Auf der Seite der Menschen – Standing Together Vienna

Menschen zünden bei einer Veranstaltung Kerzen an

Die Initiative Standing Together Vienna bringt palästinensische und jüdische Aktivist*innen zusammen – und eckt an, weil sie konsequent für Frieden in Palästina und Israel eintritt und dabei auch die Politik Österreichs kritisiert. Wir haben uns für ein Gespräch mit den Aktivist*innen Atheer Elobadi und Isabel Frey getroffen.

Am 09. Februar erschien die erste Folge des neuen mosaik-YouTube-Formats Common Ground. Darin spricht mosaik-Redakteurin Eylem Dersîm mit Atheer Elobadi von Standing Together Vienna. Bereits einige Wochen davor haben wir uns mit Atheer und Isabel Frey getroffen und ein Vorgespräch mit ihnen geführt. Sie erzählen über die Initiative Standing Together, ihren persönlichen Weg zum Einsatz für Frieden und ihre Wahrnehmung des österreichischen Diskurs zum Krieg in Gaza. Bei Common Ground vertiefen wir diese Themen mit ihnen. Das Video zur ersten Folge findet ihr am Ende des Interviews.

mosaik: Ihr habt als Standing Together seit der Eskalation der Gewalt in Gaza im Oktober 2023 immer wieder für einen Waffenstillstand protestiert. Der ist jetzt da, wird aber immer wieder unterlaufen. Wie ist die Lage in Gaza gerade?

Atheer: Katastrophal. Die Zerstörung der Infrastruktur, die humanitäre Krise und das Fehlen einer nachhaltigen politischen Lösung verschärfen die Situation immer weiter. Mit dem Vorschlag von US-Präsident Donald Trump, rund zwei Millionen Palästinenser*innen „umzusiedeln“, droht sich die Lage weiter zu verschlimmern. Seine Ankündigung zielt auf eine ethnische Säuberung Gazas ab – was ein schwerwiegender Verstoß gegen das Völkerrecht und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit wäre. Anstatt die israelische Regierung für ihre Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, wird sie von der US-Administration weiter ermutigt, ihre Politik der Vertreibung fortzusetzen. Für die Palästinenser*innen ist Trumps Plan eine klare Botschaft: Es gibt keinen Raum für Verhandlungen, keine Rechte und keine Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konflikts.

mosaik: Isabel, du bist in einer jüdischen Familie in Wien aufgewachsen, in einem Umfeld das stark zionistisch geprägt war, wo Perspektiven von Palästinenser*innen wenig Platz hatten. Heute protestierst du für Frieden in Gaza und hast dich vom Zionismus abgewendet – warum?

Isabel: Ich bin in einem säkular-jüdischen Umfeld aufgewachsen, wo jüdische Traditionen und Bräuche wichtig waren. An den Wochenende war ich oft bei Freizeitaktivitäten von Haschomer Hazair, einem zionistisch-sozialistischen Jugendverband. Dort bin ich mit einem sehr einseitigen Narrativ aufgewachsen. Mit 18 war ich dann zum ersten Mal in einem Kibbuz in Israel, bin dann aber auch ins palästinensische Westjordanland gefahren. Dort habe ich gemerkt, dass ich nur eine Seite der Geschichte kenne und über die Folgen der Besatzung der palästinensischen Gebiete für die Menschen dort, oder über die Nakba [arabisches Wort für die Vertreibung von Palästinenser*innen durch den israelischen Staat, Anm. der Redaktion] nichts weiß. Heute interessieren mich neue Wege, jüdische Identität zu leben, jenseits des Zionismus. Mich interessiert vor allem das jüdische Erbe der Diaspora und der Bundismus.

mosaik: Was ist das genau?

Isabel: Historisch ist der Bundismus die Ideologie des Allgemeinen Jüdischen Arbeiter*innenbundes. Der versuchte, einen anderen Weg zu gehen: Weder wollten sie assimilieren, also sich an die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft angleichen, noch wollten sie auswandern. Dem Zionismus standen die Bundist*innen ablehnend gegenüber. Die Sprache der Bundist*innen war das Jiddische. Daran knüpfe ich als Musikerin und jiddische Sängerin heute an. Heute erleben der Bundismus und das Jiddische ein Revival: Viele junge Jüdinnen und Juden in der Diaspora sind müde von den platten zionistisch-nationalistischen Narrativen und sehen auch die israelische Regierung kritisch.

mosaik: Atheer, du bist vor 15 Jahren nach Österreich gekommen, aufgewachsen bist du als Palästinenser in Israel. Wie bist du zu linker Politik gekommen?

Atheer: Ich bin in einer kleinen arabischen Stadt nicht weit von Tel Aviv groß geworden, und zwar in einem sehr aktivistischen Umfeld. Meine Eltern sind Kommunist:innen und zu Hause war es immer politisch. Als ich jung war, war ich in der palästinensisch-jüdischen Jugendbewegung Reut-Sadaka aktiv. Reut-Sadaka setzt sich für eine Gesellschaft ein, die jüdische und arabische Perspektiven vereint und auf Gleichberechtigung, kultureller Vielfalt und sozialer Gerechtigkeit basiert. Ihr Ziel ist es, der zunehmenden Entfremdung zwischen jüdischen und arabischen Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken und ein Beispiel für binationale Partnerschaft und Solidarität zu schaffen. Dann bin ich zu Anarchists Against the Wall gekommen. Wie der Name schon sagt, haben wir vor allem gegen die Mauer im Westjordanland protestiert [mit Mauer ist die mehr als 700 Kilometer lange Grenzanlage zwischen dem Westjordanland und Israel gemeint, Anm. der Redaktion]. Die Mauer durchtrennt palästinensische Gebiete und trennt oft auch Bauern von ihrem Land. Bei Anarchists Against The Wall haben wir Aktionen in den Dörfern unterstützt, wo sich Menschen gegen den Mauerbau gewehrt haben. 

mosaik: Was bringt dich zu Standing Together?

Atheer: Bei Standing Together versuchen wir, in den Diskurs einzugreifen, uns gegenseitig zu verstehen und Solidarität zu schaffen. Das spricht mich an. Wir schauen auf die Sachen, die uns einen, nicht auf das Spaltende. Das machen wir für ein gemeinsames Ziel: Wir wollen einen gerechten Frieden für alle Menschen im nahen Osten. Und wir wollen die österreichische Öffentlichkeit informieren, denn die Menschen sind hier oft leider sehr schlecht informiert, die Medien berichten teils sehr einseitig. Das liegt auch daran, dass die österreichische Politik extrem einseitig ist. Die österreichische Regierung unterstützt weiter die rechtsextreme Regierung von Israel. Da muss sich etwas ändern.

mosaik: Wie schätzt ihr den Diskurs in Österreich mehr als ein Jahr nach dem 7. Oktober ein?

Atheer: Es gibt generell einen sehr großen Druck, sich auf eine Seite zu stellen. Ich denke, das ist falsch. Wer sich auf die Seite der israelischen Regierung stellt, stellt sich auch gegen die Menschen, nicht zuletzt auch gegen die Menschen in Israel. Und wer sich auf die Seite der Hamas stellt, steht ebenfalls nicht auf der Seite der Menschen. Die Menschen leiden ja nicht zuletzt auch unter der Politik der Hamas. Wir müssen uns gegen die israelische Regierung und gegen die Hamas stellen. Wir müssen auf der Seite der Menschen stehen. 

Isabel: In Österreich gibt es starken Druck, sich pro-israelisch zu positionieren. Wenn man es nicht tut wird man schnell als antisemitisch abgestempelt. Nach dem 7. Oktober hing die israelische Fahne am Parlament. Da hatte der jüngste Krieg gegen Gaza bereits begonnen. Diese Symbolpolitik dient einzig und allein der Inszenierung der Politik, der ÖVP aber auch von den Grünen. Im Kampf gegen Antisemitismus hilft das im Übrigen nichts, im Gegenteil. Einseitige Parteinahme heizt nur weiter den Hass an und verstärkt damit auch Antisemitismus. In Österreich wird außerdem viel über Begriffe und Narrative gestritten, oft wird es sich dabei zu einfach gemacht. Bei Standing Together Vienna versuchen wir, klar zu machen, dass mehrere Narrative gleichzeitig existieren können.

mosaik: Wie meinst du das?

Isabel: Begriffe sind stark biographisch geprägt und können für verschiedene Menschen sehr unterschiedliche Dinge meinen. Nehmen wir den Begriff Zionismus: Das Wort bedeutet für viele Diaspora-Jüdinnen und Juden das Recht, auch jenseits von Religion eine jüdische nationale Zugehörigkeit zu haben. Für Palästinenser*innen ist Zionismus dagegen eine Ideologie der Unterdrückung und Vertreibung. Um das aufzulösen braucht es ein Wegtreten von der eigenen Position und den ernsthaften Versuch, das Gegenüber wirklich verstehen zu wollen. Im nächsten Schritt geht es dann darum, sich jenseits der Begriffe auf gemeinsame Prinzipien zu einigen. Wie Atheer schon gesagt hat bedeutet das für uns, für einen gerechten Frieden zu kämpfen. Konkret geht es um einen dauerhaften Waffenstillstand, um ein Ende der Besatzung und die Freilassung von Geiseln und politischen Gefangenen. Aber auch allgemeiner um ein Ende der Segregationspolitik, also der staatlichen Trennung von Menschen.

Atheer: Das internationale Recht ist dabei übrigens auf unserer Seite: Menschenrechte gelten für alle. Das kann nicht selektiv sein. Das bedeutet aber auch: Alle, die an Kriegsverbrechen beteiligt sind müssen vor Gericht, egal ob es Israelis oder Palästinenser sind – oder wer auch immer. Das Völkerrecht kennt keine ethnische Zugehörigkeit.

mosaik: Mit dieser Position habt ihr es nicht leicht, oder?

Isabel: Wir sind eine Minderheit in den eigenen Communities, und das ist nicht leicht, stimmt. Ich bin in der jüdischen Community sehr aktiv, als Sängerin, vor allem kulturell. Und werde dort dann immer wieder auch angefeindet und ausgeladen. Leute werfen mir und anderen linken Jüdinnen und Juden gerne vor, dass wir Israel nicht genug unterstützen. Das ist unsinnig. Gerade, weil mir die Menschen in Israel am Herzen liegen, setze ich mich für einen gerechten Frieden ein. Der Frieden ist auch für Israelis die einzige Möglichkeit für eine sichere Zukunft. Gleichzeitig bekomme ich aber immer wieder Unterstützung: Es gibt auch viele Jüd*innen, die nicht mit der jüdischen Kultusgemeinde übereinstimmen, wenn es um Israel geht.

Atheer: Die Personen in meinem unmittelbaren Umfeld teilen oft meine Ansichten, insgesamt muss man aber sagen dass die in Österreich lebenden Palästinenser*innen und Araber*innen keine homogene Gruppe sind – auch wenn das oft so dargestellt wird. Deshalb stoße auch ich immer wieder auf Differenzen. Aber wo es möglich ist, bleib ich im Austausch, das ist wichtig.

Interview: Anselm Schindler
Foto: Doron Nadav

In unserem neuen talk-Format „Common Ground“ holen wir Atheer und Isabel auch vor die Kamera. Die erste Folge mit Atheer ist bereits online, die zweite Folge mit Isabel erscheint im März.

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