Die Stadt Wien will auf der Freifläche in St.Marx eine Mega-Eventhalle bauen. Die Initiative St.Marx für Alle! will diese Entscheidung nicht hinnehmen. Gemeinsam mit den dort ansässigen Vereinen fordern sie einen öffentlichen Diskurs über die Nutzung der Fläche.
Seit 2015 tut sich auf der Brachfläche neben der Marx-Halle, am Areal der ehemaligen Schlachthöfe im 3. Wiener Gemeindebezirk so einiges. Skater*innen haben in Handarbeit einen DIY-Park gebaut. Ein Gartenverein hat sich angesiedelt und graue Betonfläche in ein Vorzeigebeispiel für ‚Urban Gardening‘ verwandelt. Ein Basketball-Verein hat sich gegründet und immer wieder kamen kleine und große Zirkuskompanien oder experimentelle Architekturprojekte auf die Freifläche. Die Brache lebt und wäre wohl inzwischen noch weitaus lebendiger (und grüner), wenn die Stadt Wien und die Wien Holding, in deren Eigentum sich die Fläche befindet, anders über den Umgang entschieden hätten. Gerade an einem Ort, den so viele als Experimentierfeld für eine andere Form von öffentlichem, gemeinschaftlichen Raum nutzen, verweigert die Stadt Wien jegliche Gespräche.
Verweigerte Mitbestimmung
Am Areal der geplanten Wien-Holding-Arena wurde von Stadtregierung und Wien Holding seit Jahren immer wieder angekündigt, die Öffentlichkeit am Verfahren zu beteiligen. Sie wollen wichtige Entscheidungen in Abstimmung mit denen vornehmen, die die Fläche nutzen oder in der Umgebung wohnen. Ernsthaft versucht wurde das nie. Währenddessen wird seit 2018 versucht das Mega-Projekt ohne Rücksicht auf Stimmen der Vereine und Initiativen durchzudrücken. In der Achterbahnfahrt der spekulativen Preisgestaltung können die endgültigen Kosten dabei nur erahnt werden. Von ursprünglich 250 Millionen Euro stieg der Umfang – nach Ausscheiden der OGS Bristol und Vergabe ohne Neuausschreibung – auf 742 Millionen Euro in der ursprünglichen Einreichung der CTS Eventim. Inzwischen heißt es, das Projekt werde nun schlanker gestaltet und ‚nur‘ 450 bis 500 Millionen Euro kosten. Die Stadt Wien würde nach jetzigem Stand 153 Millionen zuschießen.
Demgegenüber stehen die Bemühungen mit der Stadt Wien ins Gespräch zu kommen. Ohne Kapitalinteressen, ohne Interessen an kommerzieller Stadtentwicklung. Von unten, für alle. Das Ergebnis lässt die Stadtregierung in einem ganz anderen Licht erscheinen, als sie es sich selbst wünschen würde. Im Oktober 2023 brachten St. Marx für Alle eine Petition gegen den Bau der geplanten Megahalle ein. Der Petitionsausschuss lehnte diese ohne Bearbeitung ab. Die Begründung: Die Stadt Wien sei nicht für die Verwaltung der betroffenen Grundstücke zuständig. Der Stadtrechnungshof Wien hielt jedoch bereits im Dezember 2020 fest, dass sich die entsprechenden Flächen über die Fleischmarkt St. Marx Liegenschaftsentwicklung GmbH, einer Tochter der Wien Holding GmbH, im Eigentum der Stadt Wien befinden. Die Entwicklung der Fläche liegt bei der WSE Wiener Standortentwicklung GmbH, die ebenfalls eine hundertprozentige Tochter der Wien Holding GmbH ist. Die Wien Holding GmbH befindet sich wiederum zu im Eigentum der Stadt Wien. Oder doch nicht?
Welchen Wert hat die Stadt?
In einer kapitalistischen Welt ist die Frage nach dem Wert oder Nutzen der Erhaltung von Brachflächen und undefinierten Räumen nur schwer zu beantworten. Manchmal selbst für diejenigen, die selbst Zeit und Arbeit investieren, um offene Orte zu schaffen. Ginge es nur darum, neue Menschen kennenzulernen, bräuchte es vielleicht nicht dieses unendlich mühsame Materialgeschleppe. Um Raum für Austausch zu schaffen reichen eine Feuerstelle und ein paar Sitzgelegenheiten. Warum bleibt also – zum Glück – das Gefühl bestehen, dass Projekte wie die, die auf der Freifläche in St.Marx zu finden sind, dennoch sinnvoll sind und die Arbeit auch etwas zurückgeben kann? Wir bekommen durch die Arbeit an der brachen Fläche das seltene Geschenk, uns vorstellen zu können, was Stadt sein könnte. Und was noch zu lernen ist, um langfristig selbstverwaltete Orte zu schaffen. Wir schärfen das Gespür für die Nuancen in den Vorstellungen der Vereine und Initiativen.
Gleichzeitig bekommen wir aber auch direkt vor Ort zu sehen, mit welchen Mitteln unternehmerisches Kapital sich die DIY-Ästhetik der langsam gewachsenen Orte aneignet und sie zu verschlingen sucht. Aktuelles Beispiel: »Wild im West«zog vor Kurzem auf die Fläche neben dem Gartenverein. Die Rolle der Stadt und ihrer Vermittlungsagenturen ist dabei ein ums andere Mal nur schwer erträglich. Die Agentur »Kreative Räume« sollte eigentlich für Projekte wie die der Gärtner*innen, Skater*innen und Basketballer*innen vermittelnd tätig sein und Baulücken auch für kleine, unrentable Zwischennutzer*innen zugänglich machen. Stattdessen stellt sie lieber der Gentrifizierung vormaliger Arbeiter*innenbezirke die Weichen. Die Firma AVORIS, die am vormaligen Standort des »Wild im West«in der Äußeren Marialhilfer Straße nun ein Wohngebäude baut, freute sich zuvor gewaltig über die Präsenz der »Pioniere der Zwischennutzung«. Sie schreiben über Wild im West:
»#grätzllove. Und das gefällt uns. Weil wir begeisterte Urbanist:innen sind. Und weil diese Zwischennutzung vorwegnimmt, was wir mit all unseren Projekten realisieren wollen – nämlich Räume für ein buntes, intensives und lebendiges Leben. In den eigenen vier Wänden – und im Miteinander.«
Auch auf der Freifläche in St.Marx bereiten nun die Vorboten der Gentrifizierung den Weg für einen fließenden Übergang von selbstverwalteten, gemeinschaftlichen öffentlichen Räumen zu kommerzieller Exklusivität.
Raum für Gemeinschaft
Unser Wohlstand ist nicht im Kapital, sondern in einem sinnerfüllten Leben zu finden. Er ist die Möglichkeit, bleiben zu können, sich verbunden zu fühlen. Mit Menschen und den Orten, an denen neue Vorstellungen eines sozialen Miteinander entstehen, und möglichst vielen das eigene Schaffenspotential zu eröffnen. Wir geben einander Fähigkeiten und Wissen weiter und erproben so einen Ausweg aus der Entfremdung, die diese Stadt so oft hervorruft. Selbst wenn die Brache schlussendlich verbaut würde, so hätten wir immerhin gesehen, was wir selbst schaffen können. Wir testen unsere gemeinschaftliche Stärke; wofür auch immer. Wir erkennen Verflechtungen der Stadt, und vielleicht lernen wir, im Geflecht zu klettern, wie das jährlich von angeheuerten Firmen niedergemähte Unkraut, das längst die Fläche erobert haben könnte.
Die Mitglieder von St. Marx für Alle! sind sich einig: Die Stadt Wien hätte nach wie vor die Möglichkeit, das derzeitige Vorhaben noch einmal zu überdenken. Sie könnte sich mit Nachbar*innen und Nutzer*innen an einen Tisch setzen und Vereinbarungen treffen. Durch die Verhinderung der Partizipation der Bürger*innen wird der Protest gegen die WH-Arena nicht aufhören, sondern nur noch lauter werden. Einen der letzten großen Freiräume der Stadt zu erhalten muss in einer Stadt, die sich „Demokratiehauptstadt“ nennen will, möglich sein und zumindest breit und öffentlich diskutiert werden.
Am Freitag, dem 13.12. startet um 14:00 das “Bummeln gegen die Halle” im Sigmund-Freud-Park. Mehr Infos zu St.Marx für Alle! gibt es hier.
Foto: St.Marx für Alle!