Sicherheitszone für Demokratie: Protest an der türkischen Botschaft

Aktivist*innen mit einem Banner vor der türkischen Botschaft

In den frühen Morgenstunden haben rund 25 Aktivist*innen eine „Sicherheitszone für Demokratie“ vor der türkischen Botschaft in Wien errichtet. mosaik hat mit Flora Koss und Simon Walser vom Aktionsbündnis gesprochen und mehr über die Hintergründe der Aktion erfahren.

Seit dem 27. November 2024 befindet sich Syrien im Umbruch. Von der Provinz Idlib ausgehend startete der islamistische Milizverband HTS eine Offensive. Diese sollte auf wenig Widerstand des syrischen Regimes und seiner Verbündeten stoßen und am 08. Dezember zum Sturz von Langzeit-Diktator Baschar Al-Assad führen. Auch die von der Türkei aufgebaute SNA mischt fleißig mit und greift insbesondere die Gebiete der Demokratischen Autonomen Selbstverwaltung Nordostsyrien (DAANES) an. Der türkische Staat unterstützt mit Angriffen aus der Luft. In Europa und Österreich werden die Entwicklungen gespannt beobachtet. Dabei wirkt vor allem eines wichtig: Den Schein gemäßigter Islamisten aufrecht zu erhalten. Immerhin will man möglichst schnell wieder nach Syrien abschieben. Gegen diesen Diskurs wendet sich das zivilgesellschaftliche Aktionsbündnis „Sicherheitszone für Demokratie“ mit ihrem Protest. Es ruft dazu auf, sich den demokratischen Kräften vor Ort zuzuwenden und fordert ein Ende der Zusammenarbeit mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan.

mosaik: Seit 7.30 Uhr seid ihr vor der türkischen Botschaft in Wien. Was macht ihr hier?

Flora: Wir haben vor der türkischen Botschaft eine Sicherheitszone für Demokratie errichtet. Wir wollen damit ein Zeichen im österreichischen Diskurs setzen. Die Umbrüche in Syrien sind historisch. Die Zeit von Langzeitdiktator Baschar al-Assad ist zu Ende. Das ist ein Chance. Aber sie kann den Menschen vor Ort schnell durch die Finger rinnen. Wir müssen jetzt alle politische Energie darauf verwenden, einen demokratischen Wandel zu unterstützen. Aber die österreichische Politik tut genau das nicht und auch die Medien tragen nicht ihren Teil zur Aufklärung der Situation bei.

Was kritisiert ihr konkret?

Simon: Es gibt in Syrien Kräfte, die seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 um eine demokratische Lösung des Konflikte im Land bemüht sind. Dabei handelt es sich konkret um die Demokratische Autonome Selbstverwaltung in Nordostsyrien – kurz DAANES (Democratic Autonomous Administration North-East Syria; Anm. Redaktion). Vielen ist sie auch unter dem kurdischen Namen Rojava bekannt. Die österreichische Öffentlichkeit schweigt weitestgehend zur DAANES, obwohl ihr Gebiet rund ein Drittel von Syrien umfasst. Ab und zu schaffen es ihre Streitkräfte, die Syrian Democratic Forces (SDF) in die Medien. Die werden dann aber meist verkürzt als Kurdenmiliz bezeichnet. Wir kritisieren, dass hier nicht genauer hingeschaut wird.

Flora: Genau. Denn, wenn man genauer hinschauen würde, dann würde man sehen, dass in der DAANES bereits gelebt wird, was jetzt für ganz Syrien gefordert wird: Demokratische Mitbestimmung, Schutz von Minderheiten und Frauenrechte. Wir haben aber das Gefühl, dass das ein bewusstes Wegschauen ist. Mit Blick auf Österreich kann man sagen: Nehammer und Co geht es nicht um Demokratie in Syrien. Es geht ihnen um Argumente, möglichst schnell nach Syrien abschieben zu können. Deswegen heften sie sich auch an die Fersen des Tyrannen Erdoğan.

Womit wir auch beim Ort eurer Aktion wären: Warum habt ihr die Sicherheitszone für Demokratie heute vor der türkischen Botschaft errichtet?

Simon: Vor Ort stellen tatsächlich gerade Erdoğan und der türkische Staat die größte Gefahr für einen demokratischen Wandel dar. Wobei natürlich nicht übersehen werden darf, dass es mit Russland, den USA, aber auch Israel und dem Iran auch noch andere internationale und regionale Interessen gibt. Doch die Türkei ist es, die die DAANES aktiv angreift. Einerseits durch die pro-türkische SNA und andererseits mit Luftangriffen des türkischen Militärs. Hier ist unter anderem aktuell die Grenzstadt Kobanê stark unter Druck. 2014 wurde sie zum Symbol der Widerstands gegen den Islamischen Staates (IS). In Kobanê konnte ihm durch die kurdischen Kräfte die erste große Niederlage zugefügt werden.

Flora: Man muss aber auch weiter zurück schauen. Seit Ausrufung der Autonomen Selbstverwaltung im Jahr 2012 bezeichnet Erdoğan sie als terroristische Gefahr. Deswegen verfolgt er auch den Plan, eine Sicherheitszone unter türkischer Kontrolle auf syrischem Staatsgebiet einzurichten. Das ist ihm in den Jahren 2016, 2018 und 2019 auch schon teilweise gelungen. Die Türkei hält seitdem Gebiete in Syrien völkerrechtswidrig besetzt und hat Teile der dort ansässigen Bevölkerung – insbesondere Kurd*innen und andere Minderheiten – vertrieben. Wir drehen mit unserer Sicherheitszone für Demokratie den Spieß heute um und sagen: Erdoğan ist der Terrorist. Er und der türkische Staat haben die Selbstverwaltung in den letzten zehn Jahren mit allen Mitteln bekämpft. Dazu gehören regelmäßige Luftangriffe auf zivile Infrastrukturen, das Stärken islamistischer Kräfte in der Region und die gezielte Ermordung (ziviler) Repräsentant*innen der DAANES durch Drohnenangriffe. Es ist fast zynisch festzustellen, dass so demokratische Entwicklungen nicht gestärkt werden.

Aktivist:innen mit Bannern vor der türkischen Botschaft in Wien

Was fordert ihr?

Flora: Wie gesagt in Bezug auf die Region glauben wir, dass jetzt alle politische Energie in die Unterstützung des demokratischen Aufbaus fließen muss. Wir sind es leid, diesbezüglich etwas von der Politik zu fordern. Aber eine Anerkennung der DAANES halten wir für unbedingt notwendig, genauso wie ein Ende sämtlicher Deals mit Erdoğan. Außerdem sollte sich in eine kritische Distanz zu den Islamisten der HTS begeben werden. Ihre Anführer sind nicht dumm. Sie wissen, was der Westen hören will. Insofern würden wir davon abraten, mit ihnen Tee zu trinken, wie das zuletzt der ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary getan hat. Auch die Medien sollten sich verstärkt den demokratischen Kräften zuwenden.

Simon: Was wir auch fordern, ist, sich nicht auf den rassistischen Abschiebediskurs einzulassen, der in Österreich insbesondere von der ÖVP bedient wird und auch schon in Deutschland aufkam. Als erstes angesichts der aktuellen Lage darüber nachzudenken, wie man Menschen am besten zwangsweise außer Landes bringen kann, widert uns an. Wir sprechen uns für das Bleiberecht aller Syrer*innen aus. Menschen sollen selbstbestimmt entscheiden können, wo sie leben möchten.

Wie sind bislang die Reaktionen auf eure Aktion und wie lange werdet ihr bleiben?

Flora: Verständlicherweise waren die Menschen im Frühverkehr nicht begeistert, dass es zu Verzögerungen kam. Wir haben hier aber versucht, mit Passant*innen-Information entgegen zu arbeiten. Unser Protest war und ist nicht gegen sie gerichtet. Wir hoffen, dass alle noch halbwegs rechtzeitig zu ihren Terminen gekommen sind. Mit Mitarbeitenden der türkischen Botschaft waren wir bislang nicht in Kontakt. Die Polizei ist schon seit einiger Zeit vor Ort. Wir lassen uns unseren demokratischen Protest aber nicht nehmen.

Simon: Auf der anderen Seite haben wir im Vorfeld der Aktion viel Zuspruch von Menschen bekommen, die unsere Kritik am derzeitigen Diskurs teilen. Und das sind nicht wenige. Gerade die, die selbst Erfahrungen mit dem basisdemokratischen, feministischen und in Anfängen ökologischen Aufbau in der DAANES bzw. Rojava gemacht haben, sind erschüttert über die aktuellen Entwicklungen. Denn es ist natürlich nicht nur ein Diskurs. Es geht hier um Menschenleben. Jetzt und in Zukunft. Deswegen werden wir auch so lange wie möglich bleiben, um ein starkes Zeichen zu setzen.

Update 16.12.2024 08:15: Die Blockade wurde nach Verhandlung mit der Polizei freiwillig aufgelöst.

Interview: mosaik
Bilder: Aktionsbündnis „Sicherheitszone für Demokratie“

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  • Sicherheitszone für Demokratie

    Das Aktionsbündnis „Sicherheitszone für Demokratie“ setzt sich aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Personen zusammen und möchte auf die Situation der Demokratischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien aufmerksam machen.

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