Teil II: Österreichs Asylpolitik – Ständiger Entzug des Zugangs zum Recht

Im ersten Teil dieses Beitrags geht es um den Unterschied zwischen materiellem Asylrecht und Asylverfahrensrecht  und um eine grobe Chronologie der asylverfahrensrechtlichen Novellen der letzten 12 Jahre.

Einzelne Aspekte des Abbaus von Rechtsschutzmöglichkeiten

Im Folgenden wollen wir einige Bereiche herausgreifen, um zu erläutern, wie asylverfahrensrechtliche Novellierungen unter dem Deckmantel der “Effizienz” und “Verfahrensbeschleunigung” den Rechtsschutz für Geflüchtete und den Zugang zum Recht beständig einschränken. Die zu diesem Zweck herangezogenen legistischen Mittel lassen sich in folgende Gruppen zusammenfassen: Einschränkungen des Rechtszugs an die Höchstgerichte, Verhaltensregeln – z.B. Gebietsbeschränkungen oder periodische Meldeverpflichtungen –  deren Missachtung unter Umständen Schubhaft zur Folge haben kann, Einschränkung der Effektivität von Rechtsbehelfen, etwa durch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln (das bedeutet, dass während eines laufenden Verfahren abgeschoben werden kann) oder die Verkürzung von Rechtsmittelfristen.

Zugang zu den Höchstgerichten

Von 1998 bis 2008 war zweite Instanz in Asylverfahren der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS). Gegen abweisende oder zurückweisende Entscheidungen des UBAS konnte Beschwerde sowohl an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) als auch an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) erhoben werden. Mit dem Asylgerichtshofseinrichtungsgesetz 2008 wurde dieser Rechtsschutz gravierend eingeschränkt. Der UBAS wurde durch den Asylgerichtshof (AsylGH) ersetzt, gegen dessen Entscheidungen nur mehr Beschwerde an den VfGH erhoben werden konnte. Der Rechtszug zum VwGH wurde ersatzlos gestrichen. Dies bedeutete weniger Rechtsschutz für die Betroffenen und weniger Qualitätskontrolle der Verfahren. Denn die Prüfungskompetenz des VfGH umfasst nicht “bloße” Verfahrensfehler oder falsche Gesetzesanwendung, sondern lediglich derartig gravierende Fehler in der Auslegung oder Anwendung des Gesetzes, dass von “Willkür” gesprochen werden kann. Faktische Konsequenz war eine dramatische Senkung der Anerkennungsquote. Die Abschaffung des Zugangs zum VwGH führte dazu, dass in den Jahren danach deutlich weniger Personen (insbesondere etwa aus der Russischen Föderation und der Türkei) der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde als zuvor – ohne dass dies etwa in der Änderung politischer Verhältnisse in den Herkunftsgebieten begründet werden hätte können. Seit dem abermaligen Umbau der Behördenstruktur 2012/2013 ist dies zum Glück wieder anders: Statt des AsylGH entscheidet nun das neu eingerichtete Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über Rechtsmittel gegen ab- oder zurückweisende Entscheidungen der Asylbehörde. Gegen dessen Entscheidungen besteht nun wieder die Möglichkeit der Anrufung  des VwGH. In den Jahren 2009 bis 2014 sind allerdings unzählige Verfahren mit der Nichtanerkennung von Personen zu Ende gegangen, denen die Flüchtlingseigenschaft hätte zuerkannt werden müssen und die keine Chance hatten, derartige Fehlentscheidungen von Höchstgerichten prüfen zu lassen.

Mangelnde aufschiebende Wirkung: Beispiel Folgeanträge

Wenn Asylsuchende nach rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens einen weiteren Asylantrag stellen, spricht man von einem “Folgeantrag”. Von dem in allen rechtlichen Verfahren bestehenden Grundsatz, dass ein und dieselbe Sache nur einmal entschieden werden kann, gibt es Ausnahmen, die gerade im Asylverfahren bedeutsam sind. Es ist z.B. möglich, dass sich die Lage im Herkunftsland ändert, dass die betreffende Person Beweismittel erlangt, die sie während des Verfahrens nicht zur Verfügung hatte, oder dass die Person während ihres Verfahrens nicht in der Lage war, über bestimmte Geschehnisse (wie z.B. sexualisierte Gewalt) zu sprechen. Es ist daher wichtig, dass in Folgeantrags-Fällen ein sorgfältiges Verfahren zur Verfügung steht. In der Realität ist jedoch der Rechtsschutz und der Schutz vor Abschiebung in diesen Verfahren sehr eingeschränkt und Schubhaftverhängung leicht möglich. Seit der AsylG-Novelle 2003 haben Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Entscheidungen in Folgeantrags-Verfahren grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass eine Abschiebung auch während eines laufenden Rechtsmittelverfahrens möglich ist. Das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 gab der Behörde darüber hinaus weitere Befugnisse in die Hand, den Abschiebeschutz schon während laufender erstinstanzlicher Folgeantragsverfahren abzuerkennen. Dies hat zudem häufig die Verhängung von Schubhaft zur Folge. Die Intention der Regierung war es wohl, die Möglichkeit durch eine neuerliche Asylantragstellung eine schon eingeleitete Abschiebung zu verhindern, einzuschränken. Um dieses Ziel zu erreichen nimmt die Gesetzgebung eine Verletzung des wichtigen Grundsatzes in Kauf, dass Personen während anhängiger Asylverfahren nicht abgeschoben werden dürfen – eine der Grundfesten eines effektiven Asylverfahrens. Schließlich sind Fehlentscheidungen in Asylverfahren nachträglich nicht sanierbar. Wird eine asylsuchende Person in ihren Herkunftsstaat abgeschoben, ist sie genau jenen Gefahren ausgesetzt, vor der sie durch eine Asylgewährung geschützt werden soll. Wird die Asylrelevanz erst in einem Rechtsmittelverfahren erkannt, kann es für die betroffene Person zu spät sein. Ein Risiko, das die Gesetzgebung einzugehen bereit war und ist.

“Sichere” Herkunftsstaaten

Grundsätzlich müssen natürlich auch Asylanträge, die von Personen gestellt werden, die aus sogenannten “sicheren” Herkunftsstaaten kommen, inhaltlich geprüft werden. Allerdings werden diese Verfahren beschleunigt abgewickelt und der Rechtsschutz gegen abweisende Entscheidungen ist eingeschränkt. Das führt in der Praxis zu der Gefahr, dass asylrelevante Fälle nicht erkannt werden, was z.B. für Roma oder Betroffene häuslicher Gewalt aus südosteuropäischen Staaten (häufig als “sichere” Herkunftsstaaten geltend) eine massive Einschränkung ihres Zugangs zum Recht auf Asyl bedeutet. Eine Liste sicherer Herkunftsstaaten wurde durch die AsylG-Novelle 2003 erstellt und seither – unter anderem durch die “Herkunftsstaaten-Verordnung” – erweitert. Das Fremdenrechtspaket 2005 schaffte zwar das Konzept der “offensichtlich unbegründeten Asylanträge” ab (also solche galten Anträge betreffend “sichere Herkunftsstaaten”), jedoch kann in solchen Asylverfahren nun einem Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung aberkannt werden. Dann kann die betreffende Person in Schubhaft genommen werden und unter Umständen auch die Abschiebung bereits während eines laufenden Rechtsmittelverfahrens durchgeführt werden. Seit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 ist außerdem eine auf 5 Monate verkürzte Entscheidungsfrist vorgesehen; diese kann zwar überschritten werden, das Signal ist aber klar: Verfahren betreffend “sichere” Herkunftsstaaten sollen ohne viel Aufhebens abgewickelt werden.

“Gebietsbeschränkung” als Beispiel für Inhaftierungsgefährdung

Mit dem Fremdenrechtspaket 2005 wurde eingeführt, dass sich Asylsuchende im Zulassungsverfahren während der ersten 20 Tage nur im Gebiet der jeweiligen Bezirksverwaltungsbehörde aufhalten dürfen. Mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 wurde dies auf die Dauer des gesamten Zulassungsverfahrens ausgedehnt. Ein Verstoß gegen Aufenthalts- oder Meldeverpflichtungen stellt einen Verwaltungsstraftatbestand dar und kann darüber hinaus die Verhängung von Schubhaft nach sich ziehen. Die starke Zunahme von Asylanträgen im vergangenen Jahr hat nun allerdings in der Praxis die Konsequenz, dass mangels vorhandener Unterbringungskapazitäten auf Melde- und Aufenthaltsverpflichtungen weniger Wert gelegt wird.

Schluss

Die Asylgesetzgebung (bzw das Innenministerium) verfolgt das rechtspolitische Ziel, Zuwanderung zu beschränken und hintanzuhalten. Nachdem legale Zuwanderung nach Österreich – sieht man von der auch ständig erschwerten Familienzusammenführung einmal ab – kaum bis gar nicht möglich ist, weichen viele Personen auf das Asylverfahren aus. Das ist das, was die Regierung so gerne als „Asylmissbrauch“ bezeichnet – der Rückgriff auf die einzig verbleibende Möglichkeit, ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu erlangen.  Die Reaktion darauf ist allerdings nicht die Ermöglichung legaler Zuwanderung und die Erweiterung des Asylrechts vor dem Hintergrund geänderten Schutzbedarfs (z.B. Stichwort “Klimaflüchtinge”), sondern die stete Verschlechterung verfahrensrechtlicher Standards im Asylverfahren. Es geht darum, Personen möglichst rasch zum Verlassen des Bundesgebietes verhalten zu können. Damit wird die massive Einschränkung des Rechtsschutzes für Asylsuchende und die Erlassung und Durchsetzung von Fehlentscheidungen in Kauf genommen. Mangelnder Rechtsschutz in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren bedeutet die Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten. Asylsuchende werden als “zu beamtshandelnde Sicherheitsrisiken” und nicht als handelnde Subjekte betrachtet. Darüber hinaus sind asylrechtliche Fehlentscheidungen fatal. Sie können zur Folge haben, dass schutzsuchende Personen durch eine Außerlandesbringung der Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterliegen und im schlimmsten Fall den Tod fürchten müssen. Gerade ein Asylsystem muss daher die Gefahr von Fehlentscheidungen möglichst vermeiden. Schon gar nicht dürfen Fehlentscheidungen durch verfahrensrechtliche Bestimmungen gefördert werden. Diese Tendenz zieht sich jedoch – unter dem Deckmantel der “Verfahrenseffizienz” – durch die wechselhafte Geschichte der asylrechtlichen Novellierungen.

Ines Rössl ist derzeit Universitätsassistentin am Institut für Legal Gender Studies der Universität Linz. Seit längerem beschäftigt sie sich immer wieder mit dem Asylrecht, ua war sie in diesem Bereich als Rechtsanwaltsanwärterin tätig. Sie ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift “juridikum”.

Ronald Frühwirth ist Rechtsanwalt in Graz. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählt unter anderem das Asyl- und Fremdenrecht. Er ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift “juridikum.”

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