Grenzenloser Widerstand – Die serbische Diaspora in Wien

Demonstrierende auf einem Protest von Blokada Beč

Die Proteste gegen die serbische Regierung finden auch über Ländergrenzen hinweg Unterstützung. So auch in Wien, wo die Gruppe Blokada Beč Kundgebungen organisiert. Katarina Milisavljević berichtet von den Protesten und ihrem universellen Charakter.

Seit Monaten demonstrieren Menschen in Serbien gegen Korruption und das Versagen der zuständigen Institutionen, insbesondere im Hinblick auf die Katastrophe, die sich am 1. November 2024 in Novi Sad ereignete. An diesem Tag stürzte ein Vordach am neu renovierten Bahnhof ein und tötete 16 Menschen, darunter auch Kinder.

Auch in Wien zeigt sich die serbische Community solidarisch mit den Protesten in Serbien. Bereits acht Kundgebungen wurden hier organisiert, um auf die Missstände aufmerksam zu machen und Unterstützung für die Studierenden in Serbien zu zeigen. Der Einsatz der Diaspora spielt eine wesentliche Rolle bei der internationalen Sichtbarkeit der Bewegung. Die Proteste zeigen grenzübergreifende Auswirkungen. Denn ihre Forderungen sind zwar auf Serbien bezogen, doch ein großer Teil davon ist grundlegend und univsersal politisch und stoßt gerade deswegen vielerorts auf Zuspruch.

Der Kern des Protests

In den Wochen nach dem tragischen Ereignis in Novi Sad reagierten serbische Studierende mit entschlossenen Maßnahmen. Sie blockierten ihre Fakultäten und formulierten vier zentrale Forderungen an die Regierung. Was als Studentenprotest im November begann, entwickelte sich zur größten friedlichen Protestbewegung in Serbien jemals. Professor*innen, Lehrer*innen, Schüler*innen, Künstler*innen, Bäuer*innen und Bürger*innen haben sich aus der Überzeugung heraus vereint, dass die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit gefährdet sind. Die Stärke dieses Protests liegt darin, dass er eklatante Missstände aufdeckt und den öffentlichen Unmut gegen Korruption und politische Verantwortungslosigkeit schürt. Das hat zu einer Massenbewegung von mehreren hunderttausend Menschen geführte, die gemeinsam und friedlich protestierten.

Die Studierenden fordern vollständige Transparenz über die Renovierung des Bahnhofs in Novi Sad, einschließlich der Veröffentlichung aller Dokumente zur Rekonstruktion. Seit Beginn der Proteste wurden Studierende und Professor*innen wiederholt von unbekannten Personen angegriffen. Deshalb wird ihre Identifizierung und die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen gefordert. Falls unter den Angreifern öffentliche Funktionäre sind, sollen diese von ihren Ämtern entbunden werden. Zudem wurden mehrere Studierende, die friedlich demonstrierten, festgenommen und Strafverfahren gegen sie eingeleitet. Die Studierenden fordern daher deren sofortige Freilassung, die Einstellung aller Anklagen und die Beendigung laufender Verfahren. Da die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Qualität der Hochschulbildung ein wesentlicher Standard für eine fortschrittliche Gesellschaft ist, fordern die Studierenden eine Erhöhung des Budgets für öffentliche Universitäten und Hochschulen um 20 Prozent.

Fokus Menschenrechte

Die Proteste in Wien sind nicht nur eine Geste der Solidarität, sondern auch ein Zeichen dafür, dass sich viele in der Diaspora trotz geografischer Distanz weiterhin stark mit der Situation in Serbien verbunden fühlen. Wichtig zu erwähnen ist auch, dass die Studierenden in Serbien seit Beginn der Proteste betonen, dass es sich um politische, jedoch nicht parteipolitische Proteste handelt. Diese Proteste sind keine klassischen Anti-Regierungsproteste. Sie fordern ausschließlich die Wiederherstellung funktionierender Institutionen und des Rechtsstaats. Diejenigen, die sich für die Proteste engagieren, tun dies, um den Kampf für Demokratie und Menschenrechte zu unterstützen.

In Wien gab es bereits acht Kundgebungen zur Unterstützung der studentischen Proteste in Serbien. Diese wurden von Blokada Beč organisiert, einer unabhängigen zivilgesellschaftlichen Studierendeninitiative, die sich für Wahrheit, Gerechtigkeit und eine gesündere sowie sicherere Gesellschaft einsetzt. Was mit einer Versammlung von etwa 100 Personen begann, hat sich inzwischen zu einer Protestbewegung entwickelt, an der 1000 Menschen teilnehmen. Ursprünglich vor der serbischen Botschaft in Wien organisiert, haben die Proteste nun einen neuen, zentraleren Ort gefunden – den Platz der Menschenrechte im 7. Bezirk.

Entschlossener Widerstand

Die serbische Community in Wien umfasst etwa 100.000 Menschen, doch nur ein kleiner Teil von ihnen nimmt aktiv an den Protesten teil. Dennoch zeichnet sich die Bewegung durch eine besondere Atmosphäre aus: Die Teilnehmer*innen kommen trotz Regen, Kälte und Wind immer wieder zusammen, um sowohl still als auch laut zu sein. Es wird gemeinsam gesungen, manchmal auch getantzt und es werden Kundgebungen abgehalten und Spenden für die Studierenden in Serbien gesammelt. Die gemeinsame Entschlossenheit der Protestierenden zeigt, dass der Wunsch nach Veränderung auch in der Diaspora stark ist.

Die Bürger*innen und Studierenden, die hinter Blokada Beč stehen, haben eine Petition verfasst, die die Aufnahme von 15 Schweigeminuten in das Programm des vom Serbischen Zentrum organisierten St. Sava-Balls in der Hofburg am 31.01.2025 forderte. Damit wollten sie der Opfer von Novi Sad gedenken und ein Zeichen der Unterstützung für die Studierenden setzen, die aus ganz Serbien zu einer großen Protestkundgebung in Kragujevac marschierten. Obwohl die Petition mehr als 1500 Unterschriften gesammelt hatte, wurde nur eine Schweigeminute eingelegt. Doch am Ballabend unterstützten mehrere Künstler*innen auf ihren Bühnen die marschierenden Studierenden.

Stärke durch Vielseitigkeit

Die serbische Community in Wien ist sehr vielfältig. Einige Menschen unterstützen die Proteste aktiv, andere sind eher kritisch, und wiederum gibt es auch jene, die sich als unpolitisch bezeichnen. Dasselbe gilt für die serbischen Organisationen in Wien. Die Community, die sich rund um die Initiative Blokada Beč gebildet hat, vereint Menschen aus verschiedenen Altersgruppen und Berufen. Auch die ältere Generation mit mehr Protesterfahrung unterstützt diese Bewegung und bringt ihre Perspektiven ein. Alle können ihre Unterstützung auf die Weise zeigen, die am besten zu ihren Fähigkeiten passt. Einige tragen mehr durch ihre Kunst bei, andere durch ihre Organisations- und Netzwerkfähigkeiten, wieder andere durch ihr handwerkliches Talent.

Um aktiv mit den Menschen, die die Initiative unterstützen, in Kontakt zu bleiben und Menschen für Kundgebungen und Veranstaltungen zu mobilisieren, nutzt Blokada Beč soziale Netzwerke. Sie versuchen eine Plattform für alle zu schaffen, die bereit sind, ihre Unterstützung für die Studierenden zu zeigen, aber auch das Bewusstsein für die aktuellen Geschehnisse in Serbien zu verbreiten und die Aufmerksamkeit österreichischer und internationaler Medien sowie der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen.

Der Weg zur Veränderung

Die Organisator*innen hoffen, dass auch Menschen anderer Nationalitäten sich für das Thema interessieren und sich den von Blokada Beč organisierten Protesten anschließen. Dadurch könnten sie ihre Unterstützung und Empathie für den allgemeinen Kampf gegen Korruption und Ungerechtigkeit in der Welt zeigen, wobei Serbien eines der unmittelbarsten Beispiele darstellt. Die Verbreitung dieser Botschaft in dem eigenen Umfeld sowie eine verstärkte Medienberichterstattung über das Thema des Einsatzes der illegalen Schallwaffe und über die Proteste in Serbien sowie die Solidaritätsversammlungen in Wien würden dazu beitragen, die für Demokratie und Freiheit kämpfenden Menschen in Serbien zu unterstützen. Dadurch könnte der Druck auf die serbische Regierung weiter steigen, sodass sie schließlich auf die Forderungen der Studierenden eingehen muss.

Nur durch stärkere Zusammenarbeit und Solidarität kann der Weg für echte Veränderungen geebnet werden. Andernfalls könnte der Widerstand gegen Korruption und das Versagen der Institutionen in Serbien nur auf Serbien und die serbische Diaspora beschränkt bleiben. Die Proteste sind aber nicht nur eine serbische Angelegenheit. Sie sind ein globaler Kampf gegen Korruption und Ungerechtigkeit – und eine Gelegenheit, zu zeigen, dass Solidarität keine Grenzen kennt.

Wenn ihr noch mehr über die Proteste in Serbien erfahren wollt, lest auch die Analyse von Dejan Aleksić, die letzte Woche auf mosaik erschienen ist.

Foto: Nikola Mihailović

Autor

  • Katarina Milisavljević

    Katarina Milisavljević wurde in Belgrad, Serbien, geboren. Sie arbeitet als freischaffende Künstlerin und Geigenlehrerin in Wien und ist aktiver Teil der unabhängigen zivilgesellschaftlichen Studierendeninitiative Blokada Beč.

    Alle Beiträge ansehen
Nach oben scrollen