In immer mehr Städten formiert sich Widerstand gegen das Töten im Mittelmeer. Am Donnerstag wird erstmals auch in Wien zu einer Seebrücke-Demonstration aufgerufen. mosaik sprach mit der Initiatorin Lena Köpsell.
mosaik: Lena, du bist an der Organisation der ersten Seebrücke-Demonstration in Wien beteiligt. Wie ist Seebrücke entstanden und was ist die Idee dahinter?
Lena Köpsell: Die Seebrücke-Bewegung wurde Ende Juni in Deutschland gegründet und ist eine internationale Bewegung, die von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen getragen wird. In Deutschland haben sich schon zehntausende Menschen an Aktionen beteiligt und es werden jede Woche mehr.
Das Schöne an Seebrücke ist, dass sich unter diesem breiten Dach ganz viele verschiedene Menschen in europäischen Städten versammeln. Der gemeinsame Name und Aufruf macht uns Mut und gibt uns Sichtbarkeit.
In Deutschland haben sich in den letzten Wochen zehntausende Menschen an den Seebrücke-Demos beteiligt. Warum machen da so viele Menschen mit?
Insgesamt waren mindestens 60.000 TeilnehmerInnen bei bisher 153 Seebrücke-Veranstaltungen an 94 verschiedenen Orten. Ich glaube, das liegt daran, dass viele Menschen sich nicht mehr dieser Lethargie hingeben. Wir alle kennen die Bilder und Zahlen vom Sterben im Mittelmeer. Allein im Juni und Juli sind 700 Geflüchtete, die sich auf den Weg gemacht haben, ertrunken. Immer mehr Menschen sind nicht mehr bereit, diese europäische Politik, die Abschottung, die Kriminalisierung der Seenotrettung von Geflüchteten hinzunehmen. Uns hat es einfach gereicht.
Es braucht die Seebrücke, weil es nicht mehr so weitergehen kann. Weil ich es unerträglich finde, dass in unserem Namen das Mittelmeer zum Massengrab wird und Menschen, die Leben retten, bestraft werden.
Was sind eure konkreten Forderungen?
Als erstes geht es darum die Häfen zu öffnen. Italien und Malta haben die Häfen geschlossen, die Schiffe von Seawatch, Sea-Eye und Lifeline sitzen fest und können keine Menschen mehr retten. Und es kommt jetzt immer wieder vor, dass Schiffe mit Geflüchteten in Not keine Häfen mehr finden, die sie hereinlassen. Das darf nicht sein.
Ein zweiter wichtiger Ansatz sind die Städte und Gemeinden. Immer mehr Gemeinden sprechen sich gegen die Bundespolitik aus und erklären sich zu Solidarity Cities. Das heißt, die Stadt erklärt sich öffentlich bereit, Geflüchteten Schutz zu bieten. Das wäre auch eine Chance für Wien, um praktisch etwas anderes zu machen als die rechte Bundesregierung.
Was plant ihr für eure Aktion am Donnerstag?
Der Donnerstag ist unser Auftakt. Es geht jetzt mal darum, dass wir laut und zahlreich auf die Straße gehen. Wir sind schon jetzt total überwältigt vom Interesse in den sozialen Medien. Trotz Sommer haben sich schon über 1000 Menschen auf Facebook angekündigt. Wir werden also hoffentlich viele sein, wenn wir am Schwedenplatz starten.
Du sprichst von einem Auftakt. Ihr plant also noch mehr?
Klar, die Demo soll nur der Auftakt zu einer starken Bewegung auch in Wien sein. Das hängt dann aber von uns allen ab, ob sich nach dem Donnerstag viele Menschen finden, die aktiv werden, mit weiteren Demos oder auch mit kreativen Aktionen und Veranstaltungen. Aber das Potenzial für eine Bewegung ist da, das kann man spüren.
Von wem geht die Mobilisierung in Wien eigentlich aus?
Wir haben uns vor zwei Wochen als Gruppe zusammengefunden. Hinter uns steht keine bestimmte Organisation, auch wenn uns verschiedene Gruppen natürlich unterstützen. Wir sind einfach verschiedene Leute aus allen Teilen der Gesellschaft, denen diese unmenschliche Politik reicht.
Einige von uns sind auch in anderen Zusammenhängen aktiv, aber wir sind engagierte Einzelpersonen, die gemeinsam handeln. Nicht nur in Wien ist die Seebrücke eine Bewegung, an der sich auch viele Menschen beteiligen, die sich bisher noch nicht politisch engagiert haben.
Orange ist die Farbe der Bewegung, was hat es damit auf sich?
Es ist die Farbe der Rettungswesten. Indem man ein oranges Transparent auf die Demo bringt, ein T-Shirt anzieht oder ein Tuch aus dem Fenster hängt, kann man Solidarität mit Geflüchteten und SeenotretterInnen zeigen. So werden wir als Bewegung sichtbar.
Seit dem Sommer der Migration ist die Stimmung gekippt. War damals die Unterstützung für Geflüchtete auch in Österreich groß, überwiegt jetzt die Ablehnung. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Ja, die Stimmung ist leider als Folge der Politik der Angst gekippt. Es wird das Bild geschürt, dass die flüchtenden Menschen „uns“ irgendwas wegnehmen. Das war die letzten Jahre leider sehr präsent.
Ganz viele Menschen wissen gar nicht, was im Mittelmeer eigentlich passiert. Oder sie verdrängen es. Die Seebrücke ist jetzt die Chance, dass die vielen Menschen sichtbar werden, die nicht damit einverstanden sind, dass Menschen ertrinken. Wir sagen: „Wir wollen in so einem Europa nicht leben! Wir wollen, dass sich etwas ändert!“
Was können wir denn tun, damit sich etwas ändert?
Es liegt natürlich auch in der Verantwortung von jedem und jeder Einzelnen sich gegen die unmenschliche Politik zu stellen. Wenn wir nichts tun, sind wir verantwortlich für die Politik der EU im Mittelmeer und in Libyen. Sie wird in unserem Namen gemacht.
Wir müssen gemeinsam aktiv werden, aber es ist auch wichtig im privaten Umfeld, in der Familie oder am Arbeitsplatz nicht vor Diskussionen und Auseinandersetzungen zurückzuscheuen. Wo wir können, müssen wir Position beziehen und die Menschlichkeit verteidigen.
Interview: Martin Konecny
Die Seebrücke-Demonstration findet am Donnerstag, den 9. August, in Wien statt. Treffpunkt ist 18 Uhr am Schwedenplatz.