Vergewaltigungen aus dem Märchenbuch: Wenn ein „Nein” nicht reicht

Damit Opfer sexueller Gewalt besser durch das Strafrecht geschützt werden können, muss unmissverständlich gelten: Wer sich beim Sex über ein Nein hinwegsetzt, macht sich der Vergewaltigung schuldig. Doch der so simple wie entscheidende Grundsatz “nein heißt nein” wird immer wieder angegriffen – von Menschen, die in einer patriarchalen, frauenverachtenden Märchenwelt leben.

Es gibt tradierte Frauenbilder, die nicht wegzubekommen sind. Die Frau als Mädchen, die Frau als Mutter, die Frau in Pflege-Berufen, die Frau als Karrierefrau. All diese Bilder tragen viel Potential zum Unglücklichsein in sich für jene, die ihnen nicht entsprechen. Als junges Mädchen hat dies viel mit Äußerlichkeiten zu tun. Als Mutter muss frau erfüllt und darf bloß nicht unglücklich sein, denn das kommt einem persönlichen Versagen gleich. Frauen im Beruf der Krankenpflegerin dienen vor allem als Wichsvorlage und beruflich erfolgreiche Frauen sind kühl und berechnend. Soweit, so mühsam. Besonders perfide wird es allerdings, wenn es um Betroffene von sexueller Gewalt geht.

Denn hier gibt es ein vorherrschendes Bild von Vergewaltigung, das ungefähr so aussieht: Die beliebte, schöne und anerkannte Frau geht abends alleine nach Hause, als ihr in einer dunklen Gasse von zwielichtigen Gestalten aufgelauert wird. Sie versucht wegzulaufen, aber es gelingt ihr nicht. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für den strahlenden Ritter auf weißem Pferd, doch der ist leider verhindert.

Diese Form des sexuellen Übergriffs kommt vor, ist aber bei weitem die Ausnahme. Viel öfter sind Frauen durch sexuelle Übergriffe durch Männer aus ihrem Nahbereich betroffen, häufig in ihren eigenen vier Wänden, oft im Schlafzimmer. Und hier beginnt ein Grundverdacht – gegen Frauen.

Überwachungsstaat im Schlafzimmer?

Die simple Feststellung, dass das eigene Schlafzimmer mindestens so gefährlich ist wie die dunkle Seitengasse treibt auch einige Journalist_innen zur Weißglut. So etwa in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“. Sie erklärte jüngst das Schlafzimmer zu einem „gefährlichen Ort“. Aber nicht, weil es unfassbar ist, wie viele Frauen in ihrem Leben Opfer von Gewalt werden, nein, sondern weil es empörend sei, dass das Strafgesetz selbstverständlich auch für Handlungen im eigenen Schlafzimmer gelten sollte. Die Zeit-Autorin nimmt eine geplante Änderung im deutschen Sexualstrafrecht zum Anlass, um alarmistisch vor dem Überwachungsstaat zu warnen, der jeden Zentimeter des Intimlebens vermessen wolle.

Nun ist es aber so: die allermeisten Menschen wissen ganz gut, wenn im Intimleben oder beim Sex irgendetwas falsch läuft. Wenn die andere Person weint zum Beispiel. Oder wenn die andere Person wegpennt. Das ist für die meisten Personen ein Indikator, nicht einfach so weiterzumachen und zu tun als wäre nix. Simpel. Und da reden wir noch gar nicht davon, dass Sex natürlich nicht einvernehmlich ist, wenn sich jemand wehrt oder klar und deutlich nein (oder Synonyme wie „hör auf“ sagt). Das sind Überlegungen, die kleinen Kindern klarzumachen sind: Wenn jemand etwas nicht möchte und „nein“ sagt, dann mach das nicht. Oder in kurz: Nein heißt nein. Es ist wirklich frustrierend bei Feminismus immer wieder bei null anfangen zu müssen: Ja, Frauen dürfen leben. Ja, Frauen dürfen sich aussuchen, was sie mit diesem Leben machen. Nein, Frauen darf keine Gewalt angetan werden, weil irgendwelche Männer sich von ihrer schieren Existenz provoziert fühlen. Ja, Frauen dürfen Spaß an Sex haben. Nein, Frauen brauchen sich dafür nicht zu rechtfertigen. Nein, keine Lebensstilentscheidung rechtfertigt Gewalt, denn ja, Frauen dürfen existieren.

Konsens ist das Zauberwort

Konsens ist immer auch geprägt von Machtverhältnissen, Fehlentscheidungen und prekären Beziehungen zu anderen. Und doch zieht sich die Unterscheidung zwischen Konsens und Zwang durch alle Lebensbereiche, ist der Unterschied zwischen ihnen allen klar. In jedem anderen Zusammenhang ist das Prinzip von „nein heißt nein“ anerkannt. Nein, ich möchte das nicht kaufen. Nein, ich nehme diesen Job nicht an. Nein, ich möchte dorthin nicht mitfahren. Nein, ich möchte nicht mit dir befreundet sein. Diese Neins mögen andere als verletzend und gemein empfinden, aber niemand käme auf die Idee zu sagen „Ich war mir nicht sicher, ob du dein Nein so gemeint hast, deswegen habe ich dich jetzt trotzdem auf die Urlaubsreise dazu gebucht“. Nur wenn es um sexualisierte Gewalt geht, wird so getan, als wäre „nein heißt nein“ die große neue Erkenntnis des menschlichen Zusammenlebens.

Die Opfer sind schuld

Das führt uns zu einem weiteren Aspekt. Offensichtlich liegt es nicht am mangelnden Verständnis des simplen „nein heißt nein“-Prinzips. Vielmehr liegt es daran, dass man diesen Frauen nicht trauen kann. Denn diese würden das zum Anlass nehmen, sich haufenweise unliebsamer Männer zu entledigen. Denn so wie diese Hex… Frauen so drauf sind, reicht ein Fingerdeut und die heilige spanische Inquis… der Staatsapparat springt und verurteilt die armen Männer, die sich nur eine heiße Nacht gegönnt haben.

Denn das ist das Spiegelbild zum braven sittsamen „echten“ Vergewaltigungsopfer – die hysterische Falschbeschuldigerinnenhexe. Markenzeichen: Sie ist sexuell aktiv und verhält sich nicht still und erduldend. Sie ist nicht die Prinzessin, die vom Schimmerrüstungsprinzen errettet wird. Und das ist ein Problem, denn eine Frau, die keine Heilige ist, die von einem Mann errettet werden kann, muss notwendigerweise eine Hure sein, die diese Rettung nicht verdient. Jedes andere Erklärungsmodell würde nämlich die Männer nicht in den Mittelpunkt stellen. Das, meine Damen und Herren, nennt sich Patriarchat und es geht ihm sehr gut, danke der Nachfrage.

Die Situation ist komplexer als in Märchen

Die Welt ist kein Märchenbuch voller Ritter und Hexen. Doch die Gegner_innen von „nein heißt nein“ leben in einer misogynen Märchenwelt. In der Realität ist jede Situation einzigartig und diffizil. Es gibt Frauen, die schaffen es nicht, sich von ihren gewalttätigen Ehemännern zu trennen. Negiert das die Gewalt, die ihnen angetan wird? Es gibt Frauen, die haben 1.000 Nächte hintereinander großartigen Sex mit One-Night-Stand. Ist es dann ok, wenn der 1.001. One-Night-Stand sie vergewaltigt? Es gibt Frauen, die wild entschlossen sind, mit einem Typen Sex zu haben. Ist es dann verständlich, wenn der Typ einfach weitermacht, obwohl sie sich kurzfristig anders entscheidet? Und ja, es gibt Frauen, die erstmal schweigen, nachdem sie bei einem Vorstellungsgespräch intim angegriffen werden, weil sie Angst haben, den Job nicht zu bekommen. Bedeutet das, dass sie die Situation ausgenutzt haben? Und es gibt auch die Frauen, denen am Nachhauseweg in einer dunklen Gasse aufgelauert wird. Wenn sie erst sieben Jahre später darüber reden können, werden sie dann unglaubwürdiger?

Die Antwortet lautet: Nein. Immer. Egal, ob die betroffene Frau ein „Partygirl“ ist, wie die „Zeit“-Autorin nicht müde wird, im Fall Lohfink zu betonen. Egal, ob sie sexuell aktiv ist oder nicht. Egal, ob Sexarbeit ihr Beruf ist. Egal, ob sie trans ist. Egal, ob sie Beeinträchtigungen hat. Egal, ob sie alkoholisiert oder auf Drogen ist. Egal, welche Kleidung sie trägt und egal, was in welches Kleidungsstück hineingelesen wird. Egal, ob sie zuvor geflirtet hat. Egal, in welchem Verhältnis sie zum Täter steht. Ja, es ist auch egal, ob sie irgendwie sympathisch ist oder nicht. Nein heißt nein. Und Konsens heißt, dass es klar sein muss, dass alle Beteiligten ihre Zustimmung geben. Denn bei sexueller Gewalt geht es nicht um Lust, es geht um Macht. Es geht um Erniedrigung der Opfer, weil sie Frauen sind oder verweiblicht werden. Wer das nicht versteht, Sex und Gewalt nicht auseinander halten kann und seinen_ihren Sexualpartnerinnen grundsätzlich misstraut, sollte vielleicht einfach keinen Sex haben.

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Antifaschistin. Sie ist aktiv in der Offensive gegen Rechts und betreibt außerdem den Blog schmetterlingssammlung.net

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