Vier Lehren aus der griechischen Niederlage

Ungläubigkeit. Rechtfertigungsversuche. Erklärungssuche. Einsicht. Enttäuschung. Resignation. Wut. Das sind Stadien, die viele Menschen in den letzten Tagen angesichts der Ereignisse rund um Griechenland wohl durchgemacht haben. Von fünf auf 35 Prozent in Wahlen, auf 61 Prozent im Referendum mit einer klaren Anti-Austeritätspolitik – und dann unvermittelt der komplette Rückzieher mit schlimmeren Folgen als alles, was zuvor auf dem Tapet war. 
Agnes Peterseil zieht vier Lehren aus der griechischen Niederlage für all jene, die den Weg zu politischer Veränderung beschreiten wollen.

1. Syriza hat gezeigt, dass man mit einer progressiven Agenda Menschen begeistern und mehrheitsfähig werden kann.

Wie auch immer die Geschichte nun weitergeht – und Syriza wird nun wohl um diese Mehrheitsfähigkeit stark kämpfen müssen – in den letzten Monaten wurde klar, dass an einem historischen Wendepunkt eine Mehrheit einer Bevölkerung eines europäischen Landes das neoliberale Mantra vom unumgänglichen Gürtel-Enger-Schnallen nicht mehr hinnahm, und das vorerst ohne Putsch, ohne Revolution, sondern moderiert durch eine gute Portion Populismus, durch Sympathie und das glaubhafte Versprechen von Veränderung. Der schlimme Part daran ist, dass dieses Versprechen nicht eingehalten wurde, und das ist dann besonders schlimm, wenn die Begeisterung und die Hoffnung vorher so groß und so einzigartig waren. Doch Fakt ist: Begeisterung für ein progressives Programm, für einen Bruch mit dem „Es geht nicht anders“, war da gewesen.

2. Politik ist ein ideologisches, eben politisches, Spiel, keines von logischen, beispielsweise ökonomischen Argumenten.

Obwohl es natürlich gut und wünschenswert ist, die eigenen Positionen so zu untermauern, darf nicht in die Naivität verfallen und geglaubt werden, die politischen GegnerInnen durch inhaltliche Debatte überzeugen zu können. Es ist ein politischer Machtkampf um die herrschende Ideologie und bei derartigen Kämpfen ist es noch nie um Argumente gegangen. Es scheint, dass Syriza zumindest ein Stück weit diesen Fehler beging und in den Verhandlungen auf dieses Ziel (mit-)hinarbeitete. Im Bewusstsein der eigenen inhaltlichen Sicherheit muss der Drang, den GegnerInnen zu erklären und sie zu überzeugen, hintangestellt werden und taktisches Handeln priorisiert werden.

3. Die VertreterInnen der neoliberalen Agenda schrecken vor nichts zurück.

Echte Zusammenarbeit auf Augenhöhe oder zumindest auf einer wie auch immer gearteten gemeinsamen Basis ist nicht möglich. Gespräche und Verhandlungen müssen natürlich wahrgenommen werden, aber immer mit diesem Faktum im Hinterkopf und daher mit genau derselben Bereitschaft – und guter Vorbereitung auf die Folgen – alle Drohungen wahrzumachen. Bluffen funktioniert nicht. Wer im letzten Augenblick vor den Konsequenzen der eigenen Handlungen zurückschreckt und sich erpressen lässt, erfährt nicht nur keinen Erfolg sondern vernichtet auch mühsam aufgebautes Vertrauen. Eine aus der Ferne leicht dahingesagte Diagnose, und nichts desto trotz eine Gretchenfrage, die wir uns alle stellen müssen: Sind wir bereit, unser Ding wirklich bis in die letzte Konsequenz durchzuziehen? Nur wenn wir dies mit Ja beantworten können werden wir Erfolg haben. Auf Glück, Mitleid oder ein Zur-Vernunft-Kommen der Gegenseite darf nicht gehofft werden.

4. Daher müssen wir nicht nur bereit sein, was wir beginnen auch zu Ende zu führen, sondern auch den Mut haben, die Regeln auf dem Weg dahin zu brechen und nach unserem eigenen Kompass zu handeln.

Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, geheime Deals, die später gebrochen werden, unfaire Behandlung, all das kann schonungslos und ohne Verzögerung nach außen getragen werden, auch wenn das bisher nicht der Usus elitärer Politikzirkel war und manchen Interessen zuwider läuft. Dabei ist natürlich klar, dass die meisten (Massen-)Medien nicht auf unserer Seite stehen. Doch wir können versuchen, ihre Sensationsgier zu nutzen. Auch Marathonverhandlungen eins gegen achtzehn können unterbrochen oder dringend notwendige nationale Einzelmaßnahmen schon umgesetzt werden, obwohl die Gegenseite zum Warten auf ein „Gesamtpaket“ drängt. Zu glauben, dass es einen Sympathie- oder sonstigen Bonus bringt, gute Miene zu bösen Rahmenbedingungen zu machen, und es zum Ziel führen kann, nur innerhalb des Regelwerks zu den Konditionen der Gegenseite alle Mittel auszuschöpfen, ist fatal.

Wir müssen unsere Hausaufgaben machen

Durch den Rückzieher der EntscheidungsträgerInnen von Syriza wurde viel von dem gewonnenen Momentum vernichtet. Viele Menschen in und außerhalb Griechenlands werden wieder in ein „Wahlen/ Parteien können eh nichts ausrichten“ zurückfallen, in ein „die Linke ist per definitionem nicht durchsetzungskräftig genug“, in ein „was willst du denen da oben, egal welcher Couleur, denn je noch glauben“. Da gibt es nichts daran zu beschönigen, höchstens zu erklären, zu entschuldigen. Es ist leicht, von außen die Fehler aufzuzählen. Der nächste, schwierigere Schritt für uns ist, aus ihnen zu lernen und diese Lehren umzusetzen. Denn Syriza ist vorerst gescheitert. Aber die neoliberale Agenda ist in der Krise. Nun unsere Hausaufgaben zu machen und trotz allem die Antworten auf diese Krise und einen Weg in eine Zukunft, in der ein gutes Leben für alle möglich ist, zu gestalten, ist unsere Aufgabe.

Agnes Peterseil ist Wirtschaftsstatistikerin und stellvertretende Vorsitzende von Der Wandel.

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