Wenn Party zu Protest wird: Die Rave-Szene im Widerstand von Tiflis bis Berlin

Vom Club auf die Straße: Die Rave- und Techno-Gemeinde beweist gerade, dass es ihr nicht nur um Spaß geht. In Europas Techno-Hauptstadt Berlin regt sich ebenso Widerstand wie in Tiflis, Georgien, wo in den letzten Jahren eine lebendige Clubszene entstanden ist. Die Proteste sind gigantisch groß und explizit politisch, richten sich gegen Rechtsextreme und staatliche Repression. Warum das weniger überraschend ist, als viele denken, erklärt Magdalena Augustin.

Vor einigen Wochen ging ein Foto aus dem georgischen Club „Bassiani“ weltweit durch die sozialen Medien. Zu sehen waren schwer bewaffnete Polizeieinheiten, die während einer Abendveranstaltung das Lokal stürmten. Vorgeblich, um den von der Regierung angeprangerten Drogenhandel zu bekämpfen.

Bedrohung von Freiräumen als Funke

Sowohl den Clubbetreiber_innen als auch den Gästen war jedoch klar, dass es um weit mehr ging. Das Bassiani ist dafür bekannt, sich gegen homophobes, sexistisches oder rassistisches Verhalten auszusprechen, es gilt als Freiraum und Ort des Miteinanders.

In den folgenden Tagen versammelten sich über 10.000 Menschen auf den Straßen von Tiflis. Und trotzten harter Polizeirepression. Mittlerweile ging es um mehr als nur die Solidarität mit den von Kontrollen betroffenen Clubs. Sondern darum, welche Ideen und Lebensentwürfe in diesen Zentren im wahrsten Sinne des Wortes gefeiert werden.

Raven gegen rechts

Während sich in Georgien tausende unter dem Motto „We dance together – we fight together“ zusammenschlossen, formierte sich in Berlin ein Bündnis aus über 120 Clubs und Techno-Kollektiven, um den Aufmarsch der rechten AfD am 27. Mai zu verhindern. Mit provokanter und klarer Sprache wurde zum Ausdruck gebracht, dass keine Kompromissbereitschaft besteht, wenn eine rechtsaußen-Partei zusammen mit Pegida und der neuen Rechten die Straße für sich beanspruchen will. Geworben wurde mit „Hauptsache es knallt – keine halben Sachen – AfD wegbassen“. Eine ebenso plakative wie selbstironische Anspielung auf den Drogenkonsum der Szene.

Gleichzeitig trifft der Aufruf den Nerv von  konservativen und rechtsextremen Kreisen. Er zeugt von Selbstbewusstsein und vermittelt: „Wir sind frech, durchgeknallt und haben keine Angst vor euch“. Auch wenn elektronische Musik und deren Anhänger_innen von Beginn an für Experimentierfreude, Ausgelassenheit und Kollektivität gestanden haben, ist es dennoch bemerkenswert welches Mobilisierungspotential die internationale Clubszene aktuell beweist. In Berlin waren am Sonntag mehr als 70.000 (!) gegen die rechtsextreme AfD auf der Straße.

Verbindende Leidenschaften

Beschäftigt man sich näher mit der Geschichte der elektronischen Musikszene, wird nachvollziehbar, wieso rechtsextreme und konservative Gesellschaftsentwürfe so vehement abgelehnt werden. Die Tanz-Community lebt von verbindenden Leidenschaften wie Musik, Ekstase oder auch Drogenkonsum. Gemeinsamkeiten, die also nicht primär etwas mit Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht zu tun haben. Internationalismus und Grenzüberwindungen waren immer schon Teil der Rave- und Techno-Kultur.

Das Miteinander steht im Vordergrund, schließlich wollen alle eine gute Party feiern, Stress und Konfrontationen werden vermieden. Freiräume bieten die Möglichkeit, neue Umgangsformen zu erproben oder inklusive Konzepte vorzuleben. Auch wenn manchmal nicht alle an den Türsteher_innen vorbeikommen: Einmal drin, sollte sich jeder und jede im Club frei fühlen, ohne dabei andere zu verletzen oder zu diskriminieren. Natürlich beherzigen nicht immer alle diese Ideale gleichermaßen. Entscheidend ist jedoch der Versuch, zumindest auf begrenztem Raum den Horizont auf mehreren Ebenen zu erweitern und kollektive Erfahrungen möglich zu machen. Sind Techno-Clubs und ihre Szene also per se links?

Mit Nazis feiern macht keinen Spaß 

Die Rechte würde sich jedenfalls schwer tun, Anknüpfungspunkte an die Rave-Szene zu finden. Steht Techno und House doch in unmittelbarer Verbindung zur Homosexuellen-Szene, proklamiert sexuelle Freizügigkeit und Grenzenabbau statt Mauererrichtungen. Nicht umsonst drohte die AfD dem Berliner Techno-Club Berghain bereits mit der Kürzung der Öffnungszeiten aufgrund von Kontrollverlust und Drogenkonsum.

Trotzdem sollte Jugendkultur als Kampffeld der Rechten ernst genommen werden. Die Identitäre Bewegung (IB) präsentiert seit Jahren Neonazismus im jungen und hippen Gewand. Linke und alternative Lokale werden vermehrt von Rechtsextremen angegriffen und auch in Tiflis waren es Neonazis, die eine Gegendemonstration zu den Tanzdemos organisierten.

Aufbegehren der Jugend

Rechte Hardliner stehen alternativen Jugendkulturen schon lange feindlich gegenüber. Schon die 68er-Bewegung ist für sie ein Fehler der Geschichte. „1968″ ist der Inbegriff für das Aufbegehren der Jugend und den konsequenten Ausdruck davon in Musik und Alltagskultur.

Die 68er-Bewegung steht für die Weiterentwicklung revolutionärer Ideen, koloniale Befreiungskämpfe, die sexuelle und feministische Emanzipation und schlussendlich auch für die Entnazifizierung. Erst im Jänner 2018 meinte der FPÖ-Politiker Herbert Kickl, die 68er-Bewegung versuchte im Namen des Fortschritts zerstörerisch zu wirken: Sie höhle die staatliche Identität und die Identität des Familienverbundes aus.

Die FPÖ-ÖVP Regierung ist der erklärte Gegenentwurf zu den Werten der 68er. An deren Stelle sollen „Orientierung, Geborgenheit und Heimat“ treten. Kickl und Konsorten wünschen sich in die Zeit vor 1968 zurück.

Motor gegen rechte Ideen

Keine kulturelle Szene, sei sie noch so alternativ oder „undergroundig“, ist immun gegen rechtes Gedankengut. Es ist kein Automatismus, dass Partybegeisterte progressiv-links denken Das Bewusstsein ist der entscheidende Faktor. Wer sich bewusst gegen rechte oder reaktionäre Ideen einsetzt, macht einen Schritt in Richtung einer anderen Gesellschaft.

Mobilisierungen wie jene in Tiflis oder in Berlin öffnen Raum für Debatten und Bewusstseinsbildung in tendenziell fortschrittlichen Jugendkulturen. Dafür ist es höchste Zeit. Sonst werden rechte Regierungen kulturelle Begegnungsorte schließen, bevor wir  überhaupt merken, dass diese auf der Abschussliste stehen. Die aktuellen Beispiele zeigen jedenfalls, dass das politische Potential subkultureller Szenen nicht zu unterschätzen ist und außerdem beachtliche Menschenmassen angesprochen werden können. Und es ist erfreulich zu sehen, dass in beide Richtungen, nämlich von der Feierszene und der Linken, Annäherungen möglich sind und zu neuem Leben erwachen.

 

Magdalena Augustin ist Kunsthistorikerin und außerdem seit einigen Jahren als DJ und Veranstalterin mit dem Wiener Kollektiv „Gassen aus Zucker“ tätig. Sie ist Doktorandin an der TU Wien (Stadtkultur und Öffentlicher Raum) und forscht zu Orten alternativer Kulturproduktion im deutschsprachigen Raum.

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