Vom Nein zum Ja?  Konzessionen der griechischen Regierung für einen ESM-Kredit 

Die Vorschläge der griechischen Regierung vom 9. Juli unterscheiden sich nur geringfügig von den Forderungen der GläubigerInnen vom 26. Juni, die die Mehrheit der griechischen WählerInnen mit dem Referendum am 5 Juli. ablehnte. 

Wie bereits seit ihren Vorschlägen vom 22.6. ist die griechische Regierung bereit, die Mehrwertsteuer zu erhöhen – eine verteilungspolitisch regressive Maßnahme, die Syriza zuvor abgelehnt hatte (eine der „roten Linien“). Dabei hat die griechische Regierung inzwischen alle Forderungen der GläubigerInnen akzeptiert, bis auf den Mehrwertsteuersatz für die Hotels, den die Gläubiger von gegenwärtig 7 Prozent auf 23 Prozent erhöhen wollen, die griechische Regierung dagegen „nur“ auf 13 Prozent. Inzwischen hat letztere sogar die Abschaffung des 30 prozentigen Rabatts auf die Mehrwertsteuer auf den griechischen Inseln akzeptiert, die sie noch am 30.6., als sie erstmals einen Kredit im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beantragte, zurückgewiesen hatte. Die Mehrwertsteuermehreinnahmen sollen insgesamt 1 Prozent des BIP betragen.

GläubigerInnen-Forderungen akzeptiert

Die griechische Regierung hat auch in Bezug auf die Rentenreform die Forderungen der GläubigerInnen akzeptiert. Rentenkürzungen sollen bereits 2015 Einsparungen in Höhe von ¼ bis ½ Prozent des BIP und 2016 Einsparungen in Höhe von 1 Prozent des BIP erbringen. Zu diesem Zweck soll die Frühverrentung eingeschränkt und das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre (oder 62 Jahre bei 40 Beitragsjahren) gesteigert werden. Die Solidarzuwendungen (EKAS) sollen bis Ende 2019 auslaufen. Für die oberen 20 Prozent der ZuwendungsempfängerInnen sollen sie bereits in diesem Jahr auslaufen. Die Krankenkassenbeiträge der RentnerInnen sollen von 4 Prozent auf 6 Prozent gesteigert werden, und dabei sollen auch die Zusatzrenten fortan in die Berechnung einbezogen werden. Und noch einige Maßnahmen mehr. Insgesamt entsprechen die jetzt von der Regierung angebotenen Rentenreformen genau denen, die von den GläubigerInnen vor dem Referendum gefordert wurden. Auch die Privatisierungspläne der GläubigerInnen hat die Regierung vollständig akzeptiert. Neben den Privatisierungen sind zahlreiche weitere Liberalisierungsmaßnahmen geplant. Die Vorschläge der griechischen Regierung entsprechen also fast genau den Forderungen der GläubigerInnen, die sie noch eine Woche zuvor abgelehnt hatte.

Mandat durch „Oxi“

Tsipras hat argumentiert, die griechische Regierung hätte kein Mandat, die Eurozone zu verlassen. Aber hat die Regierung nach dem Referendum ein Mandat, diese Sparmaßnahmen mit den GläubigerInnenn zu vereinbaren?

Sicherlich hat Tsipras schon vor dem Referendum deutlich gemacht, dass er mit den GläubigerInnen weiter verhandeln will. Er hat argumentiert, mit einem „Nein“ beim Referendum würde sich die griechische Verhandlungsposition verbessern. Hat sich die griechische Verhandlungsposition verbessert? Wenn man die aktuellen Reformpläne anschaut, wird man diese Frage verneinen müssen. Was erhält Griechenland als Gegenleistung der GläubigerInnen für all diese Konzessionen? Der Antrag auf einen ESM-Kredit dient lediglich dem Zweck, den laufenden Refinanzierungsbedarf des griechischen Staates zu decken, und zwar nach dem Antrag vom 30. Juni für zwei Jahre, nach dem Antrag vom 8 Juli für drei Jahre. In den Briefen von Tsipras und Tsakalotos vom 8. und 9. Juli an die Gläubiger wird dieser Finanzbedarf noch nicht einmal konkret beziffert. In den Medien wird allerdings eine Zahl von mehr als 53 Milliarden Euro kolportiert. Das entspricht nahezu den Berechnungen in der Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF vom 26. Juni. Dort hatten MitarbeiterInnen des IWF den Finanzbedarf des griechischen Staates für den Zeitraum von Oktober 2015 bis Ende 2018 auf 51,9 Milliarden Euro beziffert. Dabei dürfte die Schätzung des IWF wie alle seine vorangegangenen Prognosen für Griechenland wieder zu optimistisch sein. Denn für die Wiederauffüllung des Hellenic Financial Stability Fund (HFSF), der der Bankenrekapitalisierung dienen soll, sind in der Aufstellung des IWF nur 5,9 Milliarden Euro vorgesehen. Dies dürfte aber nicht reichen, zumal sich die Finanzlage der Banken in den letzten zwei Wochen drastisch verschlechtert hat. Außerdem rechnet der IWF für dieses Jahr mit null Prozent Wachstum des BIP; nach der Schrumpfung des BIP im ersten Halbjahr dürfte es jedoch kaum noch möglich sein, diese auszugleichen. Es ist also für das Jahr 2015 mit Negativwachstum zu rechnen. Und für 2016 rechnet der IWF bereits mit 2 Prozent Wachstum, für 2017 mit 3 Prozent. Das scheint sehr hoch gegriffen. Im besten Fall würde ein ESM-Kredit in der genannten Höhe also gerade dazu reichen, die vertraglich vereinbarten Zins- und Tilgungszahlungen auf die griechische Staatsschuld für die nächsten drei Jahre zu bestreiten, wahrscheinlich aber nicht einmal das.

Es handelt sich hier demnach um eine kurzfristige Umschuldung. Die Atempause wäre etwas länger als vor dem Auslaufen des zweiten „Hilfsprogramms“, als nur über einen Überbrückungskredit für wenige Monate verhandelt wurde. Der ESM würde gewissermaßen die Zahlungen an den IWF und die EZB übernehmen. Die Verhandlungskonstellation für einen längerfristigen Schuldenschnitt oder eine längerfristige Umschuldung würde sich dadurch eventuell vereinfachen, wobei freilich noch nicht ausgemacht ist, dass der IWF und die EZB nicht doch längerfristig im Boot bleiben.

Die Frage eines Schuldenschnitts bzw. einer längerfristigen Umschuldung scheint aber auch jetzt wieder ausgeklammert oder nicht verbindlich behandelt zu werden. Dabei war dies einer der Gründe für die Zurückweisung der Gläubigerforderungen durch die griechische Regierung vor dem Referendum. Noch wichtiger aber: Finanziellen Spielraum für eine alternative Wirtschaftspolitik würde die griechische Regierung durch diese Vereinbarung mit den GläubigerInnenn nicht erhalten. Wie die früheren Memoranden würde diese Vereinbarung lediglich verhindern, dass die GläubigerInnen ihre Forderungen abschreiben müssen. Außerdem würde verhindert, dass Griechenland unter dem Druck der GläubigerInnen in den nächsten Tagen eine neue Währung einführen muss. Umfangreiche Investitionsprogramme bzw. ein keynesianisch orientiertes deficit spending, die eigentlich notwendig wären, um die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, sind bei den geplanten Primärüberschüssen jedenfalls nicht möglich. Die Regierung könnte zwar endlich ihre Ankündigungen wahr machen und die Reichen steuerpolitisch stärker zur Kasse bitten, aber ob das angesichts der jetzt geplanten rezessiven Maßnahmen und angesichts des Investitionsstreiks der KapitalistInnen ausreicht, um Handlungsspielräume zu gewinnen, darf bezweifelt werden.

Frage nach dem Warum?

Warum lässt sich die griechische Regierung auf genau die Maßnahmen ein, die sie bis vor kurzem bekämpft hat? Offenbar funktioniert die Erpressung, die mit der finanziellen Strangulierung durch die Troika und die Eurogruppe verbunden ist. Sie hat bereits im Februar funktioniert, denn ohne die finanzielle Strangulierung hätte Syriza wohl nicht das Abkommen vom 20. Februar unterzeichnet. Sie funktionierte im Juni, wie die Vorschläge der Regierung seit dem 22. Juni zeigen. Und sie funktioniert auch nach dem Referendum, das bereits Makulatur zu sein scheint. Selten ist der Widerspruch zwischen Kapitalismus und Demokratie derart offensichtlich gewesen. Die Erpressungen werden fortgesetzt werden, falls es zu einem ESM-Kredit kommt. Dieser wird in Raten ausgezahlt, und die Raten werden wie bisher an die Überprüfung der griechischen Regierungspolitik durch die Gläubiger gebunden sein. Das alte Spiel geht also weiter.

Es gäbe freilich eine Alternative, die darin bestünde, wie vom linken Flügel in Syriza gefordert, die Banken unter öffentliche Kontrolle zu bringen, aus der Eurozone auszusteigen und gegenüber den KapitaleignerInnen in die Offensive zu gehen. Vor diesem Weg schreckt die Regierung zurück. Er wäre sicherlich sehr riskant und führte ins Ungewisse. Mit der Konzessionspolitik verspielt Syriza jedoch die Unterstützung, die sie gegenwärtig noch bei jenen hat, die nichts oder jedenfalls nicht mehr viel zu verlieren haben.

Die Linke scheitert, wenn sie sich zu weit von den Massen entfernt. Und sie kann sich auf zwei Arten von den Massen entfernen und scheitern: Indem sie im Verhältnis zu den geschichtlichen Möglichkeiten zu weit voranprescht oder indem sie diese nicht ausnutzt und ihnen hinterher hinkt.

Thomas Sablowski, ist promovierter Politikwissenschafter und wissenschaftlicher Referent für politische Ökonomie der Globalisierung des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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