Nach dem erfolgreichen Warnstreik der Beschäftigten im Sozialbereich waren die Erwartungen hoch. Die SozialarbeiterInnen kämpften nicht nur für bessere Entlohnung, sondern auch für Arbeitszeitverkürzung. Zum ersten Mal streikten ArbeiterInnen in Österreich für die 35-Stunden-Woche. Nun einigten sich Gewerkschaft und Sozialwirtschaft Österreich. Doch der Unmut über das Verhandlungsergebnis ist groß. mosaik-Redakteurin Sandra Stern fragte bei den Streik-Aktivistinnen Katharina Kronhuber und Selma Schacht nach.
mosaik: Katharina und Selma, der Streik der SozialarbeiterInnen war bemerkenswert erfolgreich durchgeführt. Nun gibt es ein Verhandlungsergebnis. Was haltet ihr davon?
Katharina: Ich hätte mir nie erträumt, dass es zum ersten österreichweiten Streik im Sozial- und Gesundheitsbereich kommen würde und dass daran über 40.000 KollegInnen teilnehmen würden. Bei uns im Betrieb haben sich ca. 100 KollegInnen am Warnstreik beteiligt. Aufgrund dieser sehr motivierenden Erfahrung und dem großen Ausmaß der Aktionen und Streiks in ganz Österreich, bin ich persönlich vom Verhandlungsergebnis sehr enttäuscht. Denn trotz der überdurchschnittlich hohen Burn-out Raten in unserem Bereich gibt es keine Schritte in Richtung Arbeitszeitverkürzung.
Der Abschluss von 2,5 Prozent ist im Vergleich zu den anderen KV-Abschlüssen heuer der schlechteste. Viele von uns kommen trotz unserer psychisch und auch physisch sehr schweren Arbeit nicht mit dem Geld aus. Wir beobachten nicht nur eine zunehmende Verarmung unserer KlientInnen, sondern auch von uns selbst. Doch ohne die Warnstreiks wäre das Ergebnis sicherlich noch schlechter gewesen. Die ArbeitgeberInnen haben sich ja erst dadurch überhaupt erst wieder zu Verhandlungen bereit erklärt.
Selma: Die Verhandlungen waren heuer insofern spannend, da zweimal im großen Verhandlungsteam Streikbeschlüsse gefasst wurden – und das einstimmig, das gab es noch nie. Die ArbeitgeberInnen haben auf der anderen Seite gemauert wie noch nie, was sich ja auch im Ergebnis widerspiegelt. Bei der Bezahlung konnten durch den ausgeübten Druck höhere – und vor allem einheitliche – Prozentsätze erreicht werden. Was die Arbeitszeitverkürzung betrifft – das zentrale, alle Berufsgruppen umfassende Kampfziel – konnte jedoch kein einziger Schritt in Richtung 35-Stunde-Woche gesetzt werden.
Wie ist es euch gelungen, dass sich eure KollegInnen am Warnstreik beteiligt haben? Was ist an diesem Tag überhaupt passiert? Wie schaut so ein Warnstreiktag aus?
Katharina: Wie wir im Sozialbereich am besten streiken können, war eine der für uns zentralen Fragen. Denn die Niederlegung der Arbeit bedeutet etwas anderes in einem Winter-Notquartier für Obdachlose, in einer WG für minderjährige Flüchtlinge oder in einem Wohnhaus für ältere, psychisch und physisch oft sehr kranke Wohnungslose. Bei uns war allen klar, dass wir uns während des Warnstreiks nicht in unseren Büros einsperren wollten.
Wir haben daher zu Mittag die Arbeit in den jeweiligen Häusern niedergelegt und haben uns dann in einem Häuser übergreifenden Streik-Café getroffen. Ausgestattet mit bunten Schildern und Transparenten sind wir gemeinsam vor die Zentrale des Samariterbundes zur Kundgebung gegangen. Dort waren wir gut für AutofahrerInnen und PassantInnen sichtbar. Durch die Rede einer gekündigten Kollegin wurde uns vor Augen geführt, dass wir eigentlich viel mehr gewesen wären. Doch als Folge der rassistischen Abschottungs- und Kürzungspolitik wurden viele Häuser (der Flüchtlingsbetreuung, Anm. d. Red.) geschlossen und KollegInnen gekündigt. Neben besseren Arbeitsbedingungen und Gehaltserhöhungen haben wir auch ein Ende von Abschiebungen sowie die Ausweitung der Winter-Notquartiere auf den Sommer für sogenannte „nicht anspruchsberechtigte Wohnungslose aus EU-Ländern“ gefordert.
Selma: Wir waren selbst erstaunt, dass sich so kurzfristig 17 Standorte streikbereit gemeldet haben. Am Streiktag haben 150 KollegInnen die Arbeit niedergelegt und sind in die Arbeiterkammer gefahren. Für uns war es wichtig, zusammenzukommen anstatt vereinzelt an den Standorten zu sitzen. Nach einer öffentlichen Aktion fanden Diskussionsrunden statt zu gewerkschaftlichen Forderungen, öffentlichen Aktionen und zur Frage, wie wir einen Streik in unserem Arbeitskontext Schule am besten durchführen können.
Wie seid ihr mit Einwänden von KollegInnen umgegangen, die Angst oder sonstige Vorbehalte hatten sich am Streik zu beteiligen?
Katharina: Wir haben versucht das Streiken so niederschwellig und unser Vorgehen so transparent wie möglich zu machen. Wir haben noch einmal klargestellt, dass es unser Recht ist zu streiken. Außerdem war es zentral, dass unser Streikkomitee gut in den einzelnen Häusern verankert war, Fragen der KollegInnen beantworten und ihnen ihre Unsicherheiten nehmen konnte. Obwohl es eigentlich Aufgabe der Geschäftsführung bzw. der Bereichsleitung gewesen wäre, einen Notdienst zu organisieren, haben die Teams selbst einen solchen aufgestellt. Somit mussten wir uns auch keine Sorgen um das unmittelbare Wohl der BewohnerInnen machen.
Selma: Angst hatten vor allem die MitarbeiterInnen mit befristeten Verträgen, meist gab ihnen aber das Team jedoch genug Sicherheit. Nur ganz vereinzelt gab es Gegenpositionen. Wir haben uns auf die Zusammenarbeit mit den Streikwilligen konzentriert.
Es gibt Kritik an den Gewerkschaften und BetriebsrätInnen, die die Verhandlungen geleitet haben, dass das Potenzial nicht ausgeschöpft worden sei. Wie habt ihr das erlebt?
Katharina: Da der Sozial- und Gesundheitsbereich aus vielen Trägern und Einrichtungen besteht, blieben viele Aktionen durch eine magere Öffentlichkeitsarbeit unsichtbar. Wir haben uns teilweise mit der Vorbereitung des Streiks alleine gelassen gefühlt. In vielen Betrieben liefen bereits Vorbereitungen für eine zweite Streikrunde. Dies hätte auf jeden Fall den Druck auf die ArbeitgeberInnen erhöht und zu einem besseren Ergebnis geführt. Teile der Gewerkschaft haben jedoch auf einen raschen Abschluss gepocht und in sozialpartnerschaftlicher Manier einen schlechten Abschluss vor weiteren Kampfmaßnahmen bevorzugt.
Selma: Darüber hinaus haben mehrere Streikkomittees eine öffentliche Kundgebung mit rund 1.000 TeilnehmerInnen geplant. Die KollegInnen sind nun großteils stinksauer, dass ihnen die Möglichkeit genommen wurde, öffentlich und kollektiv ihren Protest gegen die ArbeitgeberInnen zu zeigen.
Was lernt ihr daraus für zukünftige Auseinandersetzungen und Verhandlungen mit der ArbeitgeberInnenseite?
Selma: Wir können jetzt an so viel Wissen und Erfahrungen anknüpfen, dass wir jedenfalls nicht bei Null anfangen. Auch, was die mangelnde Konfliktbereitschaft der Gewerkschaften anbelangt. Bei künftigen Auseinandersetzungen können wir nun darauf aufbauen, schon einmal einen Arbeitskampf organisiert und durchgeführt zu haben. Das alleine ist unendlich viel wert!
Katharina: Wir haben gelernt, wie wichtig eine gute Vernetzung unter den KollegInnen zur Erlangung unserer Rechte ist. Bei der Vorbereitung des Streiks ist uns klar geworden, dass wir die Kontakte sowohl zwischen den verschiedenen Berufsgruppen, z.B. zu den Heimhilfen, als auch zu verschiedenen Trägern noch ausbauen müssen. Dieser Streik hat eindeutig gezeigt, dass Beschäftigte im Sozial- und Gesundheitsbereich weder konfliktscheu sind noch Arbeitskämpfe meiden.
Die Folgen eines Streiks von z.B. KinderbetreuerInnen, Heimhilfen, PflegerInnen, BetreuerInnen sind unmittelbar für viele Menschen spürbar, da wir essentiell für das Funktionieren der Gesellschaft sind. Bei Streiks im Sozial- und Gesundheitsbereich geht es somit nicht nur um die Arbeitsbedingungen von uns Beschäftigten, sondern viel mehr, wie wir Pflege und Betreuung in unserer Gesellschaft in Zukunft solidarisch organisieren wollen.
Katharina Kronhuber arbeitet als Wohnbetreuerin im Wohnungslosenbereich des Arbeiter-Samariter-Bund Wien und ist politische Aktivistin. Sie war Teil der Streikleitung.
Selma Schacht ist Sozialarbeiterin und Freizeitpädagogin. Sie ist Betriebsratsvorsitzende, Vorsitzende der Interessengemeinschaft social in der GPA-djp und Arbeiterkammerrätin für Komintern in der Arbeiterkammer Wien.