Brasiliens sozialistische Influencerin: Sabrina Fernandes im Interview

Sabrina Fernandes

Mit ihren Youtubevideos zu Ökosozialismus und zur Kritik an Bolsonaro erreicht die Influencerin Sabrina Fernandes Hunderttausende. Warum sie live auf Twitch „Die Sims” spielt, wie sie mit der Personalisierung im Social-Media-Aktivismus umgeht und welche Tipps sie für uns in Österreich hat, erzählt sie im Interview mit mosaik-Redakteurin Lisa Mittendrein.

Mosaik-Blog: Du hast das Unmögliche geschafft – du erreichst mit linken Inhalten unzählige Menschen auf Youtube, dein Kanal Tese Onze allein hat 395.000 Abonnenten*innen. Was ist dein Geheimnis?

Sabrina Fernandes: Es ist eine Herausforderung (lacht). Als ich mit Tese Onze begann war die Rechte im brasilianischen Youtube schon stark. Mein Kanal war einer der ersten aus der radikalen Linken mit einem größeren Kommunikationsprojekt. Er hatte größere Ziele, war professioneller und mit anderen Social Media Accounts verknüpft. Wir haben zum Beispiel auch fast 300.000 Follower auf Instagram.

Was sind deine erfolgsreichsten Videos?

Das beliebteste Video ist das zu „iPhone Sozialismus” mit einer halben Million Views. Es behandelt den Mythos, Sozialist*innen mögen keinen Besitz und im Sozialismus ginge es um Armut. Das rechte Publikum hat darauf sehr stark reagiert. Und es war interessant für Leute, die noch nicht viel über Sozialismus wissen und so den Unterschied zwischen persönlichem Besitz und bürgerlichem Privateigentum kennenlernen.

Einige Videos über die Bolsonaro-Regierung wurden viel angesehen. Beliebt sind auch Videos über die Lügen, die Rechte über Linke erzählen, und solche die erklären was Sozialismus und Ökosozialismus sind. Außerdem gehen in letzter Zeit Videos gut, die enthüllen wie Milliardäre ihr Geld verdienen und warum der Reichtum von Einzelpersonen schlecht für den Planeten ist.

Warum steht Youtube im Mittelpunkt deiner Arbeit?

Youtube ist der wichtigste Kanal, weil Inhalte dort zeitloser sein können. Ich will Menschen Werkzeuge in die Hand geben, mit denen sie die Gesellschaft verstehen können, die ihnen helfen einzuschätzen was sich ändern muss und wie sie sich engagieren können. Ich will ihnen nicht nur meine Analysen und Schlussfolgerungen erzählen. Mir ist wichtig, dass meine Videos auch in zwei Jahren noch relevant sind, also kommentiere ich nicht nur aktuelle Themen.

Neben youtube und Instagram haben wir zwei Twitter-Accounts, einen für Sabrina und einen für Tese Onze. Außerdem nutzen wir Tiktok und Twitch. Es geht um Diversifizierung: Verschiedene Leute fühlen sich auf verschiedenen Social-Media-Plattformen wohl, und ich brauche einen anderen Zugang, um sie zu erreichen.

Wie produzierst du Content für Tiktok und die Gamer*innen-Plattform Twitch und was ist das Besondere an diesen Plattformen?

Tiktok ist eine tolle pädagogische Herausforderung, weil die Videos so kurz sind und ich dort mit einem viel jüngeren Publikum spreche. Sie sind nicht immer auf der Suche nach Politik, aber der Algorithmus stellt mich ihnen vor.

Twitch war hingegen gar nicht schwierig, ich liebe Videospiele. Jetzt spiele ich dort zum Beispiel live Civilisation 6 und spreche anhand dessen über historischen Materialismus. Oder ich spiele die Sims mit dem Sustainable Life-Erweiterungspaket und erkläre dabei die Grenzen des Nachhaltigkeits-Verständnisses in diesem Spiel. Manchmal spiele ich einfach und wir unterhalten uns. Unsere Twitch-Community hat inzwischen einen Discord-Server mit Tausenden von Mitgliedern, der völlig autonom läuft und zum Beispiel gemeinsame Lesekreise organisiert. Das zeigt, es geht nicht um mich. Ich möchte ohnehin gerne überflüssig werden. Wenn ich mir den Discord-Server ansehe, fühle ich mich wunderbar überflüssig.

In deinen Videos steckt eindeutig eine Menge Arbeit. Wie schaffst du das alles, vor allem da du gleichzeitig einen Postdoc machst?

Inzwischen ist es viel einfacher, weil Tese Onze zu einem Team geworden ist. Aber in den ersten zweieinhalb Jahren habe ich alles alleine gemacht: Konzeption, Recherche, Skript, Aufnahme, Schnitt, Veröffentlichung, Beantwortung von Mails und Kommentaren. Und alle sozialen Medien.

Als ich 2019 die Postdoc-Stelle bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung begann, konnte ich das unmöglich so fortführen. Dank Crowdfunding hat Tese Onze eine relativ verlässliche finanzielle Basis und ich konnte mehr Leute an Bord holen. Ich nehme immer noch selbst auf und mache den ersten Schnitt, aber andere Teammitglieder kümmern sich um Teile von Social Media, Postproduktion und Untertitel auf Portugiesisch, Englisch und in Gebärdensprache. Einige arbeiten an unseren anderen Projekten wie Espaço base, wo wir Einführungskurse in marxistische Ökologie anbieten, oder an unserem Lesekreis.

Welche Rolle spielst du heute in der brasilianischen Linken und sozialen Bewegungen?

Mein Ziel ist, dass sich die Menschen Protesten, Parteien und Kollektiven anschließen. Ich bekomme oft Briefe von jungen Menschen, die in rechten Familien aufwachsen und früher sehr einsam waren. Durch die Community bei Tese Onze finden sie Freund*innen und gründen in ihren Wohnorten kleine Kollektive. Solche Geschichten sind sehr erfüllend. Ebenso, wenn soziale Bewegungen wie die MST, die Landlosen-Bewegung, meine Videos in der politischen Bildung verwenden. Die Videos werden auch an Schulen und Universitäten verwendet, was mich sehr freut.

Linke Politik bedeutet kollektive Kämpfe. Gleichzeitig sind manche Personen Kommunikator*innen, was zu einer gewissen Personalisierung führt. Wie gehst du mit diesem Spannungsfeld um?

Ich bin eigentlich ein sehr privater Mensch und die Personalisierung war für mich immer schwierig. Deswegen versuche ich ein Gleichgewicht zu finden, etwa indem ich Inhalte ohne meinen Namen und mein Gesicht produziere oder andere Creators einbinde. Kommunikation ist sehr subjektiv. Vielleicht kann ich als Sabrina jemanden nicht erreichen, jemand mit einem anderen Stil aber schon.

Zum Thema Führung spricht Marta Harnecker einen wichtigen Punkt an. Die Linke hat traumatische Erfahrungen mit der Konzentration von Macht in den Händen Einzelner gemacht, so dass wir manchmal überkorrigieren. Wir wollen führungslos oder horizontal sein, aber am Ende haben wir trotzdem Führungspersonen. Denn wir haben unterschiedliche Verbindungen zueinander, wir haben ungleich viel Zeit und manchmal hören die Leute einer Person lieber zu als einer anderen. Wir sollten nicht versuchen führerlos zu werden, sondern darauf achten, wie die Führenden ihre Verantwortung tragen. Für mich persönlich bedeutet diese Verantwortung, dass ich nur über Themen spreche, mit denen ich mich gut auskenne. Und ich nutze jede Gelegenheit, Andere zu unterstützen.

Warum bezeichnest du dich als Ökosozialistin und was bedeutet das im brasilianischen Kontext?

Ökosozialist*innen stellen das „Öko“ nicht vor den „Sozialismus“, weil es etwas anderes ist als Sozialismus, sondern weil es lange Zeit nicht genug betont wurde. Wenn die Vorsilbe jetzt wichtig genug ist, werden wir am Ende keinen Ökokommunismus brauchen, weil der Kommunismus, der nach dem Ökosozialismus kommt, schon ökologisch sein wird.

Viele frühe Ökosozialist*innen waren mit trotzkistischen Tendenzen oder dem Öko-Anarchismus verbunden. Ich selbst komme von der marxistischen Ökologie, etwa über die Arbeit von John Bellamy Foster. Ich kann nicht über die Widersprüche des Kapitalismus ohne seine ökologischen Widersprüche sprechen. Ökologie ist überall: in der Art und Weise wie wir essen, produzieren und wie wir Content erzeugen.

In Brasilien ist die Regierung so umweltfeindlich, hier ist es besonders wichtig, dass wir die Linke dazu drängen, ökologische Widersprüche stärker zu analysieren und zu diskutieren und ihre eigenen Entwicklungskonzepte überdenken.

Die verfassungsgebende Versammlung in Chile, der Aufstand in Kolumbien, Massenproteste in vielen Ländern – erleben wir gerade eine neue Welle sozialer Bewegungen in Lateinamerika?

Die neuen Bewegungen in Lateinamerika haben teilweise eine neue Dynamik. Die Jugend ist sehr engagiert und viele Kämpfe sind mit der feministischen Bewegung verbunden. Die traditionelle Linke findet das schwierig, weil nicht die gleichen, alten, weißen Männer vorne stehen. Manche haben Angst vor der neuen Realität, aber die Linke muss sich öffnen, ihren eigenen Konservatismus loswerden und neue Leute unterstützen. Natürlich geht es nicht nur um andere Gesichter, sondern darum, mehr Menschen einzubeziehen und die Linke für ein breites Spektrum von Arbeiter*innen und Unterdrückten zugänglicher zu machen.

Du hast jetzt ein paar Monate in Wien verbracht. Gibt es etwas, das du uns mitgeben möchtest?

Ich denke, dass sich eine Gesellschaft daran gewöhnt, auf eine bestimmte Art und Weise, Politik zu machen. Damit zu brechen, ist eine Herausforderung. Es mag sehr kapitalistisch klingen, aber ich denke, die Linke muss ein bisschen unternehmerischer sein – in dem Sinn, dass sie Innovationen offen gegenübersteht. Wir müssen über unseren Tellerrand hinausschauen, bereit sein, Risiken einzugehen und unsere Komfortzone zu verlassen. Wir müssen neue Taktiken ausprobieren und Neuem nicht so wertend begegnen.

Interview: Lisa Mittendrein

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