Österreich steht zum dritten Mal eine Koalition aus FPÖ und ÖVP bevor. Die Vorzeichen sind diesmal umgekehrt. mosaik-Redakteur Hannes Grohs über eine rechtsextreme Charakterentwicklung.
Ganz hat Politikwissenschaftler und Tagebuch-Redakteur Benjamin Opratko seinen Humor noch nicht verloren. Sein Interview bei Jacobin Weekly beginnt er mit einer kurzen Zusammenfassung „für alle, die die letzte Staffel ‘Österreich’ verpasst haben.“ Danach wird er aber ernst. Denn die innenpolitischen Entwicklungen der letzten Tage und Wochen in der Serie „Österreich“ sind alles andere als lustig. Bereits zum Jahreswechsel hatten wir uns in der mosaik-Redaktion gefragt, ob es eigentlich noch Hoffnung gibt. Wenige Tage danach der Plottwist: Die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS scheiterten krachend. Schuldzuweisungen folgten auf den Fuß. Was bleibt ist, dass die handelnden Akteur*innen den Weg frei gemacht haben für eine rechtsextreme Regierung aus FPÖ und den radikalisierten Teilen der ÖVP.
Keine Telenovela
Es ist nicht die erste Staffel „Österreich“, in der eine FPÖ-Regierungsbeteiligung ein wesentlicher Strang der Handlung ist. In den Jahren 2000-2006 und 2017-2019 gab es das bereits. Leider ist der Plot dieses Mal keine einfache Wiederholung der Story mit austauschbaren Akteur*innen. So kennt man das aus Telenovelas. Die Serie „Österreich“ gleicht dramaturgisch vielmehr Produktionen wie der Dramaserie Breaking Bad, die 2008-2013 lief. Dort spitzt sich die Lage von Staffel zu Staffel zu. Die Szenerie, in der einzelne Folgen ablaufen, wird immer düsterer.
Was das übersetzt heißt? Als Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 erstmals auf Bundesebene eine Koalition mit der FPÖ einging, stellte das einen ‚Tabubruch‘ dar. Ein Aufschrei ging durch weite Teile Europas. Österreich wurde mit Sanktionen belegt und aus internationalen Gremien ausgeschlossen. Heute – in Staffel drei – befindet sich die Kickl-FPÖ in bester autoritärer Gesellschaft. Rechte bis Rechtsextreme regieren in Europa (Italien, Niederlande, Ungarn) oder treiben zumindest den politischen Diskurs vor sich her (Deutschland, Frankreich). In den USA wird Donald Trump in weniger als einer Woche erneut als Präsident angelobt.
Schaden und Spaltung in Staffel eins
Erschwerend kommt hinzu, dass die FPÖ aus ihren ganz persönlichen Staffeln der Regierungsbeteiligung gelernt hat. Es hat eine bedeutende Charakterentwicklung stattgefunden. Im Jahr 2000 zerbrach die ÖVP-FPÖ Koalition nach nur zwei Jahren. Der Grund dafür waren in erster Linie Streitigkeiten innerhalb der FPÖ. Bei den folgenden Neuwahlen im November 2002 stürzte die FPÖ von 27% auf 10% der Stimmen ab. Die ÖVP war mit mehr als 42% die große Siegerin. Die Schwarz-blaue Koalition wurde mit einer geschwächten FPÖ fortgesetzt.
Weniger als drei Jahre später kam es endgültig zum Bruch im Lager rechts der ÖVP. Jörg Haider – der nie ein Regierungsamt innehatte, aber dennoch die blaue Partei maßgeblich lenkte – spaltete sich mit dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) von der FPÖ ab. Heinz-Christian Strache übernahm den blauen Laden als neuer Parteiobmann. Herbert Kickl schwang sich zum Generalsekretär der FPÖ auf. Die ÖVP setzte die Koalition mit dem BZÖ fort. Sie endete regulär im Herbst 2006.
Die FPÖ hatte sich durch ihre Regierungsbeteiligung in Staffel eins stark beschädigt. Das zeigte auch die Wahl 2006, wo sie nur 11% der Stimmen erreichte. Gleichzeitig schaffte die Abspaltung des BZÖ parteiintern eine gewisse Klarheit. Der ohnehin nur noch kleine verbliebene wirtschaftsliberale Flügel war nun endgültig abgewandert. Gelöst von jenen, denen es in der Regierungsbeteiligung sehr offen um Macht und Einfluss ging, konnten sich die Blauen wieder klar als Anti-Systempartei positionieren – unterfüttert mit einer rassistischen Agenda.
Staffel zwei als unerwarteter Slapstick
2017 gab es dann das Comeback der FPÖ in Regierungsverantwortung. Heinz-Christian Strache führte die Blauen bei den Wahlen zu 26% und damit fast auf das Niveau von 1999. Die unter Sebastian Kurz jetzt türkise ÖVP (31%) belohnte das mit der Einladung zu Koalitionsverhandlungen. Am 18. Dezember 2017 lobte Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Türkis-blaue Koalition an. Heinz-Christian Strache wurde Vizekanzler, Herbert Kickl Innenminister.
Nicht wenige trauten der FPÖ zu, sich in Staffel zwei nicht mehr so selbstbeschädigend wie noch in Staffel eins zu verhalten. Auch angesichts der Organisiertheit des kurz’schen Parteiapparats war die Sorge groß: Ein sowohl neoliberales als auch nationalistisches Projekt könnte hier in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren durchregieren und den Staat komplett umbauen. Und das unter ganz anderen Vorzeichen als noch 2000: Sanktionen oder auch nur Empörung auf internationaler Ebene blieben weitestgehend aus. Vielmehr wähnte sich die Kurz-Regierung in bester Gesellschaft: Viktor Orbán war mit seiner rechtsnationalen Fidesz-Partei in Ungarn bereits seit 2010 an der Macht. In Polen regierte die PiS. Über dem großen Teich trieb Donald Trump seit Kurzem sein Unwesen. Und auch in Italien sollte mit der Lega Nord wenige Monate später eine klar rechte Partei an der Regierung beteiligt sein.
Plottwist Ibiza
Erste Schritte zum Türkis-blauen Staatsumbau wurden auch gleich eilig unternommen. Auf FPÖ-Seite rührte insbesondere Innenminister Herbert Kickl fleißig um. Er lässt eine Razzia im Verfassungsschutz durchführen, setzt Einschränkungen in der Rechtsberatung für Asylsuchende durch und nennt Erstaufnahmestellen in Ausreisezentren um. Sozialpolitisch bleiben vor allem die Deckelung der Mindestsicherung sowie die Einführung des 12-Stunden-Tages aus dieser Regierungsphase in Erinnerung. Zudem versuchte die ÖVP mit der Umgestaltung der Medienförderung, die Pressefreiheit in Österreich zu ihren Gunsten einzuschränken.
Die Regierung war in diesem – ihrem – Sinne gut unterwegs. Doch dann folgte eine der erfolgreichsten antifaschistischen Aktionen der 2. Republik und machte Staffel zwei zum Slapstick: Ein heimlich aufgenommenes Video, das Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus mit einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte auf Ibiza zeigt, bringt im Mai 2019 die Regierung zu Fall. Es folgen Neuwahlen. Der Stimmanteil der FPÖ reduziert sich auf 16%. Die ÖVP (37,5%) geht eine Koalition mit den Grünen (14%) ein. Ihre Führung übernimmt im Dezember 2021 Karl Nehammer, nachdem Sebastian Kurz über die Republik bewegende Chatprotokolle gestolpert war. Die FPÖ ist wieder auf die Oppositionsbank gedrängt. Dort schwingt sich Herbert Kickl – nach kurzer Amtszeit von Norbert Hofer – zum FPÖ-Obmann auf.
2025 – FPÖ in der Hauptrolle
Jetzt sehen wir uns Staffel drei einer FPÖ-Regierungsbeteiligung gegenüber. Auf eine Wiederholung der Unfähigkeit (Staffel eins) oder der Dummheit (Staffel zwei) der FPÖ zu hoffen, wäre fatal. Im Gegenteil müssen wir die Charakterentwicklung, die die FPÖ in der Serie „Österreich“ durchgemacht hat, ernst nehmen. Zumal die FPÖ jetzt in der Hauptrolle ist. Die FPÖ ist die stimmenstärkste Partei. Sie wird mit Herbert Kickl aller Voraussicht nach den Kanzler stellen. Sie ist kein Juniorpartner mehr, sondern geht geschlossen und selbstbewusst in die Verhandlungen mit der ÖVP – einer Partei, deren Charakter sich ebenfalls entwickelt hat. Die ÖVP hat sich radikalisiert. Und zwar – in Natascha Strobls Worten – von einer konservativen Volkspartei zur rechtsextremen Kulturkampfpartei.
Der Schaden, den Türkis-Blau in der kurzen Zeit von 2017-2019 angerichtet hat, lässt nur erahnen, wozu eine Regierung unter umgekehrten Vorzeichen fähig wäre, sofern sie funktioniert. Das ist dann doch der letzte Funke Hoffnung, den man sich in diesem Zusammenhang zugestehen darf: FPÖ und ÖVP müssen sich noch auf einiges verständigen. Da ist noch der eine oder andere Plottwist möglich. Vorerst muss die ÖVP die Demütigungen durch die FPÖ hinnehmen. Sie wird das aber nicht auf Dauer tun und ihr Wirtschaftsflügel wird sehr wohl darauf bedacht sein, zu bekommen, was er will.
Sendezeit für die Linke?
Es wäre aber klüger, davon auszugehen, dass sich FPÖ und ÖVP einig werden. Entsprechende Gegenstrategien sollten wir danach ausrichten. Die Sendezeit für linke Positionen war in den vergangenen Staffeln begrenzt. Sicherlich: 2000 gab es die großen Donnerstagsdemonstrationen, die auch 2017 – in kleinerem Ausmaß, aber ebenfalls mit Durchhaltevermögen – wiederholt wurden. FPÖ-Regierungsbeteiligungen waren stets Momente der Politisierung und haben auch Organisationen hervorgebracht, die nach wie vor wichtige Arbeit machen. In der Breite konnte der (extremen) Rechten in Österreich aber wenig entgegengesetzt werden.
Genau das muss aber jetzt passieren. Die letzte große erfolgreiche linke Mobilisierung war jene der Klima(gerechtigkeits)bewegung in den Jahren vor der Corona-Pandemie. Dann waren es wieder die Rechten, die es schafften, Menschen massenweise auf die Straße zu bringen. Angeführt von Kickl, der FPÖ und den Identitären demonstrierten sie gegen die „Corona-Maßnahmen“. Letzten Donnerstag haben sich circa 50.000 Menschen in Wien zusammengeschlossen, um gegen die Blau-schwarze Regierungsbildung ein Zeichen zu setzen. Das ist gut, aber es wird nicht reichen. Wir müssen zusätzliche Wege des Widerstands finden und wir müssen vor allem dort zusammenstehen, wo eine rechtsextreme Politik das Leben von Menschen nicht nur verschlechtert, sondern ganz akut bedroht. Die kommende Staffel „Österreich“ verspricht nichts Gutes. Umso wichtiger ist es, in die Handlung einzugreifen.
*** Wie dieses Eingreifen konkret aussehen kann, wollen wir auf mosaik diskutieren. Außerdem wollen wir jene zu Wort kommen lassen, die von der rassistischen, anti-sozialen und lebensfeindlichen Politik einer Blau-schwarzen Regierung betroffen sein werden. Helft mit, sich mit den politischen Realitäten in Österreich konkret auseinanderzusetzen, sie zu benennen und über die Debatte auch ins Tun zu kommen. kontakt@mosaik-blog.at ***
Foto: Christopher Glanzl