Ukraine-Krieg: Welche linken Positionen wir jetzt brauchen

Eine erste Einschätzung der mosaik-Redaktion zum Ukraine-Krieg und den zentralen Konfliktfeldern, mit denen wir uns jetzt beschäftigen müssen.

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat uns alle schockiert. Einmal mehr müssen hunderttausende Menschen vor Bomben eines imperialistischen Krieges fliehen. Und als wäre das nicht schlimm genug, drehen Politiker*innen und Kommentator*innen an der Eskalationsspirale. Zum ersten Mal seit 1989 scheint eine militärische Konfrontation zwischen Atommächten möglich. Einige aktuelle Forderungen wirken so, als würden das manche sogar herbeiwünschen. All das zeigt: Uns stehen tiefgreifende Veränderungen und große politische Auseinandersetzungen bevor.

In dieser aufgeheizten Stimmung ist es umso wichtiger, linke Debatten und Positionen zu formulieren und Widerstand gegen die drohende Militarisierung unserer Gesellschaft zu leisten. Als Mosaik-Redaktion werden wir uns bemühen, unseren Teil dazu beizutragen. Hier lest ihr unsere erste Einschätzung über zentrale Konfliktfelder, mit denen wir uns jetzt beschäftigen müssen.

Aufrüstung: Für Anti-Militarismus und Neutralität

Neben Sanktionen lautet die Antwort auf den russischen Angriffskrieg derzeit: Militarisierung. Die europäischen Eliten setzen offen auf Aufrüstung und damit letztlich auf Krieg als Mittel der Politik. Nicht nur einzelne Länder, sondern auch das „Friedensprojekt” EU liefern Waffen an den ukrainischen Staat. Gleichzeitig werden gigantische gesellschaftliche Ressourcen mobilisiert, um die Armeen der NATO- und EU-Länder aufzurüsten. Deutschland stellt 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zur Verfügung, auch in Österreich wird das Budget des Bundesheeres aufgestockt. Die ohnehin schon aufgeweichte Neutralität wird in Frage gestellt – und erste Akteur*innen fordern eine Annäherung an die NATO.

Den Angriffskrieg des russischen Staates als solchen zu benennen und zu verurteilen ist als Ausgangspunkt für linke Analysen und Strategien notwendig. Gleichzeitig gilt es den Blick für die größeren Zusammenhänge zu wahren. Das bedeutet, den Krieg auch als Ergebnis einer Welt zu verstehen, die durch geopolitische Konflikte zwischen imperialistischen Mächten strukturiert ist. In der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung sollten wir uns daher an die Zeit des Kalten Krieges erinnern. Während der Konfrontation der Atommächte war Abrüstung die zentrale Forderung der Friedensbewegung und der internationalistischen Linken. Eine solche Position bedeutet jetzt, Rüstung und Militäraktionen sowie Waffenlieferungen an kriegsführende Parteien abzulehnen. Denn jede Aufrüstung befeuert den globalen Teufelskreislauf der Militarisierung weiter und führt uns weg von friedensorientierten Lösungen. 

Weit weg von der Front ist es immer leichter über Demilitarisierung zu reden, als wenn die Bomben der imperialen Aggression eine*n selbst bedrohen. Aus ukrainischer Sicht ist jede militärische Unterstützung willkommen. Es gibt hier für Linke keine einfache Position. Umso wichtiger ist daher, unsere Aufgabe, das große Bild und die Ambivalenzen in der internationalen Politik im Blick zu behalten, statt in das Kriegsgeschrei einzustimmen. Statt uns in der Konfrontation der Imperien auf eine Seite zu schlagen, müssen wir am Aufbau einer internationalen Friedensbewegung arbeiten.

Energiewende: Für den raschen Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen 

Putin finanziert den Angriffskrieg auf die Ukraine maßgeblich über den Export von Gas und Öl. Der Ukraine-Krieg bewirkt, was zahlreiche Klimakatastrophen bisher nicht vermochten: Eine Debatte darüber, wie wir die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden. Doch gleichzeitig droht der Krieg, den Ausbau fossiler Infrastruktur auf abstruse Weise zu legitimieren und einen fossilen Backlash einzuleiten. 

Gerade ist viel über den notwendigen Ausbau erneuerbarer Energien zu hören, doch die Rhetorik bleibt meist unverbindlich. Die tatsächlichen politischen Entscheidungen deuten in eine andere Richtung: ÖVP-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck will weiter an russischem Gas festhalten. Der deutsche grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck will sogar zwei neue Flüssiggasterminals bauen lassen. Mit Fracking-Gas aus den USA – und damit der Abhängigkeit von einer weiteren imperialen Großmacht – werden wir die Klimakrise nicht eindämmen können. 

Statt durch einen sozialverträglichen Umstieg auf erneuerbare Energien die Finanzierung des Krieges abzudrehen, fließt alles in Aufrüstung. Linke und Klimabewegung müssen in dieser Situation nicht nur Widerstand gegen die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen leisten, sondern für eine radikale Energiewende, die Drosselung energieintensiver Wirtschaftszweige und sozial abgesicherte Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs im privaten Bereich kämpfen. Dass dies möglich ist, zeigen Greenpeace und Fridays For Future in ihrem Sofortpaket Gas-Exit auf. Denn es ist die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, die die verheerende Logik imperialer Geopolitik erst mitproduziert und autoritäre Regime von Riad bis Moskau finanziert. 

Information: Für kritischen Medienkonsum

Der Ukraine-Krieg ist auch ein Informationskrieg. Massen an Information fluten das Netz, doch nicht alle Menschen sehen die gleichen Bilder. Russland setzt in der Ukraine bereits seit 2014 auf einen „hybriden Krieg“, der vielfältige Formen der Propaganda einschließt. Sie reicht von falsch zugeordnetem Videomaterial über Zensur bis zu Fake-News-SMS an Empfänger*innen in der Ukraine. Doch auch Informationen und Videos von pro-ukrainischen Accounts sind schwer einzuordnen. Sie inszenieren geschickt das Narrativ von „David gegen Goliath” und tragen zur Kriegsverherrlichung bei. Was echt ist, ist oft so schwer zu erkennen, dass auch namhafte Journalisten im Kriegstaumel leicht auf Falschinformationen hineinfallen.

Sich in dieser Situation zu orientieren, ist herausfordernd. Doch spätestens seit der sogenannten Facebook-Revolution im arabischen Frühling 2011 ist klar, welchen zentralen Stellenwert Online-Aktivismus hat. Für die Linke heißt das einerseits, dem Drang zu reißerischen Aussagen und einfachen Antworten nicht nachzugeben. Dazu gehört auch eine Distanzierung von hochproblematischen NS-Vergleichen. Andererseits sind wir gefordert, besonders kritisch und achtsam mit Informationen umzugehen. Dafür gibt es viel Unterstützung. Fact-Checking-Agenturen werten laufend Daten aus und nehmen Tipps und Fragen entgegen. OSINT-Netzwerke werten Informationen aus frei verfügbaren Quellen aus und informieren über aktuelle Vorgänge im Kriegsgebiet. Und mit der Installation des Programms Snowflake können Menschen in zensierten Gebieten das Internet ohne Kontrolle nutzen.

NATO: „Europäische Werte” sind nicht die Antwort auf Putin

Alle scheinen sich einig: Der Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff auf „Europa“ und die „westlichen Werte“. Diese gelte es nun zu verteidigen. Angesichts des nachvollziehbaren Schocks über den Angriffskrieg auf die Ukraine wird die Welt in simple Kategorien wie „Gut“ und „Böse“ geteilt. 

Wir sollten uns nicht auf das Narrativ der Verteidigung westlicher Werte und der NATO einlassen. Mit der Berufung auf westliche Werte wird eine Gemeinschaft beschworen, die es in den rassistischen und patriarchalen Klassengesellschaften Europas nicht gibt. Gleichzeitig wird die koloniale und imperialistische Gewalt ausgeblendet, die untrennbar mit „Europa“ und dem „Westen“ verbunden ist. 

Wie wenig die NATO Garant für Frieden und Freiheit ist, zeigen schon Beispiele aus der Geschichte. So baute die NATO etwa mit der Operation Gladio rechtsextreme Netzwerke auf, um sozialistische Bestrebungen in Italien zu untergraben – und schreckte dabei weder vor Terroranschlägen noch vor Zusammenarbeit mit Faschisten zurück . Die USA und ihre Verbündeten überfielen 2003 völkerrechtswidrig den Irak. Die von ihnen als Kriegsgrund angeführten irakischen Massenvernichtungswaffen gab es nicht. Seit 2018  bekriegt das NATO-Mitglied Türkei die kurdische Selbstverwaltung in Rojava. Aus diesen Gründen muss die Linke entschieden gegen einen NATO-Beitritt Österreichs auftreten und das militärische Bündnis als solches einer ständigen Kritik unterziehen. 

Die Aufgabe von uns als Linken besteht darin, eine Position jenseits der Spaltung der Welt in imperialistische Lager aufzuzeigen. Eine Position, die Solidarität, Demokratie und Frieden als wirklich universelle Werte begreift, die wir gegen Putin ebenso durchsetzen müssen wie gegen die die EU und die USA. 

Flucht: Für praktische Solidarität und bessere Lebensbedingungen für alle

1,5 Millionen Menschen haben seit Beginn des Krieges die Ukraine verlassen und befinden sich auf der Flucht. Wer flüchtet, verliert nicht nur die Heimat, sondern macht sich auch in eine unsichere Zukunft auf. Denn im europäischen Asylsystem gelten ukrainische Kriegsflüchtlinge als „temporär Schutzbedürftige“. Sie werden für ein Jahr aufgenommen, ihr Aufenthalt kann um maximal zwei Jahre verlängert werden. Sobald ihr Aufenthaltsstatus geregelt ist, werden aus den „temporär Schutzbedürftigen“ jedoch „Arbeitskräfte”, die unter prekären Bedingungen für sich und ihre Familien sorgen müssen. 

Für Linke heißt das jetzt, sowohl praktische Solidarität zu üben, als auch für strukturelle Veränderung zu kämpfen. Wir wollen Geflüchtete willkommen heißen, Kontakte knüpfen, bei Behördengängen begleiten und beim Spracherwerb unterstützen. Gleichzeitig müssen wir uns politisch für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle einsetzen, egal wie lange Menschen schon hier sind. Und wir müssen dem rassistischen Umgang mit Flüchtenden in Europa entgegentreten. 

Über Nacht werden Ukrainer*innen momentan von billig auszubeutenden Erntearbeiter*innen zu christlichen, weißen Europäer*innen „wie wir”. Gleichzeitig werden schwarze Menschen an der Flucht aus der Ukraine gehindert. Und noch vor wenigen Wochen wurden tausende Syrer*innen und andere Kriegsflüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze als angebliche „Angreifer*innen” brutal zurückgeschlagen. Auch die Rhetorik hinsichtlich der Aufnahme von vom Terrorregime der Taliban verfolgten Menschen aus Afghanistan in Österreich klingt noch in den Ohren. Als Linke müssen wir das Recht auf Flucht universell verteidigen und jeden Versuch bekämpfen, Geflüchtete gegeneinander auszuspielen

Russland: Für den Blick auf Putins Klassenbasis und Sanktionen gegen Oligarchen

Die mediale Verengung des Ukraine-Kriegs auf die Person Putins unterschlägt die Klassenbasis seines politischen Projekts. Die russischen Oligarchen sind die Grundlage von Putins Macht und haben seine autoritäre Neuordnung Russlands gestützt. Im Gegenzug sichert Putin ihre Interessen und schützt ihren obszönen Reichtum. Da die persönlichen Sanktionen bisher nur Putins engstes Umfeld betreffen, schaffen sie nur leichte Risse zwischen Oligarchie und politischer Elite. Die Linke muss sich jetzt für umfassende Sanktionen gegen alle russischen Oligarchen einsetzen, um ihre Häuser in Kitzbühel, Yachten in St. Tropez und Gelder in der Schweiz zu beschlagnahmen. Denn auch wenn Russlands ökonomische Eliten von Putin abhängen, sind ihre globalen Interessen und ihr Luxus-Lebensstil die Achillesferse seiner Machtbasis.

Bisher treffen die westlichen Sanktionen in erster Linie die breite Bevölkerung Russlands. Sie stürzen Millionen Menschen in Armut, die ohnehin schon unter der brutalen Repression des russischen Staats leiden. Das liegt unter anderem daran, dass wirksame Sanktionen gegen die russischen Eliten auch westlichen Oberklassen schaden. Sie fürchten um ihre profitablen Russland-Geschäfte und die Einführung eines internationalen Finanzregisters, mit dem nicht nur Oligarchen sanktioniert, sondern auch westliche Reiche zur Kasse gebeten werden können. 

Die Linke muss gegen jene Sanktionen eintreten, die die breite Bevölkerung treffen und stattdessen russische Oligarchen angreifen um Putins Macht zu untergraben. Dafür müssen wir auch die Konfrontation mit unseren „eigenen” Eliten suchen. Gleichzeitig gilt es, Solidarität mit demokratisch-linken Kräften in der Ukraine wie auch Russland aufzubauen und sie in ihren Kämpfen zu unterstützen.

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