Die SPÖ hält es für eine kluge Idee, die FPÖ beim Thema Arbeitsmigration von rechts zu kritisieren. Damit fördert sie nicht nur Diskriminierung, argumentieren Sandra Stern und Benjamin Opratko. Sie schadet damit auch den Gewerkschaften – und jenen einheimischen Arbeitskräften, die sie zu schützen vorgibt.
Was stört den SPÖ-Blog „Kontrast“ an der verblichenen schwarz-blauen Regierung besonders? Dass sie zu viele Ausländer ins Land gelassen hat. Ein jüngst erschienener Artikel der „Kontrast Redaktion“ beginnt so: „Die Regierung des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz ist vor allem mit einer Forderung angetreten: Österreichs Grenzen für Migranten zu schließen. Doch ausgerechnet im ersten Jahr von Schwarz-Blau sind so viele Beschäftigte aus dem Ausland nach Österreich gekommen wie noch nie.“ Den Ton des Artikels gibt schon der Titel im Fellner-Stil vor: „Billig-Löhner erwünscht: Zuwanderung in den Arbeitsmarkt stieg unter ÖVP-FPÖ-Regierung auf Rekord-Niveau“
Es ist, das muss an dieser Stelle gesagt werden, nicht der einzige Vorwurf des Kontrast-Blogs gegenüber der Regierung. Aber es ist einer, über den wir reden müssen. Denn er reiht sich in eine schlechte sozialdemokratische Tradition ein. Wir kennen ihn schon, zum Beispiel vom ehemaligen Arbeiterkammer-Direktor Werner Muhm, der die „Arbeiterflut aus dem Osten stoppen“ wollte. Oder von Max Lercher, dem aktuellen Helden der SPÖ-Linken. Dieser hatte sich letztes Jahr, als er noch Bundesgeschäftsführer der SPÖ war, in einer Presseaussendung darüber empört, dass die FPÖ „150.000 Zuwanderer ins Land holt“. Das sei ein „Verrat am kleinen Mann“, den die FPÖ doch vor der „Massenzuwanderung“ (Zitat Lercher) zu beschützen vorgebe. Die Botschaft ist klar: Ausgerechnet die SPÖ-Linke, für die auch die vom SPÖ-Parlamentsklub bezahlte Kontrast Redaktion steht, will so offenbar FPÖ-WählerInnen zurückgewinnen.
Die Überlegung dahinter sieht so aus: Wenn „billige Arbeitskräfte“ ins Land kommen, nehmen sie „unseren“ ArbeiterInnen die Jobs weg und drücken ihr Einkommen. Migration sorgt für Lohndumping und deshalb sollte man sie unterbinden. Das Problem ist nicht nur, dass wir Ausgrenzung und Rassismus grundsätzlich ablehnen. Es ist auch sachlich Unsinn. Der Arbeitsmarkt funktioniert nicht so, wie ihn Lercher und die Kontrast-Redaktion beschreiben. Hier vier Grunde, warum das so ist.
1. Der Arbeitsmarkt ist kein Schuhkarton
Natürlich gibt es Lohndumping. Das betrifft etwa die Baubranche, die Reinigung, die industrielle Landwirtschaft, Tourismusindustrie und den Pflegebereich. Dort sind die Arbeitsbedingungen oft so schlecht und die Löhne so niedrig, dass Menschen mit einem österreichischen Pass nicht bereit sind, dort zu arbeiten. Grenzüberschreitend agierende Unternehmen nutzen das strategisch aus und umgehen oft staatliche Regelungen, etwa über die Entsenderichtlinie der EU.
Doch anders in der Vorstellung von Lercher und Kontrast, ist der Arbeitsmarkt kein Schuhkarton. Es gibt nicht eine fixe Anzahl an Arbeitsplätzen, die irgendwann erreicht ist, und dann ist der Karton voll. Stattdessen kann man sich den Arbeitsmarkt wie eine Torte mit vielen Schichten vorstellen. Es gibt unterschiedliche Branchen und Regionen, die sich grundsätzlich voneinander unterscheiden. In manchen ist das Lohnniveau höher, in anderen niedriger, in manchen suchen die Unternehmen Arbeitskräfte, in anderen nicht. Die unterschiedlichen Bereiche unterscheiden sich aber auch nach den Menschen, die dort vorwiegend arbeiten – und nach den Diskriminierungen die dort Realität sind.
2. Es sind die Unternehmen, die die Löhne drücken
In manchen Branchen arbeiten vor allem Menschen, die aus Nicht-EU-Ländern kommen. Die meisten von ihnen bekommen in Österreich nur Aufenthaltstitel, die es ihnen erlauben, für eine einzige Firma zu arbeiten. Sie sind damit vollkommen von ihrem Arbeitgeber abhängig. Immer wieder kommt es in diesen Branchen zu groben arbeitsrechtlichen Verletzungen, die Löhne sind oft skandalös niedrig, die Arbeitszeiten extrem lang.
Statt gleiche Bedingungen für alle hier Arbeitenden gibt es zig Abstufungen, Beschränkungen und Sonderregelungen. UnternehmerInnenlobbies haben sich über viele Jahre nicht, wie fälschlicherweise häufig behauptet wird, für offene Grenzen eingesetzt, sondern für eben genau diese Fragmentierung des Arbeitsmarkts. Und die Regierungen – ob rot-schwarz oder schwarz-blau – haben geliefert.
Es sind also nicht „Billiglöhner“, wie „Kontrast“ sie nennt, die arbeits- und sozialrechtliche Standards unterlaufen, sondern der Staat sorgt selbst dafür. Nach der SPÖ-Logik müsste man auch Frauen Lohndumping vorwerfen, weil sie in Niedriglohnbranchen arbeiten.
3. Die Gewerkschaft beschädigt sich selbst
Österreichs Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahrzehnten versucht, ihren Einfluss geltend zu machen und darüber zu bestimmen, wer in Österreich arbeiten darf und wer nicht. Seit dem Ende der Gastarbeiter-Ära versuchten sie auf diesem Weg den Lohndruck in den Griff zu bekommen: Nicht alle, die hier sind, sollen auch gegen Lohn arbeiten dürfen. Viele Menschen dürfen nur in bestimmten Berufen (zum Beispiel sogenannten „Mangelberufen“) tätig sein, andere gar nicht.
Die Gewerkschaft ist mit dieser Strategie nicht nur im Kampf gegen Lohndumping gescheitert – sie schießt sich auch selbst ins Knie. Denn bei den betroffenen zugewanderten ArbeiterInnen erzeugen die vielen strengen Regeln und Einschränkungen Angst. Angst, den Job zu verlieren, weil ihnen dann auch der Aufenthaltstitel weggenommen werden kann; im schlimmsten Fall Angst vor der Abschiebung. Diese Angst kann die Betroffenen lähmen. Dann akzeptieren sie schlechte Arbeitsbedingungen und miese Löhne, statt sich für ihre Rechte einzusetzen.
Diese Angst ist die größte Feindin gewerkschaftlicher Organisierung. Wer sich heute von links für eine noch restriktivere Migrationspolitik einsetzt, der schafft vor allem eines: Noch mehr Angst, und damit noch schlechtere Bedingungen für gewerkschaftliche Organisierung.
4. Gegen Lohndumping hilft nur eines: Solidarität organisieren
Wenn man den Arbeitsmarktzugang weiter beschränkt, verschwinden weder die Menschen, die bereit sind, unter miesen Bedingungen zu arbeiten, noch die globalen Ungleichheiten, die dazu führen, dass sie dazu bereit sind. Der Effekt ist stattdessen, dass man die unterschiedlichen Lohnabhängigen gegeneinander ausspielt – und sie noch erpressbarer und verwundbarer macht.
Wer Lohndumping wirklich bekämpfen will, braucht eine andere Strategie. Und die gibt es. Gewerkschaften in der Schweiz und den USA sind dafür ein gutes Beispiel. Sie haben früher das getan, was Max Lercher, Kontrast und andere heute fordern: Sie meinten, die Interessen der „einheimischen“ Arbeitenden schützen, indem sie die Rechte von ArbeitsmigrantInnen ignorieren. Vor etwa 20 Jahren haben sie jedoch erkannt, dass sie sich damit selbst das Wasser abgraben, und ihre Strategie gewechselt. Das war kein einfacher Prozess und er ist bis heute nicht abgeschlossen. Aber er war notwendig, um Solidarität unter den Lohnabhängigen zu organisieren und die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen. Und ja, die Verknappung von Arbeitskraft ist eine der wichtigsten Strategien, um die eigenen Interessen gegenüber der Kapitalseite auch durchsetzen zu können. Aber nicht durch Ausgrenzung bestimmter ArbeiterInnengruppen, sondern beispielsweise durch gewerkschaftliche Organisierung, die das Kapital etwa mit Streiks und Arbeitskämpfen unter Druck setzt.
In Österreich wären manche Beschränkungen ganz einfach abzuschaffen. Der sogenannte Bartenstein-Erlass etwa, durch den AsylwerberInnen nur Saisonarbeit leisten dürfen, könnte mit der Unterschrift eines Ministers/ einer Ministerin Geschichte sein. Dann könnten AsylwerberInnen in allen Branchen eine Beschäftigungsbewilligung erhalten. Doch das alleine reicht nicht aus. Es geht darum jenes System, das verantwortlich ist für die Überausbeutbarkeit und Erpressbarkeit von ausländischen Arbeitskräften, anzugreifen. Dafür bräuchte es BetriebsrätInnen, auch und besonders in den Bereichen, wo meist ausländische Arbeitskräfte die Drecksarbeit leisten. Es bräuchte Gewerkschaften, die diese Menschen als ArbeiterInnen sehen, deren Interessen sie vertreten wollen, und nicht als KonkurrentInnen oder LohndrückerInnen. Ganz bestimmt braucht es jedenfalls keine Sozialdemokratie, die Stimmung gegen MigrantInnen macht, indem sie ÖVP und FPÖ vorwirft, zu wenig gegen „Massenzuwanderung“ zu tun.