Sozial gerechte Energiepolitik: Wien auf die Finger schauen

Das Gebäude der Wien Energie

Mit Wien Energie und Wiener Netze als öffentliche Unternehmen hat die Stadt viele Möglichkeiten eine sozial gerechte Energiepolitik durchzusetzen. Politökonom Jakob Zwirnmann über Umverteilung von unten nach oben und Handlungsspielräume.

„Wien wieder leistbar machen“ – unter diesem Motto starteten KPÖ und LINKS vor kurzem in den Wahlkampf. Um ihre Forderung symbolisch zu unterstreichen, zerschnitten die Spitzenkandidatinnen mit einer übergroßen Schere eine ebenso übergroße Wien-Energie-Rechnung. LINKS-Aktivistin und Listendritte Anna Svec erklärte dazu: „Wien Energie gehört der Stadt Wien. Es ist an der Zeit, dass ein Unternehmen, das den Wiener*innen gehört, auch für uns arbeitet, statt Rekordgewinne auf unsere Kosten zu machen.“ Was hat die SPÖ in der Energiepolitik in den letzten Jahren verabsäumt und wo kann eine Opposition links der Sozialdemokratie Druck machen?

Hohe Preise und Rekordgewinne

Auch wenn die hohen Energiepreise nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wieder gesunken sind, leiden insbesondere einkommensschwache Haushalte weiterhin unter hohen Energiekosten. Rund vier Prozent der österreichischen Haushalte sind von Energiearmut betroffen. Sie können ihren Energiebedarf nur teilweise oder gar nicht decken. Das hohe Niveau, auf dem sich die Energiepreise vorerst stabilisiert haben, ist aber nicht nur für die ökonomisch Ärmsten ein Problem. Viele Menschen kämpfen mit finanziellen Belastungen. Gleichzeitig verzeichnen Energieversorger Rekordgewinne: Allein Wien Energie erzielte 2022 und 2023 387 bzw. 598 Millionen Euro Gewinn. 

Diese Gewinne entstehen vor allem durch das europaweite Merit-Order-System. Der gestiegene Gaspreis bestimmt den gesamten Strommarktpreis, sodass auch günstiger erzeugter Strom – etwa aus Wasserkraft oder anderen Erneuerbaren – zu hohen Preisen verkauft werden kann. Wien Energie profitiert von diesem System. In den letzten Jahren konnte das Unternehmen den Strom aus den eigenen Kraftwerken zu einem Preis verkaufen, der deutlich über den Erzeugungskosten lag. Für Haushalte bedeutet das: Sie zahlen aktuell oft weit mehr für Strom, als dessen Erzeugung durchschnittlich tatsächlich kostet. Besonders problematisch ist dabei die Preisgestaltung: Haushalte mit geringem Verbrauch zahlen pro Kilowattstunde deutlich mehr als Großverbraucher, die zu vergünstigten Tarifen Strom beziehen.

Netzentgelte als zusätzliche Belastung

Zusätzlich stellen steigende Netzentgelte eine wachsende finanzielle Belastung für Haushalte dar. Mittlerweile machen sie fast 30 % der Stromrechnung aus und sind zuletzt um 23 % gestiegen. Hauptursache dafür sind Investitionen in die Netzinfrastruktur, die erforderlich sind, um erneuerbare Energien effizienter zu integrieren. Die Verteilung der Netzkosten erfolgt über die von der Regulierungsbehörde E-Control festgelegten Netzentgelte. Je nach Art der Netznutzung (bspw. Erzeugung oder Verbrauch), ihrem Umfang und der geografischen Lage gelten unterschiedliche Tarife. Dabei zeigt sich, dass diese Entgelte ebenfalls regressiv gestaltet sind: Während kleine Haushalte einen überproportional hohen Anteil der Netzkosten tragen, profitieren Industrie und Großverbraucher von deutlich niedrigeren Tarifen. 

Diese ungleiche Belastung wird sich in Zukunft weiter verschärfen. Ein wesentlicher Grund dafür sind die hohen Investitionen in die Stromnetze, die über die Netzentgelte finanziert werden. Gleichzeitig sinkt der Stromverbrauch aus dem öffentlichen Netz durch die zunehmende Eigenversorgung mit Solaranlagen.  Die Netzentgelte orientieren sich überwiegend am Energieverbrauch. Deswegen sparen Haushalte mit eigener Stromerzeugung anteilig an den Netzkosten – obwohl sie das Netz weiterhin nutzen und teils sogar stärker beanspruchen. Die steigende finanzielle Last verteilt sich dadurch zunehmend ungerechter auf die Haushalte. Besonders ungleich ist die Beteiligung der Stromerzeuger wie Wien Energie: Sie tragen aktuell lediglich sechs Prozent der gesamten Netzkosten.

Umverteilung von unten nach oben

Vor diesem Hintergrund wirkt die Gestaltung der Energie- und Netzkosten derzeit wie eine Umverteilung von unten nach oben. Österreich unterscheidet sich von vielen anderen europäischen Ländern dadurch, dass ein Großteil der Energieunternehmen und Netzbetreiber in öffentlicher Hand sind. Wien Energie und Wiener Netze sind dafür die besten Beispiele. Durch den öffentlichen Besitz fließen die Gewinne nicht in private Taschen. Das allein macht die Energieversorgung aber nicht automatisch gerechter.

Wer gut gesinnt ist, kann Wien Energie zugute halten, dass das Unternehmen nach den Rekordgewinnen mit Rabatten und Preissenkungen gearbeitet hat, eine Anlauf- und Beratungsstelle für Energiearmut anbietet und Gewinne teilweise in Projekte zur – definitiv notwendigen – Dekarbonisierung fließen. Bei all diesen Maßnahmen bleibt aber ein entscheidender Haken: Diese Gewinne resultieren aus einer sozial ungerechten Preispolitik. Investitionen, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert, dürfen nicht zu Lasten der finanziell Schwächsten gehen.

Sozial gerechte Energiepolitik statt Ausreden

Wien Energie muss sich in ihrer Preisgestaltung an gesetzliche Vorgaben halten. Das lässt sich auch nicht von heute auf morgen ändern. Wie alle Unternehmen unterliegt auch Wien Energie dem Wettbewerbsrecht und somit der Prüfung der Bundeswettbewerbsbehörde. ‚Zu niedrige Preise‘ würden einen Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung darstellen und als wettbewerbsverzerrendes Preisdumping bewertet werden. Das sollte der Stadt Wien und somit der SPÖ aber nicht als Ausrede dienen, eine sozial gerechtere Energiepolitik vorzugeben.

Müllverbrennungsanlage Spittelau
Müllverbrennungsanlage Spittelau | (c) Phili Kaufmann

Eine erste Möglichkeit ist die Entwicklung fairerer Tarifmodelle, die innerhalb der wettbewerbsrechtlichen Vorgaben umsetzbar sind. Außerdem bedarf es mehr Transparenz bei der Preisgestaltung und den Investitionsentscheidungen eines so zentralen Unternehmens. Ein zweiter Schritt muss sein, sich intensiv mit der Sinnhaftigkeit bestimmter regulatorischer Vorgaben auseinanderzusetzen.

Dass die Politik nicht umhin kommt, sich Fragen der Leistbarkeit von Energie zu widmen, zeigt auch das Programm der neuen Bundesregierung. Darin ist ein „Sozialtarif für einen Energie-Grundbedarf für besonders von Energiearmut betroffene Haushalte“ vorgesehen. Zudem kündigen ÖVP-SPÖ-NEOS auf europäischer Ebene den Einsatz zur Reform des Merit-Order-Systems an. Eine Opposition links der SPÖ in und außerhalb des Parlaments muss hier Druck machen, damit diese Vorhaben nicht nur vage Ankündigungen bleiben. In Wien muss darauf hingearbeitet werden, dass die bestehenden Handlungsmöglichkeiten öffentlicher Unternehmen tatsächlich genutzt werden.

Energiegrundsicherung als langfristige Lösung

Mittel- und langfristig muss die Energiepolitik über Reformen innerhalb des bestehenden Systems hinausgehen. Ein Ansatz könnte die Einführung einer Energiegrundsicherung sein. Energie ist dabei als Grundbedürfnis zu verstehen und allen Menschen in bestimmten Umfang zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig muss übermäßiger Verbrauch vermieden werden. Dies erfordert eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie viel Energie für die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse notwendig ist. So könnten soziale und ökologische Aspekte der Energieversorgung endlich gemeinsam gedacht werden.

Letztlich muss das Ziel sein, essenzielle Bedürfnisse wie Heizen und Strom von marktwirtschaftlichen Zwängen zu befreien. Wien könnte hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Als Eigentümerin von Wien Energie hat die Stadt die Möglichkeit, direkt Maßnahmen für eine sozial gerechtere Energieversorgung umzusetzen. Eine umfassende Neuausrichtung der Energiepolitik erfordert tiefgreifende strukturelle Veränderungen, die zwangsläufig mit den Interessen der Industrie und Energiewirtschaft kollidieren. Nationale Alleingänge stoßen dabei schnell an ihre Grenzen, da viele zentrale Regelungen auf EU-Ebene getroffen werden. Deshalb sind europaweite Reformen unerlässlich. Ohne grundlegende Änderungen auf EU-Ebene wird es kaum gelingen, eine ökologische und sozial gerechte Energieversorgung sicherzustellen.

Über das Bestehende hinausgehen

Obwohl der notwendige energiepolitische Wandel über die Stadtgrenzen hinaus reichen muss, hat die SPÖ ihren Einfluss auf Wien Energie kaum genutzt. Statt die ökologischen und sozialen Grenzen des Möglichen auszuloten, macht sie es sich mit Verweis auf bestehende Spielregeln in einer passiven und intransparenten Rolle gemütlich. KPÖ und LINKS müssen Druck aufbauen, damit die SPÖ und Wien Energie ihre Handlungsspielraum nutzen und mit Forderungen wie einer Energie-Grundsicherung über das Bestehende hinausgehen. In jedem Fall muss die nächste Wiener Regierung dazu gebracht werden, die Ungerechtigkeiten in der Energieversorgung ernstzunehmen. Denn Strom und Wärme sind kein Luxus, sondern ein Grundbedürfnis, das für alle leistbar sein muss.

Titelfoto: Phili Kaufmann

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Autor

  • Jakob Zwirnmann

    Jakob Zwirnmann ist Wirtschaftsingenieur und Politökonom. Er befasst sich insbesondere mit der Frage, wie eine sozial und ökologisch gerechte Energiepolitik gestaltet werden kann.

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