Antiterrorpaket: Grundrechtswidriger Rechtspopulismus statt Gefahrenabwehr

Eine Woche nach dem Anschlag in Wien ist klar: Den Behörden und dem Verfassungsschutz sind schwere Fehler passiert. Anstatt für das Geschehene Verantwortung zu übernehmen, kündigt die Regierung ein Antiterrorpaket an. So antwortet sie mit Spaltung und Ausschluss auf hausgemachte Probleme, schreibt Angelika Adensamer.

Gestern am 11.11. verkündete die Türkis-Grüne Regierung ein „Antiterrorpaket“. Durch dieses soll ein Straftatbestand „politischer Islam“, eine Präventivhaft (im Rahmen des Maßnahmenvollzugs) und die Möglichkeit eingeführt werden verurteilten Terroristen Staatsbürger*innenschaft und Führerschein zu entziehen. Viele der Maßnahmen sind menschenrechtswidrig, überflüssig und in einem Rechtsstaat nicht angemessen – kurz: sie sind autoritär. Darüber hinaus sind sie nicht Teil der Lösung der gesellschaftlichen Probleme, die dem Terrorismus zugrunde liegen.

Mehr als eine Woche nach dem Anschlag in Wien mit vier Todesopfern ist immer klarer, dass den Behörden und insbesondere dem Verfassungsschutz (BVT) schwere Fehler passiert sind. Der Attentäter war vorverurteilt. Die Deradikalisierungseinrichtungen, die ihn betreuten, wussten, dass er sich weiter radikalisierte. Und den Behörden war bekannt, dass er versucht hatte, Waffen und Munition zu kaufen. Ganze drei ausländische Geheimdienste und Polizeibehörden warnten das BVT vor dem Attentäter. Dennoch wurde der Anschlag nicht verhindert.

Chaos in der Behörde

Weder erstellte die Behörde eine akkurate Gefährdungsprognose, noch leitete sie, wie dies gesetzlich vorgesehen ist, die Verdachtsmomente an die Staatsanwaltschaft weiter. Dass das BVT schon lange ein politischer Spielball ist, in dem Expertise und Fachwissen weniger zählen als das Parteibuch, ist seit dem BVT-Untersuchungsausschuss bekannt. Dazu kam die vom ehemaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl beauftragte und mittlerweile von den Gerichten als rechtswidrig eingestufte Erstürmung und Durchsuchung der Behörde 2018. Seither versinkt die Behörde im Chaos. Rechtspopulistische Inszenierung und Machtkämpfe statt hartnäckiger Ermittlungsarbeit standen im Fokus der Arbeit des Innenministeriums und der Behörde.

Nun zeigt sich, dass die Bevölkerung mit ihrer Sicherheit für diese Missstände bezahlen muss. Und wie sich abzeichnet, auch mit ihren Grundrechten. Angesichts des Umstandes, dass der Anschlag verhindert werden hätte können, kann es in einer funktionierenden Demokratie nur eine unmittelbare Antwort geben. Innenminister Nehammer müsste für seine Behörden politische Verantwortung übernehmen und zurücktreten.

Antiterrorpaket stärkt antimuslimischen Rassismus

Anstatt auf Aufklärung zu pochen und auf politische Verantwortung zu bestehen, machen die Grünen Innenminister Nehammer bisher die Mauer. Schlimmer noch: Früher noch als Menschenrechtspartei bekannt, tragen die Grünen und Justizministerin Alma Zadić das „Antiterrorpaket“ nun mit. Der Großteil der Maßnahmen fällt schließlich in ihren Zuständigkeitsbereich.

Wozu ein neuer Straftatbestand zur Kriminalisierung des „politischen Islams“ gebraucht wird, ist völlig unklar. Schon jetzt ist eine große Bandbreite an sogenannten Vorbereitungshandlungen strafbar. So etwa die Aufforderung und Anleitung zu sowie das Gutheißen von terroristischen Straftaten. Ebenso die Ausbildung für terroristische Zwecke, Terrorismusfinanzierung und Mitgliedschaft in terroristischen und „staatsfeindlichen“ Gruppen. Von dem neuen Straftatbestand ist daher reines Gesinnungsstrafrecht zu erwarten. Also die demokratisch und rechtsstaatlich problematische Bestrafung von Ideen und politischen Einstellungen, anstatt von tatsächlichen Handlungen.  Obendrein hat dies auch den Effekt, antimuslimischen Rassismus und Vorurteile noch zu verstärken.

Haft-Ausbau trotz heftiger Kritik

Außerdem soll eine „Präventivhaft“ im Rahmen des Maßnahmenvollzugs eingeführt werden. Die meisten Menschen im Maßnahmenvollzug sind als „geistig abnorme Rechtsbrecher“ eingesperrt. Doch schon heute bestehen auch rechtliche Möglichkeiten, Menschen, die ihre Haftstrafe abgesessen haben, als „gefährliche Rückfallstäter“ weiter zu inhaftieren, wenn zu befürchten ist, dass sie wieder straffällig werden. Dabei wird einmal im Jahr überprüft, ob die Voraussetzungen noch bestehen. Bei „geistig abnormen Rechtsbrechern“ führt dies häufig dazu, dass sie wegen leichten Verbrechen, für die sie nur zu wenigen Monaten Haftstrafen verurteilt wurden, aufgrund der Gutachten von Sachverständigen, die sich oft mit dem konkreten Fall kaum noch beschäftigen, jahrelang eingesperrt bleiben.

Kurz sprach in der Pressekonferenz gar davon, die Präventivhaft bei wegen Terrorismus Verurteilten lebenslang einsetzen zu wollen. Präventivhaft ist jedoch mit Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention nur in Fällen von konkreten Anhaltspunkten für Gefährdung vereinbar. Der Maßnahmenvollzug steht seit Jahren unter heftiger Kritik, eine Reform ist schon lange dringend notwendig. Umso problematischer ist es, dass gerade dieses System nun ausgeweitet werden soll.

Wegsperren statt Resozialisierung

Im Kern der Theorie des aufgeklärten Rechtsstaats steht, dass man nach dem Absitzen einer Strafe seine Schuld verbüßt hat und dann wieder „resozialisiert“ Teil der Gesellschaft werden könne. Diese Theorie wird durch die Gefängnisstrafen in der Praxis nicht realisiert. Die Perspektivenlosigkeit, die Menschen in die Kriminalität führt, wird durch lange Gefängnisaufenthalte meistens nur verstärkt. Ein Wiedereinfinden in der Gesellschaft dadurch fast unmöglich.

Doch mit den aktuellen Vorschlägen, gibt die Regierung nicht einmal mehr vor, diese Resozialisierung zu versuchen: Es geht schlicht um Wegsperren. Allenfalls lebenslang. Zur Strafe soll auch noch der Entzug des Führerscheins und der Staatsbürger*innenschaft treten. Bei Menschen, die keine zweite Staatsbürger*innenschaft haben, verstößt dies jedenfalls gegen Artikel 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Denn man schafft den Menschen rechtliche Probleme in fast allen Rechtsbereichen: im Nationalstaat ist die Staatszugehörigkeit das um und auf des Menschseins, das Recht, wie Hanna Arendt festhielt, Rechte zu haben.

Antiterrorpaket fördert Spaltung

Statt Gesellschaft zusammen zu halten und Gefahren von ihr durch saubere Ermittlungsarbeit und rechtsstaatliches Behördenhandeln abzuwehren, wird mit dem Antiterrorpaket eine andere Strategie der Regierung deutlich: Spaltung, Ausschluss und Wegdefinieren von hausgemachten Problemen. Der Attentäter von Wien war Österreicher, ist hier aufgewachsen, durch unser Schulsystem gegangen. Dennoch ist er offensichtlich nicht genug Teil dieser Gesellschaft gewesen, um von einem blutigen Attentat zurückzuschrecken.

An der Radikalisierung von jungen Menschen, die keine Perspektiven haben und an jeder Ecke mit Rassismus konfrontiert sind, denen von der mehrheitsösterreichischen Gesellschaft tagtäglich zu verstehen gegeben wird, dass sie nicht wirklich dazu gehören und denen nur mit Misstrauen begegnet wird, ist die rechtspopulistische Politik mitschuldig. Sie steht sogar in der Verantwortung sie mit hervorzubringen. Und macht uns alle damit unsicher. Wenn die Gesetze, wie sie gestern verkündet wurden, wirklich beschlossen werden, anstatt dass Nehammer politische Verantwortung übernimmt und zurücktritt und das BVT wirklich auf neue Beine gestellt wird, wird diese Regierung auch für die nächsten Anschläge verantwortlich sein.

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