Caucus ihres jeweiligen Bundesstaats bestimmen, unterscheiden sich die einzelnen Caucus-Vorwahlen voneinander. Grundsätzlich folgen alle Caucuses jedoch einem ähnlichen Ablauf.

Am Wahltag treffen sich die Wahlberechtigten der jeweiligen Wahlbezirke in einem großen Raum, etwa einer Kirche oder dem Turnsaal einer Schule. Dort versuchen die UnterstützerInnen einzelner KandidatInnen durch kurze Reden, die unentschlossenen WählerInnen zu überzeugen. Dann steht der erste Wahlgang an. Gewinnt einE KandidatIn weniger als 15 Prozent der TeilnehmerInnen, werden ihm/ihr keinE Delegierten zugewiesen und die AnhängerInnen können sich im zweiten Wahlgang einer anderen Gruppe anschließen. Am Ende des Caucus werden die Stimmen der jeweiligen Gruppe ausgezählt und berechnet, wie viele Delegierte jedeR KandidatIn proportional gewonnen hat.

Bild: Reinhard Lang

Oft stellt die internationale Berichterstattung das Caucus-Format als eine lustige, quasi-idyllische Volkstradition dar. Doch so unterhaltsam ist es nicht. Denn der Caucus ist schlicht keine geheime Abstimmung. Insbesondere in kleineren Wahlbezirken ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass man bei einem Caucus Bekannte aus der Gemeinde, KollegInnen oder sogar seineN eigeneN ChefIn trifft.

Der Einfluss des Terminkalenders

Weil es keine einheitliche Regelung für die Vorwahlen gibt, werden sie von den einzelnen Bundesstaaten an verschiedenen Tagen abgehalten. Die ersten zwei Vorwahlen – in Iowa und New Hampshire – stehen im medialen Fokus. Sie gelten als Barometer für die einzelnen KandidatInnen.

Doch eigentlich wird es erst am Super Tuesday (heuer am 3. März) wichtig, dann stehen 13 Vorwahlen an. Während es in den ersten vier demokratischen Vorwahlen nur 155 Delegierte zu gewinnen gibt, geht es dann um 1.344. Nach dem Super Tuesday gibt es noch 2480 pledged delegates zu gewinnen. Doch in der Regel stellt sich an dem Tag einE KandidatIn als klareR SpitzenreiterIn heraus. Oft entwickelt sich daraus eine unaufhaltsame Dynamik, die ihn/sie zur Nominierung führt.

Bild: Reinhard Lang

Die Democratic National Convention

Um die Nominierung der Demokratischen Partei zum/zur PräsidentschaftskandidatIn zu offiziell zu gewinnen, benötigt einE KandidatIn die Unterstützung der Mehrheit der Delegierten, die auf dem Nominierungsparteitag, der DNC, wahlberechtigt sind. Dieses Jahr findet er von 13. bis 16. Juli statt.

Insgesamt gibt es 3.979 pledged delegates, die im ersten Wahlgang der DNC wahlberechtigt sind. Diese Delegierten werden den KandidatInnen basierend auf den Ergebnissen der Primaries und Caucuses der einzelnen Bundesstaaten zugewiesen. Daher hoffen die KandidatInnen, shcon in den Vorwahlen eine Mehrheit von 1.991 pledges delegates zu erreichen.

Erreicht keineR der KandidatInnen im ersten Wahlgang diese magische Zahl, gibt es einen zweiten Wahlgang. In diesem Fall gibt es zusätzlich zu den pledged delegates die so genannten superdelegates. 771 gibt es von ihnen, sie sind Parteiinsider und VIPs und können frei entscheiden, für welcheN KandidatIn sie abstimmen wollen.

Bild: Reinhard Lang

Eine der aktuell spannendsten Fragen ist, wie die superdelegates in einer hypothetischen zweiten Runde wählen werden. Die Frage würde vor allem dann spannend, falls der radikale Kritiker des Parteiestablishments Bernie Sanders eine relative aber keine absolute Mehrheit der pledged delegates gewinnt. Theoretisch hätten sie dann einen einfachen Mechanismus, Sanders zu stoppen. Doch wenn sie sich gegen den Kandidaten mit den meisten Stimmen und den wohl engagiertesten AnhängerInnen setzen würden, könnten das der Partei irreparabel schaden – und Donald Trumps Wiederwahl nahezu garantieren.

Die Funktion der Undurchschaubarkeit

Ob das demokratische Establishment so weit gehen würde, um Sanders zu stoppen, ist noch völlig unklar. Der Nominierungsprozess bleibt dennoch undemokratisch: die Undurchschaubarkeit des ganzen Verfahrens. Diese Undurchschaubarkeit vermittelt ein Gefühl von Machtlosigkeit und führt zu einer viel niedrigeren Teilnahmerate als bei Präsidentschaftswahlen. So stimmten bei der open primary in South Carolina am Samstag knapp 500.000 Menschen ab, bei den Präsidentschaftswahlen 2016 waren es knapp zwei Millionen – und auch da betrug die Wahlbeteiligung gerade einmal 67 Prozent. Die Wahlbeteiligung bei der Vorwahl betrug damit nicht einmal 20 Prozent.

Das heißt nicht, dass das System absichtlich undurchschaubar gemacht wird – vielmehr ist es Produkt des US-amerikanischen Föderalismus und anderer, teils willkürlicher historischen Faktoren. Aber da eine höhere Teilnahmerate den Einfluss der Partei selbst über den Prozess schwächen könnte, hat sie keinen Grund, ihn durchschaubarer zu machen.

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