Vergangene Woche wurden neue Maßnahmen präsentiert um Schulschwänzer_innen zu motivieren in die Schule zu gehen: In Kooperation mit der Polizei soll das Fernbleiben vom Unterricht verhindert werden. Christina Götschhofer über eine Bildungspolitik, die nur Symptome bekämpft.
Die Wiener Stadtschulrätin Susanne Brandsteidl (SPÖ) verlautbarte via Kronenzeitung vergangene Woche, dass die Polizei künftig Jugendliche, die sich während der Unterrichtszeit an öffentlichen Plätzen aufhalten, gezielt angesprochen werden sollen. Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl versicherte, man wolle das Gespräch suchen und durch Präsenz präventiv gegen Schulschwänzen vorgehen.
Vor drei Jahren wurden Geldstrafen und Sanktionierung gegen Eltern beschlossen, zusammen mit der Ankündigung, nun auch polizeiliche Maßnahmen zu setzen, wird deutlich: von Dialog fehlt jede Spur. Nun wird ein weiteres Mal reine Symptombekämpfung, der Ursachenanalyse und einem Austausch mit betroffenen Schüler_innen und Erziehungsberechtigten vorgezogen. Das Einsetzen der Polizei soll Angst schüren, Druck ausüben und einschüchtern. Wie auch auf Bundesebene werden die Augen in Wien vor den grundlegenden Schwachstellen im Bildungssystem verschlossen. Würde ein offener Austausch zwischen Schüler_innen, Verantwortungs- und Entscheidungsträger_innen geführt werden, ließen sich Lösungswege abseits von Einschüchterungsversuchen schnell finden.
Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen
Die Gründe für die Abwesenheit vom Schulunterricht sind vielfältig. Diskriminierung jeglicher Art gehört zum Alltag vieler Schüler_innen. Was folgt ist Angst, die jeden Tag beim Betreten des Schulgebäudes präsent ist. Auch durch ständige Leistungsbeurteilungen werden Druck und Angst produziert. Das Gefühl, starr und ziellos Fakten auswendig zu lernen, ist ein weiterer Grund, warum Schüler_innen lieber zu Hause bleiben, als in die Schule zu gehen. Oft wird der Stress so groß, dass es sinnvoller erscheint, Fehlstunden zu riskieren um Hausaufgaben zu erledigen oder für Prüfungen zu lernen. Der Leistungsdruck steigt ins Unermessliche und Schüler_innen kämpfen mit psychischer Überforderung, die der bereits in der Schule stattfindende Konkurrenzkampf mit sich bringt. Laut Aussagen der Arbeitsgemeinschaft für Präventivpsychologie (APP) waren 2010 bereits 5 Prozent der 1,2 Millionen Schüler_innen dem Burn-Out nahe, jede_jeden dritte_n Schüler_in ab dem zehnten Lebensjahr stehe unter enormer Stressbelastung durch die Schule. Für die Jugendwerte-Studie aus dem Jahr 2011 wurden 1500 Jugendliche befragt, 56 Prozent von ihnen gaben an, in, in Arbeit, Schule oder Studium stark unter Druck zu stehen, etwa 50 Prozent meinten zu dem an, dass der Leistungsdruck spürbar steigen würde. Die Zahl der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren unter diesen 56 Prozent ist überdurchschnittlich hoch. Schon in frühen Jahren sollen Schwächen ausgemerzt werden. Eigene Stärken zu erkennen und weiterzuentwickeln, das bleibt Luxus jener Schüler_innen, die sich zusätzliche Betreuung und Förderung leisten können.
Vermittelt wird, dass Autoritäten zu gehorchen sei. Schüler_innen sitzen am kürzeren Ast – egal wer am anderen Ast sitzt, ob Eltern, Lehrer_innen, Direktor_innen. Die Mitbestimmung der betroffenen Schüler_innen beschränkt sich auf das Notwendigste. Bei kaum einer schul- und bildungspolitischen Entscheidung werden die Meinungen der Schüler_innen gehört – sie sind am meisten betroffen und werden am wenigsten gehört. Sie haben eine Meinung zu dem, was um sie passiert. Das Recht eine Meinung zu haben und sie zu äußern, wird ihnen abgesprochen, sie werden nicht ernst genommen, weil sie noch zu jung seien, es noch nicht wissen könnten, aber es später schon verstehen würden. Schulalltag ist ständig stillsitzen und zuhören, Kritik zurückhalten, den Erwachsenen glauben, denn sie werden es schon wissen und von Mitschüler_innen diskriminiert werden, weil man anders aussieht, anders spricht oder etwas an sich hat, das im Unterricht noch nie besprochen wurde.
Das sind nur wenige der Ursachen, warum Schüler_innen lieber die Schule schwänzen. Wer kann es ihnen bei diesem Schulsystem verübeln? Wer betritt schon jeden Morgen gerne ein Gebäude, mit dem man so viele negative Gefühle verbindet? Wer will fünf Tage in der Woche dieser Qual aussetzen?
Die Probleme an der Wurzel packen
Schulschwänzer_innen und ihre Erziehungsberechtigten zu bestrafen, wird das Problem nicht lösen. Schüler_innen polizeilich dazu zu zwingen, in die Schule zu gehen, mag in der Statistik zwar besser aussehen, ändert aber nichts an den tatsächlichen Ursachen. Im Gegenteil, solche Maßnahmen werden Angst und Druck vermutlich sogar noch verschlimmern.
Bildungspolitik muss endlich MIT den Schüler_innen reden anstatt ständig nur ÜBER sie zu entscheiden. Schüler_innen müssen ernst genommen werden und ihre Wünsche und Forderungen sollten umgesetzt werden. Gemeinsam muss dafür gesorgt werden, dass alle, die Teil der Schulgemeinschaft sind, sich wohlfühlen und gerne miteinander Zeit verbringen. Gerne lehren und lernen. Schule muss ein Raum sein, in dem alle Schüler_innen das Gefühl haben, sich entfalten zu können und ihren Interessen nachzugehen.
Christina Götschhofer ist Bundesvorsitzende der Aktion kritischer Schüler_innen und studiert Soziologie an der Uni Wien.