Spaltung statt Stärke: Der feministische Kampftag in Wien

Demo zum feministischen Kampftag

Heute am 8. März finden in Wien wie schon zu anderen Anlässen nicht eine, sondern zwei verschiedene Demos statt. Sara Swoboda fragt sich, wie langfristig widerständige Strukturen aufgebaut werden sollen, wenn die außerparlamentarische Linke es nicht schafft, sich für einen Nachmittag zu vereinen.

Der Feministische Kampftag dieses Jahr zeigt sich zersplittert. Ein ähnliches Bild haben wir letztes Jahr bereits am 1. Mai erlebt. Die Trennung verlief damals entlang reformistischer und revolutionärer Parteipolitik einerseits und der außerparlamentarischen radikalen Linken andererseits. Diesmal ist das anders: Statt einer Spaltung zwischen autonomen und parteipolitischen Akteur*innen sehen wir eine tiefe Kluft innerhalb der außerparlamentarischen radikalen Linken selbst.

Ein Tag, zwei Demos: 8. März in Wien 

Konkret manifestiert sich diese Spaltung in zwei verschiedenen Demonstrationen am 8. März 2025: die „Take Back the Streets“-Demonstration (tbts) des 8M-Bündnisses und die Demonstration von „Feminism Unlimited Wien“. Die erste Demo unter dem Motto „Take back the Streets“ fand 2017 statt. Seitdem hat sich die Konstellation des Bündnisses immer wieder verändert. Das Bündnis hat es jedoch bis zum 7. Oktober 2023 (in großen Teilen) geschafft, queerfeministische und antikapitalistische Organisationen aus der Wiener Linken unter einem Banner zu vereinen. 2024 kam es im Rahmen der Demo am 8. März dann jedoch zu Konflikten, die sich entlang der anti-imperalistischen/anti-deutschen Linie zeichnen lassen. 

Diese Spaltung der Linken in zwei Strömungen entwickelte sich in den 1980er/90er Jahren im deutschsprachigen Raum. Konkret entstand sie durch die Entstehung der „antideutschen Kritik“ am aufkommenden deutschen Nationalismus und dem ansteigenden Rassismus und Antisemitismus, innerhalb und außerhalb der Linken. Oftmals  fokussieren sich „antideutsche“ Gruppen auf die Verteidigung des Staates Israel. Sie lehnen die Ansicht, Israel sei Unterdrücker der palästinensischen Bevölkerung und ein Kolonialstaat, welche „antiimperialistische“ Gruppen oft teilen, ab. In diesem Artikel werde ich nicht auf einer inhaltlichen oder wertenden Ebene auf die einzelnen Positionierungen eingehen. Diese haben sich vor über 30 Jahren entwickelt und sich in beiden Richtungen so weit voneinander entfernt, dass eine klare Argumentation immer schwieriger wird. Wir sehen innerhalb der deutschsprachigen Linken besonders seit dem 7. Oktober verhärtete Fronten. Pro-Palästinensische und „antideutsche“ Gruppen verbringen mittlerweile den Großteil ihrer Außenkommunikation damit, aus Prinzip gegen die andere Seite zu wettern.  

Alte Konflikte – neue Gegenveranstaltungen

Dieselbe Bruchlinie zeigte sich auch am 25. November 2023, dem internationalen Tag gegen patriarchale Gewalt. Auch hier fanden zwei getrennte Demonstrationen statt: eine von der neuen Initiative „Feminism Unlimited Wien“ und eine weitere, organisiert von Rosa Österreich, fembloco Descolonial und anderen. Die Spaltung in Pro-Palästina und eher „antideutsch“, die sich dabei abzeichnete, zieht sich inzwischen durch nahezu alle großen linken Mobilisierungen in Wien, sei es die Proteste gegen den Akademikerball oder die Gegendemonstrationen zum „Identitären-Gedenken“.  

Die unterschiedlichen Positionierungen der Gruppen spiegeln sich auch in ihren öffentlichen Statements wider. Auf Instagram schreibt tbts: „Von Palästina über Iran bis Kongo und Sudan – unser Feminismus ist international, antikolonial und antiimperialistisch!“ Feminism Unlimited hingegen betont: „Bei uns gibt es keinen Platz für Antisemitismus, Rassismus, Transfeindlichkeit und autoritäres Verhalten!“ Auf den ersten Blick wirkt dies nicht unbedingt widersprüchlich, jedoch ist die explizite Benennung von Palästina beziehungsweise Antisemitismus ein Statement zwischen den Zeilen.

Weiters schreibt Feminism Unlimited Wien: „Wir können uns nicht auf Organisationen verlassen, die keine Antwort auf autoritäre Gruppen und Antisemitismus haben. Wir brauchen radikalere und emanzipatorische Ansätze, um das Patriarchat zu zerschlagen. Der 8. März gehört uns allen und wir nehmen ihn uns zurück.“ Tbts hat es seit fast einem Jahrzehnt geschafft, eine Großdemo für den feministischen Kampftag aufzustellen. Diese Leistung stellt nun Feminism Unlimited in Frage, indem sie „sich den 8. März zurücknehmen“. Wenn Gegenveranstaltungen von männlich-dominierten „antideutschen“ Gruppen angekündigt werden, wundern sich viele nicht mehr – da die ursprüngliche Abspaltung aus diesen Kontexten kommt. Wenn der Bruch und die nicht klar begründeten Vorwürfe jedoch von vermeintlichen Queerfeminist*innen propagiert werden, dann verursacht dies Bauchweh und Frust. 

Die queerfeministische Bewegung zwischen Solidarität und Spaltung

Was bedeutet dies nun für den diesjährigen 8. März? Diejenigen, die tief genug in der Wiener Linken verwurzelt sind, um die Spaltung zu verstehen, stehen nun vor einer Entscheidung: Besuchen sie beide Demonstrationen oder nur eine davon? Für viele von uns geht diese Wahl nicht (nur) mit politischer Abwägung einher, sondern auch mit Frustration und Wut über die eigene Bewegung.

Statt gemeinsamer Stärke und kämpferischer Entschlossenheit dominiert Spaltung. Für Menschen, die keinen tiefen Einblick in die internen Dynamiken haben, stellt sich das Problem anders dar: Sie gehen möglicherweise einfach zu jener Demonstration, die ihnen der Instagram-Algorithmus zuerst anzeigt und finden sich dann womöglich auf einer Demo wieder, die ihre Ansichten nicht repräsentiert – oder sie sehen beide Aufrufe und sind verwirrt. In jedem Fall bedeutet die Zersplitterung eine Schwächung: Statt Tausenden von Menschen, die in den vergangenen Jahren gemeinsam auf die Straße gingen, könnte die Zahl der Teilnehmenden sinken. Die tbts Demos haben den 8. März erfolgreich zu einem Großdemotag, der auch über die radikale Linke hinausgeht, gemacht. Dies könnte jetzt anders aussehen.

All das geschieht ausgerechnet in einer Zeit, in der die queerfeministische Bewegung besonders gefordert ist. Weltweit erleben wir einen antifeministischen Backlash, autoritäre Ideologien gewinnen an Einfluss, und patriarchale Strukturen verfestigen sich erneut. Gerade in einer Zeit, in der viele der aktuellen Krisen – von der Klimakatastrophe bis hin zu globalen bewaffneten  Konflikten – eng mit der Krise patriarchaler Männlichkeit(en) verknüpft sind. Patriarchale Männlichkeiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie in ihren Praktiken und Wertvorstellungen, Natur und Frauen* ausbeuten, und alle die nicht cis-endo-hetero sind auslöschen wollen.

Als Reaktion auf feministische Bewegungen sehen wir eine Rückkehr zu solchen patriarchalen Männlichkeiten, sichtbar in der Beliebtheit von Männern wie Herbert Kickl, Donald Trump, Elon Musk und Benjamin Netanyahu, und von fundamentalistischen Organisationen wie der Hamas und dem IS. Während weltweit verschiedene Formen fundamentalistischer Männlichkeit wieder an Zulauf gewinnen, verharrt die radikale Linke in den immer gleichen Spaltungen. Die Art und Weise, wie die feministische Linke mit der Spaltung umgeht, ist in sich eher patriarchal als emanzipatorisch. Statt Streitigkeiten auszutragen und in Folge dessen auf Gemeinsamkeiten im politischen Kampf zu setzen, wird der Konflikt über anprangernde Gegenveranstaltungen und Schuldzuweisungen auf Social Media ausgetragen. Streit muss ein Bestandteil feministischer Praxis sein. Sich wirklich streiten kann man jedoch nur, wenn man in ehrlichen Austausch tritt. 

Feminismus in Zeiten des patriarchalen Backlashs

Die Notwendigkeit, sich diesen Verflechtungen von Krisen und Männlichkeiten entgegenzustellen, wird immer größer. Ein 8. März im Jahr reicht noch nicht, um das Patriarchat zu zerschlagen. Jedoch bleibt uns die Frage: Wenn es uns nicht gelingt, uns für eine Demo im Jahr zu vereinen, wie sollen wir dann langfristig widerständige und solidarische Strukturen aufbauen? Ob es gelingt, den 8. März in Zukunft zu einem Zeichen der Stärke zu machen, hängt nicht zuletzt davon ab, ob diese Spaltung (zumindest für einen Tag) beiseite gelegt werden kann – oder ob sich die Wiener Linke weiter in internen Kämpfen verliert.  

Foto: Raquel Garcia auf Unsplash

Autor

  • Sara Swoboda

    Sara Swoboda ist Aktivistin in der antikapitalistischen Klimagerechtigkeitsbewegung und beschäftigt sich mit Fragen der Zusammenarbeit innerhalb der außerparlamentarischen Linken in Wien.

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