Am Sonntag finden in Serbien Präsidentschafts- Kommunal- und Parlamentswahlen statt. Luka Petrović, Kandidat des links-grünen Bündnisses „Moramo“ („Wir müssen“), spricht im Interview mit mosaik-Redakteurin Sarah Yolanda Koss über eine linke serbische Opposition, die erstmals seit Jahren auf einen Einzug ins Parlament setzt.
Das Bündnis Moramo tritt am Wahlsonntag gegen die rechtskonservative „Serbische Fortschrittspartei“ (SNS) von Aleksandar Vučić an. Moramo setzt sich für partizipatorische Demokratie, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit ein. Laut Prognosen könnte es den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde ins Parlament schaffen – rege Proteste gegen Litihium-Minen verschafften der Bewegung in den letzten Monaten Aufwind. Luka Petrović ist dem Bündnis als Vertreter von „Ne davimo Beograd“ (Lasst Belgrad nicht untergehen) beigetreten – eine Bewegung, die aus Aktionen gegen den Verkauf urbanen Raums und die Gründung von Luxusviertelen entstand. Gegen ein „serbisches Abu Dabi“, wie Petrović sagt. Er konzentriert sich auf Lokalpolitik, am Sonntag steht er trotzdem auf der nationalen Liste von Moramo. Denn mit dem Bündnis ist der Ausgang der Wahlen deutlich offener, als in vergangenen Jahren. Ein Gespräch über die Schlagkraft der Umweltbewegung, autoritäre Tendenzen und Arbeiter*innenrechte.
mosaik: 2020 haben Oppositionsparteien die serbischen Parlamentswahlen wegen „unfairen Wahlbedingungen“ boykottiert. Dieses Mal treten sie an. Was hat sich geändert?
Luka Petrović: Die politische Situation ist prinzipiell unverändert. Wir leben immer noch in einem autoritären Staat, dessen Medien zu großen Teilen von einer Ein-Parteien-Regierung kontrolliert werden. Das beeinflusst den Wahlvorgang. Die Präsidentschaftswahlen wurden nicht ohne Grund zeitgleich mit den parlamentarischen angesetzt: Die Aufmerksamkeit soll statt auf die Forderungen der Opposition auf dem amtierenden Präsidenten Vučić liegen.
2020 haben wir mit unserem Boykott ein Zeichen des Protests gegen das kaputte demokratische System gesetzt. Diesmal haben wir uns dafür entschieden, unseren Kampf in die formellen Institutionen zu tragen. Der parlamentarische Weg ist aber nicht der einzige für uns. Wir wollen eine Graswurzelbewegung von unten aufbauen und nutzen dafür unterschiedliche Möglichkeiten der Organisierung.
Stichwort andere Möglichkeiten der Organisierung: Das Bündnis Moramo hat sich im Zuge der Massendemonstrationen gegen Lithium-Minen zusammengefunden. Warum haben Umweltproteste gerade so eine Schlagkraft in Serbien?
Bis vor ein paar Jahren war das nicht so. Aber mittlerweile hat beinahe jede Kommune in Serbien Probleme mit der Verschmutzung von Grundwasser und Boden. Belgrad hat die höchste Luftverschmutzung Europas. Das Abkommen mit dem anglo-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto macht die neoliberalen Werte der Regierung offensichtlich. Sie denkt nur an das Bruttoinlandsprodukt und startet derlei Projekte, um ausländische Investitionen an Land zu ziehen.
Eine dezidiert links-grüne Bewegung zu sein bedeutet für uns, diese Debatten mit sozialen Fragen zusammenzudenken. Die Regierung enteignet Grund und schafft billige Arbeitskräfte, um umweltschädliche Investitionen zu fördern – sie zerstört die Umwelt und die soziale Sicherheit gleichermaßen. Deshalb nehmen vor allem junge Menschen an den Protesten und landesweiten Straßenblockaden teil. Sie wollen sich ihre Zukunft nicht kaputt machen lassen.
Eine weiteres junges, links-grünes Bündnis ist Možemo, das bei den kroatischen Parlamentswahlen 2020 überraschend ins Parlament einzog. Ist Možemo ein Vorbild oder zu weit von der serbischen Realität entfernt?
Wir arbeiten eng mit Možemo zusammen, aber es gibt einen Grund, warum das kroatische Bündnis „Wir können“ und das serbische Bündnis „Wir müssen“ heißt. Ein Wandel ist in Serbien noch viel dringlicher. Kroatien hat freiere Medien und eine diversere politische Landschaft, es ist eine liberale Demokratie. Nun ist das nicht unser Ziel, wir wollen über eine liberale Demokratie hinaus.
Aber selbst davor stehen uns einige Hürden im Weg: Klientelismus, mangelnde Finanzierung und ein Medienmonopol in Händen der amtierenden Regierung. Die SNS ist eine der größten Parteien in Europa, sie hat fast 800 000 Mitglieder. Das liegt unter anderem daran, dass sie in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit Jobs an Parteimitglieder vermittelt. Vučić ist eng mit lokalen Oligarchen vernetzt, für linke Bewegungen ist es äußert schwierig, finanzielle Förderungen zu bekommen. Und der größte Teil der Medien ist in der Hand der SNS. Vor allem außerhalb Belgrads ist es deswegen sehr schwer, Menschen zu erreichen und zu organisieren. Dazu kommt die physische Gewalt von rechten Hooligans, die von der Regierung als paramilitärische Gruppen gegen linke Demonstrationen eingesetzt werden. All das sind Aspekte, gegen die wir ankämpfen müssen.
Zu den Zusammenhängen dieser Hooligan-Gruppen mit der SNS gab es zuletzt Ermittlungserfolge, auch die Umweltproteste spielten euch in die Karten. Dann brach der Krieg in der Ukraine aus. Was bedeutet er für den Wahlkampf?
Umweltthemen waren bis Februar das Thema Nummer Eins in Serbien und plötzlich ging es überall nur noch um die Ukraine. Das war natürlich schlecht für die Opposition. Die SNS unterstützt die Resolution der UN, ist aber gegen Sanktionen, weil Vučić sich gleichzeitig auf Seiten der EU und Russlands positionieren möchte. Es gibt große pro-russische Demonstrationen im Land, vor den Wahlen wird die serbische Regierung also keine Sanktionen erheben.
Wie steht Moramo zu Sanktionen gegen Russland?
Sie sind nicht unsere oberste Priorität. Wir sind für Maßnahmen gegen russische Oligarchen und die Elite. Aber Sanktionen treffen in den meisten Fällen die einfachen Menschen, sie haben auch nach den 90ern in Serbien zu großem Leid geführt. Wir haben in den letzten Wochen vor allem Friedensproteste organisiert.
Neben dem Krieg waren Spannungen um den Kosovo ein reges Thema im Wahlkampf…
Der Status der Kosovo-Serb*innen ist eine einfache Möglichkeit für Vučić, nationalistische Tendenzen zu fördern und Schuldige für ökonomische Missstände zu kreieren. Wir sind gegen die Konkurrenz, die durch Nationalstaaten erzeugt wird. Wir wollen die Beziehungen zu den Nachbarländern normalisieren, deswegen arbeiten wir mit anderen linken Strukturen zusammen.
Was sind die Ziele für die Wahl am Sonntag und wie geht es danach weiter?
Wir hoffen auf den Einzug ins Parlament, gerade in Belgrad rechnen wir uns dafür gute Chancen aus. Sollte es dazu kommen, wollen wir die Ressourcen nutzen, um unsere Organisation landesweit zu stärken. Auf der nationalen Ebene ist unsere Priorität ein neues Arbeitsgesetz. Das Gesetz der SNS von 2014 ist in unseren Augen verfassungswidrig. Der Mindestlohn liegt seitdem bei 343 Euro, davon kann niemand leben. Es gibt keine Streikrechte und keinen Urlaubsanspruch. All das wollen wir ändern und zusätzlich die Arbeitsstunden reduzieren.
Interview: Sarah Yolanda Koss