Homosexualität, ein Identitätsproblem; Masturbation, ein Ausdruck von Ich-Bezogenheit; Sex, bitte nur in der Ehe – die vom Falter veröffentlichten Unterlagen des sexualpädagogischen Vereins TeenSTAR zeigen ein christlich-fundamentalistisches, ultrakonservatives Weltbild. Kathleen Schröder und Paul Haller von der HOSI Salzburg haben sich in den letzten Monaten mit den Unterlagen beschäftigt und erklären, warum es gefährlich ist, wenn TeenSTAR mit Kindern und Jugendlichen arbeitet.
Rund 100 Beratungen und Workshops hielt der Verein TeenSTAR allein bis August in diesem Jahr ab. Das sagte Gründerin Helga Sebernik auf Anfrage der Wochenzeitung Falter. In vielen Schulen sei TeenSTAR „seit Jahren ein fixer Bestandteil“, auch an Volksschulen ist der Verein tätig. Unterstützt wird die ultrakonservative Sexualpädagogik-Initiative unter Anderem vom Institut für Ehe und Familie der österreichischen Bischofskonferenz. Werbung für TeenSTAR findet sich vor allem auf den Webseiten ultrakonservativer und religiös-fundamentalistischer Initiativen. Finanziert wird der Verein angeblich durch private Spenden. Vom Bildungsministerium fließt jedenfalls kein Geld, wie die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage von Mario Lindner und Sonja Hammerschmid (SPÖ) ergab.
Das mediale Echo war groß nach den TeenSTAR-Leaks, der Veröffentlichung interner Schulungsunterlagen durch den Falter und eine Presseaussendung der HOSI Salzburg. Denn die Unterlagen, die für die Ausbildung von Kursleiter*innen verwendet werden, zeigen ein völlig anderes Bild, als die moderate Darstellung auf der eigenen Website. Die hunderten Seiten, die in zwei dicken Mappen zusammengefasst sind, sind eine Gemeinschaftsproduktion von TeenSTAR Österreich, Deutschland und Schweiz in Zusammenarbeit mit TeenSTAR International, datiert mit 1. Jänner 2017.
Missionarische Einzelgespräche
So genannte TeenSTAR-Kurse sind aufbauende Workshops für Kinder und Jugendliche, die alle ein bis zwei Wochen – oft in Pfarren – österreichweit stattfinden. Im Rahmen eines Kurses sind Kursleiter*innen dazu aufgefordert, zwei bis drei Einzelgespräche pro Teenager zu führen, wie ein in den Schulungsunterlagen enthaltener Leitfaden für Gespräche mit Jugendlichen zeigt. „Termin fixieren (15 min), vorgegebene Zeit nicht verlängern, sondern bei Bedarf stattdessen evtl. einen gemeinsamen Spaziergang / Essen vorschlagen“, heißt es dort.
Die Fragen, die in diesem Rahmen gestellt werden, lauten beispielsweise: „Wie hast du deine erste Blutung (deinen ersten Samenerguss) erlebt?“ In Bezug auf Geschlechtsverkehr könne nachgefragt werden, ob es eine einmalige Handlung war, ob das Ereignis vor längerer Zeit oder vor kurzem stattgefunden habe und ob es sich um eine noch andauernde Beziehung handle. „Habt ihr weiterhin Geschlechtsverkehr miteinander?“, sei eine adäquate Frage.
Einerseits, und hier beginnen die Probleme erst, ist es alles andere als üblich, dass sich Sexuapädagog*innen ein Essen oder einen Spaziergang mit Jugendlichen ausmachen, sondern massiv grenzüberschreitend. Der Boden der Sexualpädagogik wird hier jedenfalls verlassen. Stattdessen werden Beratungs- bzw. Verhörsituationen geschaffen.
Zum anderen: Das alles würden professionelle Sexualpädagog*innen nie fragen. Schon gar nicht in Einzelgesprächen – zurecht: Denn es geht sie nichts an und stellt einen massiven Eingriff in die Privatsphäre von jungen Menschen dar, die sich der Situation nur schwer entziehen können. Doch TeenSTAR verfolgt ein Ziel: Jugendlichen soll eingetrichtert werden, wo Sex laut Vereinsdoktrin hingehört: in die Ehe. „Wenn ihr euch so sehr liebt, warum heiratet ihr nicht gleich? Wenn nicht, warum habt ihr dann Geschlechtsverkehr?“, das seien zwar keine offenen Fragen, aber manchmal angebracht und hilfreich.
Die Sache mit dem Blumentopf
An anderer Stelle wird „Sex vor der Ehe“ anhand eines Blumentopfs aus Ton erklärt, den Kursleiter*innen vor den Jugendlichen zerschlagen sollen. Die Erklärung dazu: „Sex bindet zwei Menschen seelisch tief aneinander. Wenn die Beziehung zerbricht, kann dies beide innerlich verletzen, das heißt Scherben hinterlassen. Meist leidet dadurch das Mädchen mehr als der Junge.“
Eine zweite Metapher ist ein zusammengeklebtes Papier – geschlechtergerecht in rosa und blau –, das beim Auseinanderreißen kaputt geht und Schmerzen hinterlässt. Diese Beispiele sind skurril und brutal. Vor allem aber sind sie manipulativ und einschüchternd. Das ist nichts anderes als psychische Gewalt an Kindern und Jugendlichen.
Zweifelhafte Beratungsstellen
Zurück zu den Einzelgesprächen. Diese sind auch dazu da, um Schwangerschaften abzuklären und gegebenenfalls einen „Schwangerschaftstest, z.B. aus der Apotheke“ zu machen. Der Gesprächsleitfaden gibt auch hier sehr klare Anweisungen: „Wurde bei einer Kursteilnehmerin eine Schwangerschaft festgestellt und überlegt das Mädchen eine Abtreibung, dann muss die Kursleitung unverzüglich mit dem TeenSTAR-Verein Kontakt aufnehmen, um professionelle Hilfe einer guten Beratungsstelle vermittelt zu bekommen“. Wer diese „guten Beratungsstellen“ sind, wird nicht offengelegt, doch die Schulungsunterlagen empfehlen Methoden, die man von radikalen Abtreibungsgegner*innen kennt. Die Kursleiter*innen sollen aufzeigen, wie weit das Kind schon entwickelt ist – „eventuell mit Bildern“ – und was im Falle einer Abtreibung mit dem Baby passiere. Mit ergebnisoffener und unterstützender Beratung, die junge Menschen in schwierigen Situationen benötigen, hat das nichts zu tun. Mit Sexualpädagogik noch weniger.
Auf ebenfalls nicht näher benanntes „gutes Fachpersonal“ wird verwiesen, wenn Jugendliche „homosexuelle Empfindungen“ äußern. In den Augen von TeenSTAR ist Homosexualität ein Identitätsproblem, das durch eine „Kombination von Therapie, speziellen Selbsthilfegruppen und geschulter Seelsorge“ geheilt werden könne.
Bildungsministerium prüft Unterlagen
Darf das alles sein? Nein! Zumindest im schulischen Bereich gilt der Grundsatzerlass Sexualpädagogik. Er gibt vor, wie sexuelle Bildung an Schulen auszusehen hat. Sie soll „wissenschaftlich gestützte, realistische und nicht verurteilende Informationen“ weitergeben, sich „am Prinzip der Gleichstellung der Geschlechter sowie der Vielfalt der Lebensformen (z.B. sexuelle Orientierung, Geschlechteridentitäten) orientieren“ und „an internationalen Menschenrechten ausgerichtet“ sein. Dies vermittelt TeenSTAR nicht. Die HOSI Salzburg hat die TeenSTAR-Unterlagen dem Bildungsministerium und dem Landesschulrat Salzburg in persönlichen Gesprächen übergeben. Das Land Salzburg hat Schulworkshops bis zum Ergebnis der Überprüfung durch das Bildungsministerium vorrübergehend untersagt. Das Bildungsministerium prüft und hat gegenüber dem ORF angekündigt, noch im Dezember einen Erlass zur Causa auszuschicken.
Aus den Kursunterlagen wird deutlich: Sexualpädagogik ist für TeenSTAR nur ein Mittel zum Zweck. TeenSTAR-Kurse sind weder ein Beitrag zu sexueller Bildung noch zur Prävention von sexualisierter Gewalt! Sie sind missionarisch, direktiv und erzeugen zutiefst übergriffige Schein-Beratungssituationen. TeenSTAR missbraucht das Format sexualpädagogischer Workshops, um Zugriff auf Kinder und Jugendliche zu haben und auf diesem Wege seine Doktrin zu verbreiten. Das muss ein Ende haben.
Paul Haller ist Geschäftsführer der HOSI Salzburg, Mitglied der Plattform Intersex Österreich, Sozialarbeiter, Sexualpädagoge und Fachkraft für Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen.
Kathleen Schröder leitet die Bildungsinitiativen Schule der Vielfalt und Vielfalt im Beruf der HOSI Salzburg. Sie ist Betriebswirtin, diplomierte Mediatorin und Gesundheitspräventologin.