Gusch jetzt! Wie die Stadt Wien soziale Bewegungen einschüchtert

Einschüchterungsklagen, sogenannte SLAPP-Klagen, unterbinden Kritik und wirken sich verheerend auf den öffentlichen Diskurs aus. Die Stadt Wien drohte damit zuletzt den Protestierenden im Konflikt um die „Stadtstraße“ Aspern.

Im Dezember 2021 erhielten rund 50 Personen, die sich gegen den Bau der „Stadtstraße“ Aspern einsetzen, per anwaltlichem Schreiben Schadenersatzdrohungen der Stadt Wien. Betroffen sind Aktivist*innen der Lobau-Besetzung. Aber auch Wissenschafter*innen, die sich gegen die mehrspurige Straße aussprechen, und Personen, denen „mentale Unterstützung“ des Protests auf Social Media vorgeworfen wird. Auch 13- und 14-jährige Jugendliche bekamen die Schadenersatzdrohung – für ihr Engagement gegen die Klimakrise.

Die angedrohten rechtlichen Schritte deuten auf eine mögliche „SLAPP“-Klage (auf Englisch „Strategic Lawsuit Against Public Participation“) hin. Nicht zufällig lautet die deutsche Übersetzung „Einschüchterungsklage“. Meistens handelt es sich bei SLAPP-Kläger*innen um Konzerne, reiche Privatpersonen oder staatliche Stellen. Das Ziel der Klage ist nicht, am Ende vor Gericht zu gewinnen, sondern das Gegenüber – meistens Journalist*innen, NGOs oder Aktivist*innen – durch den Gerichtsprozess einzuschüchtern. Denn ein Rechtsverfahren bedeutet, sich um Verteidigung zu kümmern, Gerichts- und Anwaltskosten vorzustrecken und mit dem finanziellen und psychologisch belastenden Risiko zu leben, den Prozess doch zu verlieren und auf den Kosten sitzen zu bleiben. Im Gegensatz dazu sind für mächtige Kläger*innen die Prozess- und Anwaltskosten keine Belastung.

Reiche, Konzerne… und die Stadt Wien

Im angloamerikanischen Raum ist diese Taktik, Aufdecker-Journalist*innen oder politische Gegner*innen durch Klagen mundtot zu machen, schon lange verbreitet. Auch in der EU gibt es mittlerweile ein steigendes Bewusstsein für SLAPP und ihren verheerenden Effekt auf die Meinungsfreiheit und die öffentliche Debatte.

In Österreich sorgte 2020 die Klage der OMV gegen die Rechercheplattform Dossier für Aufregung. Dossier veröffentlichte Ungereimtheiten bei der Übernahme des Chemiekonzerns Borealis durch die teilstaatliche OMV und bangte nach der Klagszustellung um seine finanzielle Existenz. Der öffentliche Aufschrei führte schlussendlich zur Klagsrücknahme. Im Sommer 2021 klagte der Immobilienkonzern Signa die Online-Zeitung Zack-Zack wegen der Veröffentlichung zweier Artikel zur Übernahme von Kika/Leiner. Nun stellt die Stadt Wien friedlichen Aktivist*innen bei der Baustelle zur Stadtstraße Aspern Klagen wegen „immens hoher Schäden“ in Aussicht. Sie macht somit als öffentliche Akteurin von einer Klagsdrohung Gebrauch.

Eine Gefahr für die Demokratie

Im Fall einer SLAPP-Klage stehen Journalist*innen, NGOs und Aktivist*innen, die Missstände oder Korruption sichtbar machen und anklagen, plötzlich auf Beklagtenseite. Der politische Konflikt wird in einen rechtlichen umgewandelt, die rechtlichen Normen geben vor, um welches Verhalten gestritten wird.

Klagen treffen jedoch nicht nur die Betroffenen. Sie schrecken auch andere Personen ab, öffentlich Stellung zu beziehen und ihre Kritik zu äußern. Hier endet schlussendlich zivilgesellschaftliches Engagement, wenn alle Personen, die sich aktiv für etwas einsetzen wollen, mit Klagen und finanziellen Risiken rechnen müssen. Eine Demokratie darf so etwas nicht zulassen.

Die Rechtsordnung tut das aber. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) macht deutlich, dass bei solchen Klagen und gerichtlichen Entscheidungen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zum Schutz der Beklagten und der allgemeinen öffentlichen Meinungsbildung berücksichtigt werden muss. Trotzdem bleibt klar, dass SLAPP-Klagen vor allem in eine Richtung funktionieren: Mächtige Private oder staatliche Stellen nutzen ihren Zugang zum Recht und kennen kein persönliches Kostenrisiko. Das ungleiche Kräfteverhältnis übersetzt sich hier ins Recht.

Was tun gegen SLAPP-Klagen?

Für Betroffene stellt sich die Frage, wie sie auf eine Klage reagieren. Und ob sie sich in einem laufenden Verfahren überhaupt öffentlich zu Wort melden sollen. Beim geforderten Baustopp der Stadtstraße Aspern wurde von der Stadt Wien eine Schadenersatzklage vorerst „nur“ angedroht. Es war definitiv ein richtiger Schritt, das Vorgehen der Stadt Wien publik zu machen. Die Stadt Wien musste bereits zurückrudern und zog die Klagsdrohung gegen betroffene Jugendliche zurück. Gegen Erwachsene bleibt sie allerdings aufrecht.

Eine Gruppe von Anwält*innen und Jurist*innen leistet bereits auf solidarischer Basis rechtliche Unterstützung. Ein gemeinsames geschlossenes Vorgehen der Betroffenen – sowohl in der möglichen rechtlichen Auseinandersetzung als auch in der politischen Kommunikation – wird den Druck auf die Stadt Wien weiter erhöhen, die Klagsdrohungen fallen zu lassen. Die SP-Stadtregierung wird abwägen müssen, ob sie den großen politischen Schaden durch die angedrohten Einschüchterungsklagen wirklich über einen längeren Zeitraum in Kauf nehmen will. Denn mit Demokratie und Meinungsvielfalt hat das juristische Vorgehen der Stadt Wien nichts mehr zu tun.

Die Proteste um die Stadtstraße Aspern sind Ausdruck, Symbol und Tat für den Kampf um Klimagerechtigkeit. Längst sind sie aber auch zu einem Konflikt um politische Mitbestimmung geworden, die wir uns nicht von Klagsdrohungen wegnehmen lassen dürfen.

Der vorliegende Text baut auf dem gemeinsam mit Maximilian Blaßnig verfassten Beitrag „SLAPP und SLAPP-Back. Einschüchterungsklagen im grundrechtlichen Spannungsfeld“ im juridikum 4/2021 auf.

Autor

 
Nach oben scrollen