Streik: Warum heute in der Erwachsenenbildung nichts geht

Foto: Sonja Luksik

Betriebsversammlungen, öffentliche Kundgebungen, Warnstreiks – die Erwachsenenbildung ist in Aufruhr. Wie die Streiks ablaufen und welche Forderungen die Beschäftigten stellen, fasst mosaik-Redakteur Benjamin Herr zusammen.

Erster Streik

“Das ist mein erster Streik”, erzählt eine junge Frau stolz. Sie hat gemeinsam mit ihren Kolleg:innen Schilder gebastelt. “Bildungsarbeit ist vor allem Frauenarbeit”, steht auf einem. Am idyllischen Mozartplatz im vierten Wiener Bezirk findet eine öffentliche Streikkundgebung statt, auf die Beine gestellt von Beschäftigten der Organisation “Interface”. Den Kolleg*innen geht es um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung in der Erwachsenenbildung.

Die Erwachsenenbildung umfasst einen Bereich im Bildungssektor, der von Sprachkursen bis zum Schulabschluss reicht, die Gratis-Lernhilfe für Kinder umfasst genauso wie die berufliche Weiterbildung. 9000 Beschäftigte zählen die gemeinnützigen als auch gewinnorientierten Einrichtungen der Erwachsenenbildung.

Seit 2005 werden die Arbeitsbedingungen darin durch den BABE-Kollektivvertrag geregelt. Um diesen KV wird seit März gerungen. Dabei geht es vor allem um die Gehälter, bei denen die Belegschaften einen höheren Gehaltsabschluss fordern. Das letzte Angebot von Arbeitgeber:innenseite wurde vom Verhandlungsteam abgelehnt. Zu wenig federt es die Teuerungen ab, unter denen niedrige und mittlere Einkommen besonders durch Miete, Energie und Lebensmittel betroffen sind. Die eingeforderte Reallohnerhöhung sucht man beim jetzigen Angebot vergeblich.

Auf unbestimmte Zeit verschoben

Die Verhandlungen um den BABE-KV wurden nach der ergebnislosen vierten Runde auf unbestimmte Zeit verschoben. Doch schon in den Verhandlungsrunden im März standen die Zeichen auf Unstimmigkeit. Am 18. April folgte eine große, branchenweite Betriebsversammlung in der über 1000 Erwachsenenbildner:innen am Platz der Menschenrechte demonstrierten. Die darauffolgende vorerst letzte Verhandlungsrunde wurde dann abgebrochen, Kampfmaßnahmen beschlossen, eine Streikfreigabe erteilt.

Wo in der Vergangenheit einzelne Bildungseinrichtungen durch Arbeitskampfmaßnahmen auffielen, zeigen die diesjährigen Verhandlungen ein branchenweites Commitment. Sowohl große als auch kleine, sowohl gewinnorientierte als auch gemeinnützige Bildungseinrichtungen beteiligen sich in unterschiedlichen Formaten an den Protesten. Die Bandbreite ist dabei groß: von Betriebsversammlungen über dreistündige Warnstreiks ist alles dabei und signalisiert eine branchenweite Geschlossenheit.

Streikkundgebung am Wiener Mozartplatz, 3. Mai 2023

Qualität vor Billigstpreise

Das Grundproblem scheint in der Förderstruktur zu stecken. Die privaten Einrichtungen der Erwachsenenbildung bekommen ihre Aufträge über die öffentliche Hand. Hier liegt der zentrale Hebel für die Arbeitsbedingungen von Erwachsenenbildner:innen und die Qualität ihrer Dienstleistungen.

Ein Negativbeispiel dafür zeigt die jüngste Förderpraxis des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). Der ÖIF hatte Fördermittel für Deutschkurse ausgeschrieben, alleine für Wien beträgt die Fördersumme 158 Millionen Euro. In diesen Wettbewerb gingen gewinnorientierte Bildungsträger:innen mit sportlich heruntergesetzten Angeboten. Ihre strategische Überlegung dabei war durch Billigpreise den Zuschlag zu bekommen. Sie sollten Recht behalten, die finanziell heruntergeschraubten Anträge bekamen den Zuschlag. Um diese Billigstpreise zu realisieren und Rendite zu erwirtschaften wird an den Arbeitsbedingungen herumgebastelt: Vor- und Nachbereitungszeiten werden gekürzt oder Beschäftigte niedriger eingestuft. Die Initiative „Deutschlehrende in der Erwachsenenbildung“ protestierte dagegen.

Um solche Entwicklungen zu unterbinden fordert deshalb der Verband Österreichischer Volkshochschulen eine stabile Finanzierung der Erwachsenenbildung. Das umfasst einen bundesweiten Mindeststandard, den Ausbau von Bundessubventionen sowie einen fixen Anteil des Bildungsbudgets für die Erwachsenenbildung. Und stellt dabei die generelle Frage, unter welchen Gesichtspunkten öffentliche Ausschreibungen in Zukunft stattfinden sollen.

Selbstbewusste Erwachsenenbildner:innen

Zum jetzigen Zeitpunkt ist offen, wohin sich die Verhandlungen bewegen werden. Die branchenweiten Protestaktionen zeigen aber jetzt schon eine Geschlossenheit wie sie der Bereich Erwachsenenbildung bisher noch nicht gesehen hat. Sie sind Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins gewerkschaftspolitischer Aktivitäten in Österreich und Ergebnis jahrelanger Basisarbeit in den Betrieben.

Die Kollegin am Mozartplatz in Wien zeigt sich jedenfalls begeistert von ihrem ersten Streik: “Es ist extrem wichtig, dass wir heute unsere Arbeit niederlegen und so Druck für einen guten Abschluss aufbauen. Denn Erwachsenenbildung ist mehr wert!”

Mitarbeit: Sonja Luksik

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