„Das Tagebuch soll Teil der öffentlichen Debatte werden”

Im November erschien die erste Ausgabe der neuen Monatszeitschrift „Tagebuch“. Es soll Österreichs größtes linkes Magazin werden. Im Interview spricht Chefredakteur Samuel Stuhlpfarrer über das Printsterben, linken Journalismus und Unterschiede zu Jacobin und dem Mosaik-Blog.

Beginnen wir mit den nackten Zahlen. Euer Ziel ist es 1.500 Abos zu verkaufen. Wie geht es euch damit?

Samuel Stuhlpfarrer: Wir stehen bei knapp unter 700 Abos. Das ist von unserem selbst formulierten Ziel schon noch ein Stück weit entfernt und wir merken natürlich auch, dass der tägliche Zuwachs an Verkäufen zuletzt abgeflacht ist. Gleichzeitig zeigt aber auch schon diese Zahl eine eindeutige Nachfrage an. Und vielleicht ist sie schon zu gut, um jetzt einfach aufzuhören.

Wann wird sich das entscheiden?

Wahrscheinlich in den nächsten Tagen. Wir können ja aus produktionstechnischen Gründen nicht bis zum Jahreswechsel zuwarten, wenn es im Februar eine Nummer geben soll. Einzelne Texte sind daher jetzt schon in Auftrag gegeben und die grundsätzliche Tendenz zeigt in Richtung Weitermachen.

Ihr setzt auf ein Printprodukt und auf eine monatliche Erscheinungsweise. Warum?

Die beiden Aspekte hängen zusammen. Tagesaktuelle Nachrichten werden aus guten Gründen zunehmend online gelesen – kein gedrucktes Produkt könnte schneller oder aktueller sein. Wir interessieren uns aber weniger für die Nachricht, sondern für den Hintergrund und der lässt sich monatlich gut aufbereiten. Noch dazu in einer Ausführlichkeit, die online schwerer zu konsumieren ist. Das gilt übrigens nicht nur für Hintergründiges oder Analytisches.

Was meinst du damit?

Wir wollen in einer gewissen Regelmäßigkeit, am liebsten in jeder Nummer, auch auf Langstrecken setzen. In unserer Erstausgabe haben wir das etwa mit den Beiträgen von Erich Hackl und Karsten Krampitz gemacht. Wir reden da von Texten, die zehn Seiten oder länger sein können. Aber wer liest schon einen 30.000-Zeichen-Beitrag online? Im gedruckten Produkt sind solche Lesestücke dagegen gut aufgehoben. Nur findet sich für solche Texte, von einigen Vierteljahresheften abgesehen, im Mainstream kaum noch ein Platz.

Macht dir das Printsterben keine Angst? Das betrifft ja nicht nur Tageszeitungen, sondern auch Monatsmagazine. Erst im November hat das deutsche HipHop-Magazin Juice seine letzte gedruckte Ausgabe veröffentlicht.

Das stimmt, aber es gibt auch andere Beispiele. Wenn Print wachsen kann, dann in einzelnen Nischen, die spezifische Bedürfnisse bedienen. Das zeigen auch Beispiele, die uns inhaltlich recht nahe sind und die großen Erfolg haben.

An wen denkst du da?

Zum Beispiel an das Jacobin Magazine in den USA oder an die Tribune in Großbritannien. Aber auch an El Salto in Spanien oder andere, schon ältere Printprodukte in Deutschland und der Schweiz wie etwa die WoZ. Diese Hefte unterscheiden sich naturgemäß sehr voneinander und ich halte sie jetzt auch nicht in allen Details für nachahmenswert. Was sie gemeinsam haben, das ist, dass sie es in einer Hegemoniekrise des Neoliberalismus verstanden haben, linke Inhalte an den Zeitgeist heranzuführen oder sich an dessen Rändern zumindest zu behaupten. Das ist gar nicht so wenig.

Stimmt es, dass ihr dieselben GrafikerInnen wie Jacobin habt?

Das wäre mir neu. (lacht) Unser Editorial Design stammt von Christian Wiedner von der Agentur Satz & Sätze. Aber Christoph Kleinstück, der unsere Illustrationen macht, hat auch schon für Jacobin und Tribune gearbeitet, genauso übrigens wie für den Spiegel oder den Freitag. Christophs Arbeit ist für unser gestalterisches Konzept allerdings sehr wichtig. Es sieht vor, dass alle Illustrationen eines gesamten Jahrgangs aus einer Hand stammen. Christoph macht jetzt quasi den Auftakt – von der Erstausgabe bis zur letzten im Jahr 2020 soll jede Illustration von ihm sein. Danach wird dieser Auftrag an jemand anderes übergehen.

Wenn wir schon über Jacobin sprechen: Es kooperiert eng mit den Democratic Socialists (DSA) und ist, in gewisser Weise, Teil einer Bewegung, die immer stärker wird. Das Magazin hat enorm vom Erfolg von Bernie Sanders profitiert. Würdet ihr so etwas nicht auch brauchen, um den Durchbruch zu schaffen?

Das glaube ich nicht. Zu Beginn war das Jacobin Magazine zwar auch schon über den organisatorischen Hintergrund mancher AkteurInnen nah an den DSA, es war aber noch zuallererst ein publizistisches Projekt. Diese enge Verbindung von journalistischer Arbeit und politischer Agenda ist jünger und hat in meinen Augen dem Produkt jetzt auch nicht unbedingt gut getan.

Aber würde es so eine Bewegung, wie es sie in den USA gerade gibt, ökonomisch nicht viel einfacher machen?

Mag sein. Aber es gibt sie in Österreich im Moment nun einmal nicht. Und noch weniger lässt sich damit verlässlich planen. Was es dagegen schon viel zu lange gibt, das ist die Lücke in der Medienlandschaft, das Fehlen einer weithin sichtbaren linken Position.

Machen wir einen kleinen Themenwechsel. Wer ist denn eure Zielgruppe?

Sie ist auf alle Fälle vergleichsweise klein. Wir orientieren uns zwar auf den gesamten deutschsprachigen Markt, aber in Österreich geht es da wohl um kaum mehr als 50.000 Menschen. Das sind Leute, die sich im engeren Sinne als links verstehen, die etwas mehr Zeit haben, als der gesellschaftliche Durchschnitt. Die wohl über dem Medianeinkommen verdienen. Wenn wir davon zehn Prozent, also rund 5.000 Menschen, mittelfristig als regelmäßige LeserInnen gewinnen könnten, wäre ich sehr zufrieden.

Du hast linke Publizistik angesprochen. Was bedeutet das für dich?

Grundsätzlich gelten für uns dieselben Standards wie für liberale oder bürgerliche Medien auch. „Links“ meint darüber hinaus, dass wir der Beurteilung eines Sachverhalts oder der Einordnung eines politischen Ereignisses eine weitere Analyseebene zugrunde legen, nämlich die Verhältnisse, in denen wir leben. Und wenn die Analyse von und die Kritik an Herrschaftsverhältnissen Orientierungspunkte sind, dann ergeben sich daraus auch spezifische Interessenslagen. Unsere Aufmerksamkeit zielt daher etwa auf historische und gegenwärtige Aufbrüche und Emanzipationsbestrebungen ab. Wir richten den Blick aber auch auf die ganz oben auf andere Weise, erlauben uns eine gewisse Kompromisslosigkeit. Wir sind eben nicht auf doppelseitige Signa-Inserate angewiesen – und würden sie auch gar nicht nehmen.

Aber ist das ein Alleinstellungsmerkmal? Es gibt schon linke Zeitungen wie die Volksstimme oder die an.schläge?

Ich spreche eigentlich immer von der Notwendigkeit, eine `sichtbare` linke Position am Medienmarkt zu etablieren. Das ist eine sehr bewusste Nuancierung. Ich glaube eben nicht, dass es in Österreich keine linken Medien gibt; viele, auch die von dir erwähnten sind verdienstreiche und gute Zeitschriften. Worum es mir mit dem TAGEBUCH geht, das ist allerdings tatsächlich etwas anderes. Wir wollen die Wahrnehmungsgrenze linker Szenen überschreiten. Wir wollen Teil der öffentlichen Debatte werden und wir wollen damit auch in den langfristigen Kampf um Hegemonie eintreten. Dafür braucht es nicht nur ein gut gemachtes Produkt, sondern etwa auch ordentliche Vertriebswege. Daher haben wir uns wirklich von Anfang an darum bemüht, mit einer flächendeckenden Vertretung im Einzelhandel aufzuschlagen.

Das bringt uns zur naheliegenden Abschlussfrage. Was unterscheidet euch von uns, dem Mosaik-Blog? Abgesehen davon, dass auch wir keine Texte veröffentlichen, die 30.000 Zeichen lang sind.

Ihr könnt als Blog bestimmt sehr viel besser auf aktuelle Themen reagieren als wir. Wir interessieren uns wie vorhin schon erwähnt dagegen für das Grundsätzliche. Und wir verfolgen auch keine politische Agenda. Der Mosaik-Blog scheint mir da schon noch stärker ein politisches Projekt im Blick zu haben. Ich darf das vielleicht so sagen, ich habe den Mosaik-Blog ja mitgegründet. (lacht)

Kaufempfehlung: Das Tagebuch kann man abonnieren, in Österreich und im Ausland, für sich selbst oder als Geschenk.

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