In Wien wird gewählt. Ein Thema prägte den Wahlkampf wie kein anderes, das Thema Sicherheit. Der Diskurs dazu ist jedoch fehlgeleitet, meint mosaik-Redakteur Luca Niederdorfer. Denn ständig über Sicherheit zu sprechen, vermittelt das Gegenteil.
Geht man in den letzten Wochen durch Wien, kann fast das Gefühl aufkommen, man befinde sich in Sodom und nicht in der Bundeshauptstadt. „Sicherheit & Ordnung, JETZT!“, „Wien wieder sicher machen, Stadtwache jetzt!“, „Unsere Stadt, unsere Regeln“, „Wien bleibt Wien“ und „Es geht um Wien“. Quadratkilometerweise wird Wien mit Plakaten zugekleistert, die ein sehr düsteres Bild der Stadt zeichnen. Auch in den Medien ist ständig von Gewalttaten in Favoriten und Jugendbanden, die Döbling terrorisieren, die Rede. Sie schaukeln sich mit den Parteien in ihrer Panikmache gegenseitig auf. Dabei zeigen Statistiken ein anderes Bild. Und wenn Wien wieder einmal zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wird, lässt es niemand aus, darüber mit ein bisschen stolz zu berichten.
Also was ist Wien dann? Ist es die lebenswerteste Stadt der Welt oder ein Sumpf der Kriminalität? Und was soll es werden? Fast alle Parteien sind sich einig: Wien muss sicherer, geordneter und besser überwacht werden. Doch der Diskurs über Sicherheit ist konstruiert und wird bewusst rassistisch aufgeladen. Er lenkt von Errungenschaften ab, auf denen aufgebaut werden kann und er verschleiert, was die eigentlichen Herausforderungen sind. Eines ist jedenfalls gewiss: Zu einem gesteigerten Sicherheitsgefühl hat dieser Wahlkampf sicher nicht beigetragen.
Was sagt die Statistik?
Es geht also um das Gefühl von Sicherheit. Gefühle sind jedoch schwer messbar. Zahlen sind messbar und geben uns in Form von Statistiken Auskunft über Probleme. Wenn man sich nun Statistiken zu Kriminalität in Wien ansieht, wird das Bild eines Sicherheitsproblems in der Stadt schnell weniger drastisch. Tatsächlich stieg die Zahl der angezeigten Gewaltverbrechen in Wien weniger schnell als im Rest von Österreich. Die angezeigten Fälle unterscheiden sich wiederum stark von den Verurteilungen. Letztere sind geringer. Das zeigt: Durch vermindertes Sicherheitsgefühl tendieren Menschen auch dazu, schneller Anzeigen zu erstatten. Auch im großen Wahlkampf-Thema der Jugendkriminalität lässt sich das erkennen.
Jugendkriminialität ist nämlich nicht das Problem, zu dem es viele Politiker*innen oft machen. Die Zahl der verurteilten Jugendlichen ist über die letzten Jahrzehnte konstant rückläufig. Diese Statistik berücksichtigt jedoch nicht Jugendliche unter 14 Jahren. In diesen haben Politiker*innen ein neues Feindbild gefunden. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig forderte zuletzt, Jugendliche in dafür ausgelegten WGs zwangsweise anhalten zu können. Der Vorschlag sollte Betreuer*innen mit zusätzlichen Befugnissen ausstatten. Die Idee dahinter ist nicht Resozialisierung, sondern Isolation. Die ÖVP brachte letztes Jahr den Vorschlag auf, die Strafmündigkeit in Österreich von 14 auf zwölf Jahre zu senken, und brachte sich damit auf FPÖ-Linie. Dabei sind sich Expert*innen einig, dass dies genau der falsche Weg sei. Weitere Faktoren wie psychische Gesundheit von Jugendlichen, die stark unter den multiplen Krisen der letzten Jahre gelitten hat, spielen in solchen Debatten nur selten eine Rolle.
Rassistische Motive
Die Zahlen widersprechen der Politik also schon einmal. Doch da wäre immer noch das Gefühl von (Un-)Sicherheit. Menschen tendieren dazu, diesem Gefühl ein verhältnismäßig großes Gewicht zu geben. Schließlich ändern Zahlen und Statistiken nicht sofort etwas an der eigenen Wahrnehmung. Woher kommt dieses Gefühl von fehlender Sicherheit? Ganz einfach: Es wird erzeugt, dadurch dass es ständig kommuniziert wird. In dieser Kommunikation spielen Medien eine zentrale Rolle. Immerhin sollen sie uns die Welt zeigen, wie sie ist. In den Medien werden jedoch einzelne Fälle – oft jene, die am meisten Aufmerksamkeit bringen – aufgebauscht. Unsere Wahrnehmung wird dadurch verzerrt. Dahinter stecken gerade im Boulevard oft rassistische Motive. Rechtspopulistische Politik versteht es zusätzlich, Öl in dieses Feuer zu gießen. Diese Brandstifter-Politik findet sich flächendeckend im Wien-Wahlkampf. Die Plakate der FPÖ wirken diesmal im Vergleich fast schon gemäßigt.
Die rechtspopulistische Rhetorik, die vor einigen Jahren noch der FPÖ vorbehalten war, hat inzwischen nämlich in fast allen Parteien Einzug gehalten und den Diskurs in Österreich verschoben. Die ÖVP brachte sich im Thema Sicherheit in den letzten Jahren Wien und bundesweit auf FPÖ-Linie. Sie fordert mehr Polizei und eine eigene Stadtwache. Darüber hinaus greift die Partei mit Sprüchen wie „Deutsch ist Pflicht, Habibi“ und der Forderung, Wien „wieder schlau“ zu machen, in die unterste Schublade der Rassismus-Kommode. Damit ist die ÖVP allerdings nicht alleine. Die NEOS – wenn auch wörtlich etwas abgeschwächt – schlagen mit ihrem Wahlplakat Slogan „Ganz ehrlich, Deutsch ist kein Wahlfach“ in eine ähnliche Kerbe. Die Slogans fußen nicht auf einem Bewusstsein für eigenene Versäumnisse bei Integrationsmaßnahmen in Schulen, sondern auf einer rassistischen Grundannahme. Sie suggerieren, dass sich migrantische Kinder ihre Deutschkenntnisse aussuchen würden.
Repressive Stadtpolitik
Ähnliche Tendenzen lassen sich auch in politischen Iden erkennen. Die NEOS werben in Wien mit ihrem Konzept der „Lichtpfade“. Gewisse Plätze und Wege sollen besser ausgeleuchtet werden, um das allgemeine Sicherheits- und Wohlbefinden in der Stadt zu steigern. Dieses Konzept ist aus feministischer Perspektive durchaus unterstützenswert. FLINTA*-Personen sollen sich sicher durch die Stadt bewegen können. Der Vorschlag der NEOS ist jedoch nicht in eine breitere feministische – geschweige denn antirassistische – Praxis eingebettet. Ihre Forderungen auf Wahlplakaten und in Konzepten bauen auf einer rassistischen Grundstimmung auf, die sie offenbar gerne ausnutzen, anstatt diese zu entschärfen.
Mit der SPÖ hatten die Pinken in dieser Hinsicht in den letzten Jahren den passenden Koalitionspartner in Wien. Daran, wie die Stadt Wien mit öffentlichen Plätzen, an denen Sicherheit als großes Thema galt, umging und -geht, lässt sich eine Wende von einer sozialen, zu einer Law & Order-Rhetorik in der SPÖ erkennen: Die neue Polizeistation am Praterstern, Waffenverbotszonen ebendort sowie in Favoriten und ein Bekenntnis zur Polizei als Exekutor dieser geplanten Sicherheit. Die SPÖ peitscht den Sicherheitsdiskurs in Wien voran und bezieht dabei klar Stellung zu einer repressiven und anti-emanzipatorischen Politik. Damit tragen sie jedoch nicht zu mehr Sicherheit bei, sondern befeuern stattdessen das Gefühl der abstrakten Bedrohung.
Selbstermächtigung statt Fremdbestimmung
Dieses Gefühl der ständigen Bedrohung steht jenem der Sicherheit gegensätzlich gegenüber. Denn das Gefühl von Sicherheit kann man nicht einfach erzeugen. Sicherheit entsteht aus der Abwesenheit eines anderen Gefühls. Menschen fühlen sich sicher, wenn sie sich nicht unsicher fühlen, wenn sie keine Bedrohungen wahrnehmen. Deswegen ist der Diskurs, der momentan in Wien und darüber hinaus zu Sicherheit geführt wird, so falsch. Die ständige Präsenz des Themas, sein Stellenwert auf Wahlplakaten, das Suggerieren von Gefahren, ein erhöhtes Aufgebot von Polizei oder gar einer Stadtwache. Das alles trägt dazu bei, dass Menschen sich unsicher fühlen. Diese Ansätze und Maßnahmen können keine Sicherheit erzeugen. Im Gegenteil, Sicherheit entsteht durch soziale und emanzipatorische Politik.
Menschen fühlen sich sicher, wenn sie sich ihr Leben leisten und es selbst gestalten können. Menschen fühlen sich sicher in einer Stadt, die klimafit ist und in der man im Sommer keine Angst vor dem Hitzetod haben muss. Menschen fühlen sich sicher in einer Stadt, in der Platz für Gemeinschaft und Austausch ist. In der Menschen eher aufeinander zugehen und voneinander lernen können, als Unbekannte immer nur als das Fremde und Gefährliche dargestellt zu bekommen. Menschen fühlen sich sicher in einer Stadt, in der sich alle Menschen, unabhängig von Identität und Herkunft, frei bewegen können. In einer Stadt, in der die Stimmen von marginalisierten Gruppen Platz bekommen und gehört werden. Um das zu erreichen, braucht es neue und alternative Wege, um gesellschaftliche Probleme anzugehen und keinen Rückschritt zu mehr Kontrolle und mehr Überwachung. Nur so kann Sicherheit entstehen und nicht durch hunderte Plakate am Gürtel.

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