In Deutschland können Menschen ihren Geschlechtseintrag bald per Selbstauskunft ändern. In Österreich dreht sich die Debatte dazu um Verwerfungen innerhalb der feministischen Bewegung – dabei wäre ein Selbstbestimmungsgesetz auch hierzulande wünschenswert, schreiben Conny Felice, Paul Haller und Anton Cornelia Wittmann.
Endlich soll in Deutschland das Transsexuellen-Gesetz aus dem Jahr 1980 durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Das sorgt für viel Zuspruch, aber auch für heftigen Gegenwind. „Künftig soll es eine einheitliche Regelung für alle transgeschlechtlichen sowie nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen geben, die ihren Geschlechtseintrag oder ihre Vornamen ändern wollen“, heißt es in den Eckpunkten, die Justiz- und Familienministerium Ende Juni vorlegten. Von einer einheitlichen Regelung sind wir in Österreich weit entfernt.
Gleich vorweg: Nicht alle trans, nicht-binären oder intergeschlechtlichen Menschen wollen ihren Vornamen oder Geschlechtseintrag rechtlich ändern lassen. Für manche ist es jedoch eine existentielle Notwendigkeit. Wer möchte schon mit einem falschen Namen oder einem Geschlechtseintrag im Ausweis herumlaufen, der weder die eigene Geschlechtsidentität noch das äußere Erscheinungsbild (also den Geschlechtsausdruck) repräsentiert? Ein falscher Geschlechtseintrag kann Diskriminierung, Gewalt, Probleme im Beruf sowie im sozialen Leben bedeuten. Studien der EU-Grundrechteagentur zeigen auf, dass trans- und intergeschlechtliche Menschen besonders stark von Diskriminierung und Gewalt betroffen sind. Selbstbestimmung beim Geschlechtseintrag wird diese Probleme nicht gänzlich lösen, aber sie ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt. Auch in Österreich wäre dieser notwendig.
Österreich: progressiv und restriktiv zugleich
Beim Personenstand ist Österreich progressiv und restriktiv zugleich. So gibt es in Österreich – und das ist weltweit einzigartig – gleich sechs Optionen beim Geschlechtseintrag: weiblich, männlich, divers, inter, offen und die gänzliche Streichung des Geschlechtseintrags. Möglich machte dies die Klage der intergeschlechtlichen Person Alex Jürgen*, die auf auf Anerkennung der eigenen Geschlechtsidentität klagte und 2018 schließlich vor dem Verfassungsgerichtshof Recht bekam. Erstaunlich restriktiv ist Österreich beim Zugang zu den mittlerweile nicht ganz so neuen Geschlechtseinträgen. So müssen intergeschlechtliche Menschen medizinische Gutachten vorlegen, wenn sie eine der vier „alternativen Optionen“ beim Geschlechtseintrag in Anspruch nehmen wollen. Trans und nicht-binären Menschen ist der Zugang zu den alternativen Geschlechtseinträgen per Erlass des Innenministeriums verwehrt.
Fehlende Selbstbestimmung
Ein anderer Erlass regelt die Änderung des Vornamens und den Personenstandswechsel zwischen „weiblich“ und „männlich“ für trans Menschen. Auch hier sind wir von Selbstbestimmung noch weit entfernt. Ein Blick in die Geschichte: Bis 2006 durften Menschen nicht verheiratet sein, wenn sie ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollten, was auf einen de-facto-Scheidungszwang für manche trans Menschen hinauslief. Bis 2009 galt der sogenannte „Operationszwang“. Neben unwürdigen körperlichen Begutachtungen mussten Menschen medizinische Eingriffe und Zwangssterilisationen an sich durchführen lassen, um in ihrem Geschlecht rechtlich anerkannt zu werden. Beide Regelungen verstoßen gegen die Menschenrechte und wurden durch Höchstgerichte gekippt. Bis heute ist ein Personenstandswechsel ein langwieriges, mit finanziellen und bürokratischen Hürden verbundenes Unterfangen. Einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag und die freie Wahl des Vornamens fordern Selbstvertretungsorganisationen bis heute vergebens.
Transfeindliche Rhetorik statt Selbstbestimmungsgesetz
Stattdessen schwappt die Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz besonders hitzig von Deutschland auf Österreich über. Zu möglicherweise berechtigten Sorgen um die rechtliche Ausgestaltung des Selbstbestimmungsgesetzes gesellen sich immer öfter auch transfeindliche Argumente und rechte Rhetorik. „Frauen mit Penis“ seien beispielsweise keine „echten Frauen“, so eines der Vorurteile. Dem widerspricht allerdings die gelebte Erfahrung von trans Frauen, denn nicht alle trans Frauen bzw. Frauen mit Transitionserfahrung – oder schlicht: Frauen – möchten operative Eingriffe an ihrem Körper. Ja, es gibt Frauen mit Penis – get over it.
Andererseits widerspricht dieser Sichtweise auch die österreichische Rechtsprechung, konkret: der Verfassungsgerichtshof (VfGH). In einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 prüfte der VfGH, ob eine trans Frau sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen müsse, um rechtlich als Frau anerkannt zu werden. Kurzantwort: nein. Denn das würde der in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerten Achtung des Privat- und Familienlebens widersprechen, die in Österreich Verfassungsrang hat. Ein Selbstbestimmungsgesetz würde daran nichts ändern, weder in Deutschland noch in Österreich. Warum fällt es uns so schwer, trans Frauen auch gesellschaftlich als Frauen anzuerkennen und ihnen Selbstbestimmung zuzugestehen?
Gewalt und Schutzräume: Opfer-Täter-Umkehr
Diskriminierungserfahrungen und Angst vor Gewalt hindern Menschen an öffentlicher Teilhabe. Als Antwort auf diese Erfahrungen und um Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen, bildeten sozialen Bewegungen immer wieder Schutzräume für bestimmte Personengruppen.
So genannte „Trans-Exclusionary Radical Feminists“ (TERFs) bzw. selbst ernannte „Radikal-Feminist*innen“ fordern seit Jahren den Ausschluss von trans Frauen aus Frauen-(Schutz-) Räumen. Dabei bedienen sie sich eines Framings, das trans Frauen gezielt als „Angreifer“ und „Täter“ beschreibt, die als „verkleidete Männer“ in Schutzräume eindringen würden, um ungehindert Gewalt gegen Frauen ausüben zu können. Diese Opfer-Täter-Umkehr geht auf Kosten von trans Frauen, die besonders häufig von Gewalt betroffen sind. Sie geht außerdem an den Lebensrealitäten von trans Menschen vorbei, macht diese unsichtbar und hat das Potential geschlechtliche Minderheiten nachhaltig in ihren Rechten zu schwächen. Tatsächlich gibt es keine Hinweise auf eine Erhöhung von Gewalt gegen Frauen in Ländern, in denen eine Änderung des Personenstandes in Form einer Selbstauskunft bereits möglich ist.
Das Wort „Frau“ dürfe nicht verschwinden
Aktuell wird trans Aktivist*innen auch vorgeworfen, dass sie Frauen unsichtbar machen wollen. Das Wort „Frau“ dürfe nicht mehr verwendet werden, wenn es nach ihnen ginge, so die Kritik.
Das ist in mehrfacher Hinsicht skurril: Erstens haben trans Aktivist*innen gar nicht die gesellschaftliche Macht bestimmte Wörter zu verbieten. Zweitens sind trans Aktivist*innen kein homogener Block. Es gibt kein „Zentralorgan der trans Aktivist*innen“, das eine politische Linie vorgeben könnte, sondern vielfältige Stimmen, Initiativen, Organisationen und aktivistische Einzelpersonen. Drittens müssen, wie dargestellt, trans Frauen häufig ja geradezu darum kämpfen, als „echte Frauen“ anerkannt zu werden. Und schließlich ist es viertens sicherlich nicht im Interesse von trans Aktivist*innen, Frauen- und Trans-Rechte gegeneinander auszuspielen. Der Kampf für Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe ist kein Nullsummenspiel. Es geht sich aus, sich für die Anliegen von cis Frauen und trans, inter* und nicht-binären Menschen einzusetzen.
Für Dialog, transinklusive Allianzen und ein umfassendes Selbstbestimmungsgesetz
Die aktuellen Debatten richten das Scheinwerferlicht auf Verwerfungen innerhalb feministischer und progressiver Bewegungen. Diese sollten eigentlich an einem Strang ziehen und die gleichen Ziele verfolgen. Zu diesen Zielen gehört auch die Stärkung der Selbstbestimmung von allen Frauen. Trans, nicht-binäre und inter* Communitys und Aktivist*innen sollten dabei als Verbündete und Teil von feministischen Bewegungen verstanden werden. Denn dort wo Allianzen zerbröckeln – zum Beispiel zwischen feministischen und LGBTIQA*-Bewegungen – verlieren wir letztlich alle.
Auch in Österreich braucht es ein umfassendes Selbstbestimmungsgesetz anstelle eines Fleckerlteppichs an restriktiven Erlässen. Zumal das geplante Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland nicht nur die Selbstbestimmung beim Geschlechtseintrag und bei der Vornamenswahl in Angriff nimmt, sondern auch geschehenes Unrecht wiedergutmachen möchte. So soll es „Anerkennungsleistungen“, also Entschädigungszahlen, für „trans- und intergeschlechtliche Personen geben, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen“ waren. Auch die Förderung von Beratungsstrukturen für nicht-binäre, trans- und intergeschlechtliche Menschen ist vorgesehen. All das geht im öffentlichen Diskurs leider unter.
Eine gekürzte Version dieses Kommentars erschien in der Wochenendausgabe von DerStandard.