Wir müssen über sexuelle Gewalt im Sport reden!

Autoritäre Strukturen, keine Gesprächskultur und mächtige Männer, die schalten und walten wie es ihnen beliebt. Und Missbrauchsskandale, die verspätet, aber doch an die Öffentlichkeit kommen. Der österreichische Sport hat ein Problem – nicht nur im Skisport. Ein Kommentar von Nikola Staritz.

Im November 2017 erzählte die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg im Standard von Übergriffen, Vergewaltigungen und systematischem Missbrauch im österreichischen Skisport. Damit war die #metoo-Debatte auch im Sport angekommen. Weitere Betroffene brachen ihr Schweigen und machten die Alltäglichkeit von sexualisierten Übergriffen im Leistungssport sichtbar.

Nun wurde bekannt, dass Ski-Superstar Toni Sailer 1974 eine Frau in Polen brutal vergewaltigt haben soll. Der Vorfall wurde von Sport- und Politikfunktionären vertuscht. Die Enthüllungen werfen eine unangenehme Frage auf: Sind sexualisierte Übergriffe im Sport ein größeres Problem als anderswo?

Wie ein angeschossener Bär

Die Reaktionen aus dem Skisport waren bisher, nun ja, verschieden. Peter Schröcksnadel, mächtiger Präsident des Österreichischen Skiverbands (ÖSV), reagierte auf Nicola Werdeniggs Erfahrungsbericht mit Drohungen und Gegenangriffen wie ein angeschossener Bär. Auf einmal wollte der ÖSV mit seinen Leistungsschulen, wie dem Skigymnasium in Stams oder der Skihauptschule in Neustift, auf die er sonst so stolz ist, nichts mehr zu tun haben.

Andere, wie ehemalige ÖSV-Sportdirektor Toni Innauer, kritisierten ihn dafür und plädierten für Offenheit und die Aufarbeitung der Geschehnisse. Auch sie betonten aber, dass es sich bei den Übergriffen um Einzelfälle handeln müsse. Die aktiven österreichischen Skistars wiederum zeichneten sich durch penetrantes Schweigen aus – eine Qualität, die der ÖSV seinen Schützlingen offensichtlich bis zur Perfektion antrainiert.

Hat der Sport ein Problem?

Die Reaktionen der Allgemeinheit auf die systematischen Übergriffe im Skisport können grob in zwei Gruppen geteilt werden. Da ist einerseits die Fraktion der „Sporthasser_innen“. Für sie ist Sport generell suspekt und Opium fürs Volk. Sie relativierte die Enthüllungen mit einem „Na das war ja klar, der Sport! Das sind ja lauter Trotteln, das hab ich schon immer gewusst!“.

Die andere Hälfte, nennen wir sie die „Sport-Afficionados“, schob mit einem reflexartigen „Ja, aber das ist ja ein allgemeines Problem, der Sport ist doch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft und das hat doch mit dem Sport an sich gar nix zu tun“ die Verantwortung ins Nirwana ab. Doch wer hat recht?

Sportalltag und Sportkultur

In kaum einem gesellschaftlichen Bereich ist das Umfeld dermaßen männlich wie im Sport. Das betrifft nicht nur die Repräsentations- und Leitungsebene (z.B. Frauenanteil auf Vorstandsebene der Fachverbände: 13 Prozent) und die Athlet_innen selbst (ca. 23 Prozent Frauen). Besonders der sportliche Alltag ist fast ausschließlich von Männern geprägt: Trainer, Funktionäre, Sportärzte, Journalisten. Wenn es hoch kommt, gibt es in einem Sportverein zumindest die eine oder andere weibliche Physiotherapeutin.

Sowohl männliche als auch weibliche Athlet_innen, seien es Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, sind oft ausschließlich von Männern umgeben. Im Leistungssport gibt es oft keinerlei weibliche Bezugspersonen im Alltag.

Weibliche Bezugspersonen fehlen

Schulen haben beispielsweise die Auflage, dass bei jedem Ausflug auch eine gleichgeschlechtliche Bezugsperson mitfahren muss. Wenn Mädchen dabei sind, muss also zumindest eine Frau als Ansprechperson anwesend sein. Im Sport, wo Kinder und Jugendliche ständig und oft Wochen unterwegs sind – Matches, Turniere, Trainingslager – ist das leider undenkbar. Aufgrund des fehlenden Bewusstseins, aber auch weil der Sport zum größten Teil auf Ehrenamtlichkeit basiert, und solche Maßnahmen unter den gegebenen Verhältnissen tatsächlich nicht einfach umzusetzen wären.

Jetzt geht aber sexualisierte Gewalt fast ausschließlich von Männern aus. Außerdem vertrauen sich Mädchen Erwachsenen ihres eigenen Geschlechts eher an, wenn es zu Problemen kommt, und diese können das Erlebte aufgrund der eigenen Sozialisation auch eher nachvollziehen.

Intransparente Männerbünde

Eine Studie der fairplay-Initiative hat ergeben, dass Diskriminierung und ein respektloses Klima, das Übergriffe vereinfacht, allgemein zunehmen, je homogener Gruppen sind. Oder andersrum: Je vielfältiger Sportgruppen sind, was etwa Geschlecht, Herkunft oder sexuelle Orientierung betrifft, und je „normaler“ und selbstverständlicher der Umgang zwischen Mädchen und Burschen ist, desto weniger Nährboden gibt es für Übergriffe und Gewalt. In dem Sinne sind auch Burschen und Männer in männerdominierten Umgebungen (sexualisierter) Gewalt mehr ausgesetzt als in gemischteren Gruppen.

Vor diesem Hintergrund gibt der Sport leider ein schlechtes Bild ab: Ehrenamtlichkeit und damit informelle und intransparente Strukturen, Männerbünde im Vereinswesen und die Geschlechtertrennung im Sport sowie fast ausschließlich Männer in Entscheidungspositionen.

Ein „ungünstiges Klima“

Verstärkt wird dieses „ungünstige Klima“ auch noch durch das maskuline Image und das männliche Ethos des Sports an sich. Zelebriert werden als männlich geltende Werte wie Härte, Konkurrenz, Hierarchie, Leistung, Durchsetzungsvermögen oder Stärke. Sie sind die Grundlage für jeden sportlichen Leistungsvergleich. Frauen können diesen Werten laut herrschender Norm nur in Ausnahmefällen entsprechen. Und wenn, dann nur auf Kosten ihrer „Weiblichkeit“ – Stichwort: weibliche Fußballerin = keine „echte“ Frau = Lesbe.

Die Maskulinität des Sports zeigt sich auch in sexualisierten Ritualen wie dem Pastern oder dem Prahlen mit Sex-Geschichten, bei denen Frauen meist Objekte sind. Klare und straffe Hierarchien nicht nur zwischen Trainer_innen und Athlet_innen, auch zwischen den Athlet_innen selbst, tragen dann weiter zu einer Kultur bei, in der Gespräche, Widerspruch, Reflexion, Kritik und eigenständiges Denken wenig verloren haben und wo Weiblichkeit, Anderssein und Probleme als Schwäche gelten.

Gesellschaftlich nützliche Männer(h)orte

Diese sportspezifischen Rahmenbedingungen ermöglichen Übergriffe – und vor allem deren Nicht-Ahndung – sowie die Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen und anderen in besonderem Maße. Vergleichbar beispielsweise dem Militär, wo Regeln und Normen zu gelten scheinen, die anderswo nicht mehr unwidersprochen sind.

Aber Sport und Militär haben ihre Funktion in dieser Gesellschaft. Dass Männlichkeit dort so zelebriert werden kann, hat sehr wohl mit den Geschlechterverhältnissen der Gesellschaft insgesamt zu tun. Um als „Zufluchtsort überkommener Macho-Werte“ zu fungieren, muss es ja etwas geben, das da gerettet und am Leben erhalten werden will.

Beide haben unrecht

Um auf die eingangs erwähnten beiden Gruppen zurück zu kommen – die Sport-Hasser_innen und die Afficionados: Sie haben beide unrecht. Nicht nur weil sie grob vereinfachen, sondern weil beide den Sport nicht wirklich kritisch ansehen und damit verändern wollen.

Die einen, weil sie Sport von vornherein verachten. Die anderen, weil sie ihn vor jeder Veränderung und Kritik beschützen möchten, indem sie ihn für unpolitisch erklären. Damit sind sie beide Teil des Problems sowie ein weiterer Grund dafür, warum sich gerade im Sport vermeintlich (!) überkommene Strukturen, Verhaltensweisen und sexistische Geschlechterbilder so gut halten können.

 

Nikola Staritz ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Fußballtrainerin; Redakteurin der Zeitschrift MALMOE und Mitarbeiterin bei fairplay – Initiative für Vielfalt und Antidiskriminierung im Sport.

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