Rückgratschmerzen: Die FPÖ und die Burschenschaften

Seit jeher gelten Burschenschaften als „akademisches Rückgrat“ der FPÖ. Tatsächlich war die Liaison von Verbindungen und Partei stets konfliktbeladen – für die FPÖ ist sie heute eine größere Belastung als Ressource. Kommt es zum Bruch?

Ich werde immer zuerst Burschenschafter und dann erst Politiker sein. Eine Burschenschaft ist etwas viel Größeres als die FPÖ“, erklärte FPÖ-Stadtrat Mario Eustacchio vor rund einem Jahr vor einem vollen Hörsaal in Graz. Er tat dies im Rahmen einer Vortragsveranstaltung, bei der ich seiner Meinung nach ausgeführt hatte, die FPÖ würde die Burschenschaften für ihre Zwecke ausnutzen. Ich stellte richtig, dass es meines Erachtens eher umgekehrt sei, da die Burschenschaften heute sehr viel stärker von ihrer Allianz mit den Freiheitlichen profitierten als umgekehrt.

Die Leistungen, die die Partei für das völkische Korporationswesen (Burschenschaften, Corps, Landsmannschaften usw.) erbringt, sind umfangreich: sie trägt die Anliegen der Korporationen in Parlamente und Medien und verschafft ihnen so eine politische Relevanz, die sie ansonsten längst verloren hätten; sie stellt Korporierten Mandate und andere Jobs in ihrem Einflussbereich zur Verfügung, organisiert staatliche Subventionen (oder, wie im Fall des Akademikerballs, repräsentative Räumlichkeiten) und stellt sich schützend vor die Verbindungen, wann immer diese angegriffen werden.

Umgekehrt besteht die heute wichtigste Funktion des Korporationswesens für die FPÖ in der einer Kaderschmiede. Nach wie vor rekrutiert die Partei ihr (akademisches) Personal in starkem Maße aus den völkischen Verbindungen. Aktuell gehört etwa mehr als die Hälfte der Mitglieder des 38-köpfigen Bundesparteivorstands einer solchen an, ebenso 16 von 40 Nationalratsabgeordneten oder 13 von 27 Mitgliedern des freiheitlichen Wiener Rathausklubs.

Diese Zahlen kommen nicht von ungefähr: die Verbindungen bringen akademisch gebildete Männer hervor, die in Studium und Verbindung rhetorisch geschult wurden und politische Erfahrungen in Dachverbänden und oft auch im Ring Freiheitlicher Studenten gesammelt haben. Sie sind mit den Grenzen des rechtlich Sagbaren vertraut und weltanschaulich geschult, was sie – anders als Haiders „Buberlpartie“ – zu einem berechenbaren und Kontinuität verbürgenden Faktor macht.

Dementsprechend lobte Friedrich Peter im Rückblick auf seine Langzeit-Parteiobmannschaft (1958 bis 1978) die Korporierten für ihre „Verläßlichkeit und Treue“, ihren „Idealismus“ und ihre „Opferbereitschaft“, welche „die freiheitliche Gesinnungsgemeinschaft durch deren Wellentäler getragen“ hätten. Zuletzt sicherten sie der Partei 2005, nach der Abspaltung des BZÖ, das Überleben, wie Freiheitliche und Kritiker*innen gleichermaßen anerkennen.

Beziehungsarbeit: Glückwunschschreiben Friedrich Peters zum 100-jährigen Bestandsjubiläum der Burschenschaft Olympia, Faksimile aus der Verbindungschronik von 1996
Beziehungsarbeit: Glückwunschschreiben Friedrich Peters zum 100-jährigen Bestandsjubiläum der Burschenschaft Olympia, Faksimile aus der Verbindungschronik von 1996

Hohe Kosten, sinkender Nutzen

In den zehn Jahren seither hat sich freilich einiges verändert: die FPÖ ist aus dem Bereich einstelliger Umfragewerte in die Nähe von Platz eins zurückgekehrt. Für eine Partei dieser Größe und Ambitionen – das zeigte sich schon unter Haider – sind die meisten der traditionellen Dienstleistungen des Verbindungswesens kaum mehr relevant. Als Wähler sind die paar Tausend Korporierten vernachlässigbar, ebenso ihr Mobilisierungs- und Kampagnisierungspotenzial, das kaum über das überschaubare völkische Milieu selbst hinausreicht. Der verbindungsstudentische Beitrag zur Programmarbeit und inhaltlichen Gestaltung freiheitlicher Politik vertreibt mutmaßlich mehr Wähler*innen, als er sichert.

Gleichzeitig zahlt die FPÖ für ihre enge Verzahnung mit den Korporationen einen hohen Preis. Eben die aus der burschenschaftlichen Erziehung folgende, feste Verwurzelung in der völkischen Weltanschauung und ihren Dogmen macht Burschenschafter als Funktionäre wie auch als Wähler zum inhaltlichen Trägheitsfaktor – und zudem betreuungsintensiv. Schon Friedrich Peter – der bis 2000 (Susanne Riess-Passer) einzige FPÖ-Obmann, der keiner Verbindung angehörte – wies darauf hin, dass die Pflege der Beziehungen und Gesprächsbasis zum völkischen Vereinswesen seit je zu den essenziellen Aufgaben der Parteiführung auf Bundes- und Länderebene gehört und dabei ein „reiches Betätigungsfeld“ dargestellt habe.

Immer wieder sahen Parteiführungen sich mit Querschüssen aus dem Verbindungsmilieu konfrontiert, wenn sie nach dessen Ansicht einen zu liberalen Kurs einschlugen und damit freiheitliche Grundsätze verrieten. 1967 etwa spaltete Norbert Burger sich mit anderen Burschenschaftern von der Peter-FPÖ ab, um die (später als neonazistisch aufgelöste) NDP zu gründen. Norbert Steger wurde 1986 als freiheitlicher Bundesobmann vom Burschenschafter Haider abgelöst, nachdem nicht zuletzt die Korporiertenzeitschrift AULA über Jahre seine Demontage betrieben hatte. 2004 durchkreuzte Andreas Mölzer (Corps Vandalia Graz) auch dank erfolgreicher Mobilisierung im Korporiertenmilieu mit seinem Vorzugsstimmenwahlkampf für das Europaparlament die Pläne der Parteispitze, die als Regierungs-Juniorpartner der ÖVP außer Postenvergaben kaum mehr Initiativen im Sinne der völkischen Fundamentalisten ergreifen konnte und/oder wollte.

Obmannschaftlicher Eiertanz

Episoden wie diese zeigen, dass die Unterstützung der Verbindungen für die FPÖ keineswegs bedingungslos und ihr Störpotenzial für die Partei beträchtlich ist. Die korporierte Stammklientel will daher bei Laune gehalten werden – durch Signale, die der FPÖ in der Wahrnehmung breiterer Wähler*innenschichten schaden, wie Bekenntnisse zu deutschem Volkstum, Würdigungen der Kriegsgeneration oder Solidaritätsbekundungen auf burschenschaftlichen Veranstaltungen.

Strache kombiniert seit geraumer Zeit derlei Befriedungsgesten mit einem Kurs der Stimmenmaximierung, der immer wieder mit Irritationen der völkischen Basis einhergeht. Auch Haider verfolgte in den 1990er Jahren diese Kalt-Warm-Strategie, bevor er 2005 mit der Gründung des BZÖ den offenen Bruch vollzog. Hatten die völkischen Fundis seinen Modernisierungskurs noch zähneknirschend toleriert, solange ein Wahlerfolg den nächsten jagte, gingen sie während des Niedergangs unter Schwarz-Blau zunehmend auf Konfrontation.

Haiders Kosten-Nutzen-Analyse hatte auch einen weiteren Umstand zu berücksichtigen: Nicht nur in der Wähler*innengunst stört das korporierte Vorfeld eine Partei, die über kurz oder lang den Kanzler stellen will und dafür – neben Wahlerfolgen – auch einen Koalitionspartner braucht. Ewig wiederkehrende Verwicklungen in rechtsextreme, teils neonazistische Aktivitäten, skandalöse „Sager“, Deutschtumsbekenntnisse und dergleichen mehr machen selbst Parteien das Koalieren schwer, die der blauen Option grundsätzlich nicht verschlossen wären.

Die ideologische Starrheit des idealtypischen Burschenschafters in Österreich, seine Tendenz zum mannhaften Beharren „auf dem Justamentstandpunkt“ und seine überschäumende völkische Leidenschaft, wo eigentlich „die Ratio gefordert“ wäre, machten schon der FPÖ Friedrich Peters zu schaffen. Wem unbedingte Standhaftigkeit als Ideal, Kompromissfähigkeit als Schwäche und Reformbereitschaft als Sakrileg gilt, mit dem ist unter liberal-demokratischen, pluralistischen Verhältnissen (selbst in deren österreichischen Variante) auf Dauer schwer Politik zu machen.

Ausblick

Vor diesem Hintergrund schiene durchaus denkbar, dass die zur Stärke der Haider-Ära zurückgekehrte FPÖ erneut zur Flurbereinigung ansetzt, um die Chance auf den Kanzlersessel zu maximieren. Dagegen spricht jedoch, neben ihrer fortbestehenden Personalknappheit in akademischen Rängen jenseits der Korporierten, zumindest zweierlei.

Zum einen scheinen für potenzielle Konfliktherde (rot-weiß-rot oder schwarz-rot-gold? völkische Elite oder „soziale Heimatpartei“ für den „kleinen Mann“? antiklerikal oder wehrhaft-christlich?) Arrangements gefunden worden zu sein, die zumindest für den Moment tragfähig wirken.

Zum anderen kam es, anders als unter Haider, während des Wiederaufstiegs unter Strache bislang zu keiner kontinuierlichen Marginalisierung der Korporierten auf personeller Ebene. Infolge sind sie heute in Parteispitzenpositionen weit stärker vertreten, als dies 2005 der Fall war, und müssten daher gleichsam einen Bruch mit sich selbst vollziehen. Wahrscheinlicher als ein pauschaler Schnitt scheint daher, dass Korporierte in der Partei weiter einflussreich bleiben, allerdings vor allem ein spezifischer Typus des Korporierten eine gedeihliche Zukunft vorfinden wird: Pragmatiker vom Schlage eines Manfred Haimbuchner, Norbert Hofer oder Harald Stefan – allesamt amtierende Bundesobmann-Stellvertreter. Der traditionellere, stärker dogmatische Typ, für den Martin Graf, Andreas Mölzer oder Barbara Rosenkranz (Mitglied einer Damenverbindung) stehen, wurde in den letzten Jahren zunehmend an den Rand gedrängt.

Sollte es doch zum Bruch kommen, etwa weil enttäuschende Wahlergebnisse alte Konfliktlinien wieder aufbrechen lassen, wäre eine vom korporierten Vorfeld losgelöste FPÖ freilich nicht notwendig „weniger rechts“, wohl aber inhaltlich und taktisch manövrierfähiger, für manch Wähler*in attraktiver und gälte für manch Partei der Mitte eher als regierungsfähig.

Was der Bruch für die Korporationen selbst bedeutete, hat Andreas Mölzer schon vor Jahren Bezug nehmend auf die Parteikrise Mitte der 1980er Jahre festgehalten: wäre den Verbindungen damals die FPÖ entglitten, hätten sie jeglichen gesellschaftlichen Einfluss eingebüßt und nur noch „im vorpolitischen Raum, folkloristisch gewissermaßen“ weiterbestanden. Wer bei einer Trennung mehr zu verlieren hätte, scheint angesichts solcher Prognosen offensichtlich.

Bernhard Weidinger ist Politikwissenschafter, Autor eines aktuellen Standardwerks über Burschenschaften in Österreich und bloggt auch im Rahmen der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit. Von dieser zuletzt erschienen: „Rechtsextremismus. Entwicklungen und Analysen“

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