Mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2015 soll künftig die Möglichkeit zur Vollversicherung von Sexarbeiter_innen gesetzlich ausgeschlossen werden. Über eine kleine Änderung im Sozialversicherungsrecht könnte damit die Tür zur Anerkennung von Sexarbeit als unselbstständigem Arbeitsverhältnis endgültig geschlossen werden. Das könnte massive Verschlechterungen für die Situation von Sexarbeiter_innen bringen. Versteckt ist die Änderung im Kleingedruckten. Statt der üblichen sechs wurden für den Gesetzesvorschlag nur zwei Wochen Begutachtungsfrist eingeräumt.
Sexarbeiter_innen sollen demnach grundsätzlich als Selbstständige gelten, unabhängig von ihren wirklichen Arbeitsbedingungen. Das widerspricht der Systematik des österreichischen Arbeits- und Sozialrechts, in dem normalerweise die tatsächlichen Arbeitsverhältnisse bestimmen, ob typische Abhängigkeiten bestehen und gegebenenfalls arbeitsrechtliche Regelungen zur Anwendung kommen.
Nicht so in Sachen Sexarbeit: Hier soll diese Möglichkeit ausgeschlossen werden. Das heißt, Sexarbeiter_innen können auf keinen Fall als Arbeitnehmer_innen oder auch als freie Dienstnehmer_innen qualifiziert werden. Damit gehen auch die damit verbundenen Rechte verloren. Mit der Vollversicherung sind etwa Ansprüche auf Krankengeld, Mutterschutz und Karenz verknüpft.
Menschenrechte statt Arbeitsrecht?
Der Gesetzgeber argumentiert mit dem Schutz der Sexarbeiter_innen, ihrer Würde und ihrer sexuellen Autonomie. Konkret bezieht er sich auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Privatleben schützt – es sei menschenrechtswidrig, einen Arbeitsvertrag über Sexarbeit abzuschließen, da Angestellte zu sexuellen Handlungen gezwungen werden könnten.
Jemanden zu sexuellen Handlungen zu zwingen, ist selbstredend menschenrechtswidrig und in Österreich auch bereits strafrechtlich verboten. Zwangsprostitution ist ein Problem, das es zu bekämpfen gilt. Hier geht es aber nicht um Zwangsprostitution, sondern um Sexarbeit. Aus dem Schutz der Privatsphäre ergibt sich nicht, dass jedes Dienstverhältnis über sexuelle Handlungen verboten werden muss. Auch der Oberste Gerichtshof hat 2012 festgestellt, dass die Menschenwürde gewahrt ist, solange die Bereitschaft zu sexuellen Handlungen widerruflich bleibt. Sinnvollerweise müssten vielmehr arbeitsrechtliche Regulierungen geschaffen werden, die beispielsweise einseitige Weisungen von Bordellbetreiber_innen an Sexarbeiter_innen verbieten.
Der österreichische Gesetzgeber argumentiert hingegen, dass sexuelle Dienstleistungen anders zu behandeln seien als übrige Dienstleistungen, wodurch er nichts anderes als ein moralisches Urteil fällt. Der Schutz vor Ausbeutung, vorgebliches Motiv dieser gesetzlichen Regelung, wird bestimmt nicht durch den Ausschluss von Rechten erreicht. Vielmehr ist dieser Gesetzesentwurf dazu geeignet, die Lebensrealität von Sexarbeiter_innen zu verschlechtern, was auch Frauenrechtsexpert_innen und Sexarbeiter_innenorganisationen kritisieren. Diese sehen im Ausschluss von einem sozialversicherungsrechtlich voll abgesicherten, unselbstständigen Beschäftigungsverhältnis eine Einschränkung der Wahlmöglichkeiten von Sexarbeiter_innen. Außerdem führt diese Ungleichbehandlung zur weiteren Stigmatisierung dieser ohnehin gesellschaftlich wenig anerkannten Gruppe, die hauptsächlich aus Frauen besteht, darunter viele Migrantinnen.
Von Vorteil ist die Regelung höchstens für Bordellbetreiber_innen, die nicht mehr befürchten müssen, ins Sozialversicherungsrecht zu fallen oder gar mit damit verbundenen Kontrollen überrascht zu werden. Während momentan zumindest anhand der tatsächlichen Umstände dienstnehmer_innenähnliche Arbeitsbedingungen (z.B. geregelte Arbeitszeiten) und damit eine Anwendbarkeit des Sozialversicherungsgesetzes festgestellt werden können, wären mit dem geplanten gesetzlichen Ausschluss behördliche Überprüfungen, im Zuge derer ausbeuterische Verhältnisse aufgedeckt werden könnten, von vornherein verunmöglicht.
Grundsätzliche feministische Fragen
Diese Debatte lässt sich auch in eine feministische Grundsatzdiskussion übersetzen, deren Leitfrage lautet: Ist Sexarbeit immer Gewalt und muss verboten werden oder ist Sexarbeit Arbeit und muss reguliert werden? Im Grunde geht es dabei um die Frage, ob die Erbringung von sexuellen Leistungen gegen Entgelt mit der Würde und der Autonomie von Menschen vereinbar ist. Die einen sind davon überzeugt, dass Sexarbeit immer sexuelle Ausbeutung bedeutet. Die andere Seite fordert Sexarbeit als Arbeit anzuerkennen, bei der eine Person nicht „sich selbst“ oder ihren Körper verkauft, sondern schlichtweg eine Dienstleistung erbringt. Diese Positionen sind selbstredend die beiden äußersten Pole der Debatte. Dazwischen findet eine rege Diskussion darüber statt, wie – auch rechtlich – mit Sexarbeit umgegangen werden soll.
Es ist wichtig, nicht zu verleugnen, dass Sexarbeit innerhalb von Machtverhältnissen stattfindet. Andererseits darf man Sexarbeiter_innen nicht ihre Entscheidungs- oder Handlungsfähigkeit zur Gänze absprechen oder gar nehmen. Arbeitsverhältnisse sind grundsätzlich Macht- und Ausbeutungsverhältnisse. Aufgabe des Arbeitsrechts ist es, darin die Schwächeren zu schützen. Ein Ausschluss von diesen Rechten – ausgerechnet für eine besonders prekär arbeitende Gruppe – ist da sicherlich nur kontraproduktiv. Der Ausschluss aus der Vollversicherung nach dem Sozialversicherungsgesetz bringt Sexarbeiter_innen keinen besseren Schutz vor Ausbeutung oder sonstige Vorteile. Eher wird durch eine derartige Regelung die Ausbeutungsgefahr erhöht, da Kontrollmöglichkeiten wegfallen und Sexarbeiter_innen Rechte verwehrt werden. In Österreich gibt es um die 7000 registrierte Sexarbeiter_innen – und diese brauchen ihre Rechte.
Maria Sagmeister ist Juristin und Kunsthistorikerin, sie ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift juridikum und im rechtsinfokollektiv aktiv.