So begeistert Bernie Sanders die Basis

Anders als noch vor vier Jahren ist Bernie Sanders heute nicht mehr der Außenseiter im Vorwahlkampf der Demokratischen Partei. Doch während sich die Botschaften Sanders’ nicht gewandelt haben, ist seine Kampagne jetzt professioneller als damals – mit eigener App und Mailinglisten. Eine Reportage von Maria Alexander.

In einer Feuerwehrstation im Westen Los Angeles‘ wird die Hoffnung spürbar. Gut 50 AktivistInnen des „Feel the Bern Democratic Club Los Angeles“ treffen sich hier an diesem Dienstag. Der Raum ist eher karg, die Stimmung konzentriert. Während der ersten 30 Minuten müssen ständig neue Sessel geholt werden, immer mehr Leute kommen. Es sind neue Gesichter dabei, aber auch viele, die bereits 2016 aktiv waren.

Sie sind hier, um ihre Kampagnenaktivitäten zu planen und die Herausforderungen des anstehenden Parteitags der kalifornischen Demokraten zu diskutieren. Michelle etwa, die von sich sagt, dass sie ein Jahrzehnt darauf gewartet hat, dass Sanders kandidiert und die dieses Mal alles geben wird, damit er gewinnt. Auch Tally ist hier, die als Kellnerin 2,30 Dollar in der Stunde verdiente und sich seither für den Mindestlohn einsetzt. Und dann ist da noch Melissa, die Präsidentin des Klubs, die einen ansteckenden Optimismus versprüht: „Alles ist dieses Mal viel besser vorbereitet, früher fertig, professioneller.“

Einer von vielen Progressiven?

Vieles ist dieses Mal anders als bei Bernie Sanders‘ erstem Antritt 2016. Damals war er Außenseiter, verrückter Linker, Überraschungskandidat. Doch die politische Situation hat sich gewandelt. Der politische Diskurs der USA und der Demokratischen Partei ist nach links gerückt. 15 Dollar Mindestlohn, eine öffentliche Krankenversicherung für alle, der Green New Deal, eine radikale Einwanderungsreform – diese Forderungen teilen heute die Mehrheit der US-Bevölkerung und formell auch die meisten der 23 demokratischen PräsidentschaftskandidatInnen, die sich darum bemühen, möglichst progressiv zu erscheinen.

Steve, Autor und Aktivist, erzählt lachend, dass selbst Joe Biden, der Kandidat des Partei-Establishments, von sich behauptet, der „progressivste“ Kandidat zu sein. Sanders ist nun Mit-Favorit. Er muss aber zwei Dinge beweisen: Einerseits, dass er es nicht nur im Gegensatz zu den anderen ernst meint. Andererseits muss Sanders zeigen, dass er Trump schlagen kann.

Steve, Todd und Melissa (von Links) drei engagierte Freiwillige für Bernie in Los Angeles

„Wir fangen schon an“

Der Wahlkampf hat für Sanders also schon lange begonnen – obwohl erst am 3. Februar 2020 die ersten Vorwahlen in Iowa anstehen. Die „offizielle“ Kampagne ist noch nicht mit Personal und Materialien an der Basis angekommen. Aber OrganiserInnen stehen in ständigem Kontakt mit den AktivistInnen. Bereits seit dem Frühling verwenden sie die neue „Bern“-App, durch die sie Kontakte mit WählerInnen dokumentieren, Punkte sammeln und über Aktivitäten informiert werden.

Die Kampagne kann aber auch auf „Super-Freiwillige“ wie Melissa zählen. Wenn sie nicht an einem Community College unterrichtet, investiert sie ihre ganze Zeit in den Aufbau der Kampagne vor Ort. So sind die AktivistInnen schon seit dem Tag aktiv, als Sanders seine Kandidatur ankündigte. Sie haben einen Drucker gekauft, produzieren Flyer, Sticker, T-Shirts und die typisch amerikanischen Rasenschilder. Melissa, Todd und Steve sind sicher, dass sie gut mit der offiziellen Kampagne zusammenarbeiten werden, wenn es soweit ist.

„Wir warten nicht, wir fangen an“: Jeden Tag gestalten die AktivistInnen Infotische und registrieren WählerInnen in Los Angeles – zum Beispiel bei der monatlichen Verleihung neuer StaatsbürgerInnenschaften. Auch „Hupen für Bernie“ ist bei den verschiedenen lokalen Gruppen sehr beliebt. Die VertreterInnen der Gruppe aus dem San Fernando Valley berichten stolz, dass sie bei ihrer letzten Aktion über 750 freundlich hupende Autos gezählt haben.

Auf die altmodische Art

Die wichtigste Aktionsform der Kampagne ist aber nicht digital, sondern ganz traditionell: der Haustürwahlkampf. Möglichst viele potenzielle WählerInnen sollen in eine zentrale Datenbank eingespeist und dann am Tag der Vorwahlen zum Wählen motiviert werden. Eine Taktik, die in Europa mit seinem strengen Datenschutz so wohl nicht möglich wäre. Melissa weiß um die Hürde, an fremde Türen zu klopfen und schult regelmäßig neue AktivistInnen. Als nächstes organisiert sie das erste Mal ein Training dazu, wie man an der Haustür RepublikanerInnen „umdreht“.

Oft begegnet den HelferInnen bei den Gesprächen die Angst, der demokratische Sozialist Bernie Sanders könnte nicht „wählbar“ genug sein. Todd, der als Wissenschafter bei der NASA arbeitet, entgegnet dann: „Wenn ihr Trump schlagen wollt, dann mit echten Menschen. Schaut euch die tausenden Bernie-AktivistInnen an. Kein anderer Kandidat oder Kandidatin kann auf diesen Rückhalt zählen.“ Das passt zu Sanders’ offiziellem Kampagnenmotto „Nicht ich. Wir.“ (Not me. Us.)

Lerneffekte seit 2016

Ob Bern-App, soziale Medien oder das Heer an OrganiserInnen: Die Kampagne wirkt jetzt hervorragend aufgestellt. Auch personell, meint Melissa: „Die Kampagne hat die Besten der Besten angestellt.“

Auch politisch versucht die Kampagne, Konsequenzen zu ziehen. Im Nachgang des Wahlkampfes 2016 gab es schwerwiegende Kritik an Sexismus und sexueller Belästigung durch Mitarbeiter, sowie fehlenden Strukturen und Umgang damit. Bernie Sanders, gegen den selbst keine Vorwürfe bestehen, hat sich Anfang des Jahres offiziell bei den betroffenen Frauen entschuldigt und an Treffen mit ihnen teilgenommen, um ihre Kritik und Vorschläge zu hören. Die Kampagne hat nun offizielle Richtlinien gegen Sexismus und sexuelle Übergriffe. Vielleicht die wichtigste Veränderung zu 2016 ist jedoch ihre Diversität auf allen Ebenen: 70 Prozent aller Führungspositionen werden von Frauen besetzt, viele davon sind Women of Colour. Sanders’ Kampagnenmanager Faiz Shakir ist der erste muslimische Leiter einer Präsidentschaftskampagne in den USA. Die Kampagne ist auch die erste, in der alle MitarbeiterInnen gewerkschaftlich vertreten werden.

Bernie begeistert noch immer

Ein paar Tage nach dem Treffen tritt Sanders in San José, einer Stadt im Silicon Valley, auf. Wie viele andere KandidatInnen ist er in die Gegend unweit San Franciscos gekommen, um sich dem kalifornischen Parteitag zu präsentieren. 2.500 Menschen sind in San José, um Bernie Sanders zuzuhören und ihn zu unterstützen. Was sofort auffällt: Die Mehrheit der Anwesenden ist sehr jung. Es sind hauptsächlich die Millennials – Menschen unter 30, viele sind wohl sogar ErstwählerInnen. Sie sind eine der am stärksten wachsenden WählerInnengruppen in den USA und zugleich am progressivsten eingestellt.

Während alle warten, geht eine Mitarbeiterin der Kampagne durch die Menge und lädt ausgewählte Personen ein, später mit Schildern hinter Sanders zu stehen. Die Kampagne bemüht sich hier wie in den sozialen Medien darum, die Realität der amerikanischen Gesellschaft abzubilden. Junge, Frauen, AfroamerikanerInnen, Latinos und sichtbare Musliminnen stehen hinter Sanders. Doch das ist nicht nur Show: Die Menge an diesem Tag ist groß und divers.

Sanders bei seiner Rede in San José

Viele Krisen, wenig Neues

Nach ein paar VorrednerInnen, etwa dem linken Intellektuellen und Theologen Cornel West, kommt Sanders unter Jubel auf die Bühne. Er erzählt denjenigen, die ihn schon länger kennen, nichts Neues. Aber er begeistert die Menge mit jener Entschlossenheit und Überzeugung, die ihn seit Jahrzehnten unverwechselbar machen. Die Stimmung ist hoffnungsvoll, die Art und Weise, wie Politik hier zelebriert wird, ist lustvoll – etwas, das in Europa oft fehlt.

Sanders bemüht sich in seiner Rede, die verschiedenen Krisen der US-Gesellschaft miteinander zu verknüpfen und bettet sie immer wieder in seine große Erzählung von der überbordenden Macht der Superreichen und Konzerne ein. Es geht um Gesundheit für alle, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, den Zugang zu StaatsbürgerInnenschaft für MigrantInnen und immer wieder um die rabiate Bekämpfung der Klimakrise mit einem Green New Deal. Und er nimmt klar Stellung zu den aktuellen Kämpfen um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch: „Ich verspreche, ich werde das Recht von Frauen auf Selbstbestimmung mit meinem Leben verteidigen.“ Die Menge jubelt.

Bernie und die linke Konkurrenz

Das Thema, das die Menschen am meisten bewegt, ist aber die Klimakrise. Die ZuschauerInnen jubeln jedes Mal, wenn Sanders das Thema anschneidet – und auch in Gesprächen nachher ist es die Nummer Eins. Auch viele junge Leute besuchen die Kundgebung. Sie wollen sich selbst ein Bild von Sanders’ Politik zu machen. Deb und Tyreke sind zusammen gekommen und hellauf begeistert. „Alle Themen, über die Bernie spricht, sind genau das, worüber ich die ganze Zeit nachdenke“, erzählt Deb. „Das wusste ich nicht.“ Der junge Vishal hingegen schwankt noch, nachdem er am Abend zuvor Elisabeth Warren in Oakland gehört hat. „Ich finde Warren und Bernie gut“, sagt er am Rande der Veranstaltung. „Aber ich muss mich erst entscheiden.“

Was Vishal anspricht, ist das größte Risiko in Sanders‘ Wahlkampf. Mit so vielen KandidatInnen, die sich zumindest als progressiv darbieten, sind viele noch unentschlossen. Insbesondere Elizabeth Warren wird von vielen als ehrliche linke Alternative angesehen. Viele halten ihr zu Gute, dass sie detaillierte Konzepte hat und bei Fragen wie Studienkrediten oder Gesundheit ähnliche Positionen wie Sanders vertritt.

Der vordergründige, zentrale ideologische Unterschied zwischen den beiden ist, dass Elizabeth Warren den Kapitalismus gerechter machen, Sanders einen demokratischen Sozialismus will. In der Praxis vielleicht wichtiger sind jedoch ihre unterschiedlichen Politikverständnisse. Bernie Sanders stellt die Konfrontation mit den herrschenden Interessen und die Bedeutung massenhaften Engagements in den Mittelpunkt: „Wir können nur dann Amerika verändern, wenn Millionen Menschen zusammen aufstehen und kämpfen.“  Denn: „Echte Veränderung kommt immer von unten.“ Die Botschaft der Kampagne ist klar: Um das Land zu verändern reicht es nicht, eineN andereN PräsidentIn zu wählen, sondern Millionen von Menschen müssen gemeinsam die Macht der Reichen und Konzerne brechen.

Schnelle Entscheidung

Warren hingegen war in der Vergangenheit als Expertin für KonsumentInnenschutz und Banken bekannt. Ihr Ansatz betont eher inhaltliche Kompetenz anstatt der Bedeutung sozialer Bewegungen. Doch auch sie konnte in den letzten Wochen viel Begeisterung auslösen. Angesichts dessen warnt etwa der linke Organising-Experte Jonathan Smucker davor, sich mit der Entscheidung zwischen den beiden KandidatInnen zu lange Zeit zu lassen: „Egal was ihr macht, bleibt nicht am Rand sitzen. Erlaubt den blöden, konzernfreundlichen sogenannten ‚Zentristen‘ nicht, stärker zu werden, während ihr noch abwartet. Entscheidet euch für jemanden und fangt an euch zu engagieren.“

Wenn der Zeitpunkt kommt, sollen sich dann alle Linken hinter der/dem stärkeren KandidatIn sammeln. Dazu wird es wichtig sein, dass sich die beiden KandidatInnen und vor allem ihre UnterstützerInnen mit Respekt und Solidarität begegnen, wie die linke Intellektuelle Naomi Klein schreibt.

Sanders ist schwer zu übersehen

Ein vielversprechende Kombination

Was Sanders’ Kampagne im Augenblick so vielversprechend macht, ist die Umsetzung des Slogans und Politikverständnisses von „Nicht ich. Wir.“ in die alltägliche Arbeit. Eine begeisterte Graswurzelbewegung trifft auf eine hochprofessionelle nationalen Kampagne, deren Ziel es ist, die Energie und Arbeit der Basis zu fördern. Die BesucherInnen der Kundgebung merken das noch am selben Abend: Sie erhalten Mails, die sie zu Folgeveranstaltungen einladen oder – vielleicht etwas oft – um Spenden bitten.

Wer sich zum Mitmachen registriert, wird zu Online-Seminaren für Methoden oder Themen und Eins-zu-Eins Telefonaten mit OrganiserInnen eingeladen. UnterstützerInnen werden auch gebeten, Personen aus ihrem Umfeld zu nominieren, die als Verbindung zu Gewerkschaften, Kirchen oder anderen Gruppen wirken können. So versucht die Kampagne nicht jene für wichtige Rollen auszuwählen, die am lautesten schreien, sondern jene die tatsächlich das Vertrauen ihrer Communities genießen.

Warum ein alter, weißer Mann in verschiedenen Bevölkerungsgruppen so viel Begeisterung auslösen kann, macht Debs Freund Tyreke im Anschluss an Sanders Rede deutlich. Während im Hintergrund „Talking about a revolution“ von Tracy Chapman läuft, erklärt er: „Seine Beharrlichkeit inspiriert mich. Er kämpft schon sehr lange für die Menschen und er hat bewiesen, dass er tut was er sagt.“ Deswegen wird er ab sofort auch für Sanders und für eine bessere Zukunft von Tür zu Tür gehen.

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