Gestern präsentierte Christian Kern den neuen SPÖ-Kriterienkatalog für Koalitionen. Dass er auch linke Forderungen enthält, darf nicht davon ablenken, dass er den Boden für Rot-Blau im Bund bereitet. Und das wäre brandgefährlich, argumentiert Nina Andree.
Seit Niessls Koalition mit der FPÖ im Burgenland schwelt in der SPÖ eine Debatte über Rot-Blau. Der neunseitige Kriterienkatalog, genannt „Wertekompass“, soll nun die rote Gretchenfrage – wie hältst du’s mit der FPÖ? – beantworten. Er wurde gestern mit Gegenstimmen aus den Jugendorganisationen im Parteivorstand beschlossen. Eine rot-blaue Koalition wird damit offiziell möglich, die FPÖ wird als Koalitionspartner in Betracht gezogen. Christian Kern ging bei der Präsentation so weit, die FPÖ aufzufordern, nun das Spielfeld zu betreten und zu zeigen, ob sie bereit ist in diesem Rahmen „mitzuspielen“. Die FPÖ wird mit dem Kriterienkatalog zu normalen Partei erklärt, das notwendige klare „Nein“ zur extremen Rechten fehlt.
Was steht drin im Kriterienkatalog?
Ausgearbeitet von einer Arbeitsgruppe unter dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser enthält der Kriterienkatalog eine Präambel und sieben allgemeine Prinzipien. Zusätzlich gibt es konkrete Programmpunkte für Koalitionsverhandlungen nach der Nationalratswahl. Der Kriterienkatalog gilt für die Bundes-, Landes- und Gemeindeebene. Doch „im Sinne der Subsidarität“ soll jede Ebene der SPÖ selbst abwägen, ob die Kriterien von den anderen Parteien erfüllt werden. Damit wird die rot-blaue Koalition im Burgenland nachträglich klar legitimiert. Das Papier beinhaltet auch Sanktionsmechanismen, die bei Nichteinhaltung des Wertekompasses greifen sollen, jedoch schwammig bleiben.
Unkonkret, aber dafür auch flexibel – das gilt für weite Teile des Dokuments. Der Wertekompass enthält kurze Ausführungen zu sieben Bereichen, wie EU, soziale Sicherheit oder Bildungspolitik, jedoch kaum konkrete Forderungen. An diesen schwammigen Erklärungen sollen von nun an Koalitionsvereinbarungen gemessen werden. Auf den antifaschistischen Grundkonsens der zweiten Republik wird hingewiesen, die angeführten Beispiele wie etwa „Hitler zum Geburtstag gratulieren“ sind jedoch so ausgewählt, dass wohl auch die FPÖ nicht offen dagegen verstößt. Beim Abschnitt zum Thema Menschenrechte gibt es den Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention, jedoch keine konkrete Forderung. Es bleibt also alles Auslegungssache.
Weiters enthält der Kriterienkatalog sieben Koalitionsbedingungen für die Nationalratswahl 2017. Dazu gehören etwa eine Steuersenkung auf Arbeit und der Stopp von Steuerprivilegien und Sonderrechten für Großkonzerne. Als Beispiel wird eine klare Ablehnung zu Konzernklagsrechten im Rahmen von Handelsabkommen genannt. Das ist paradox, denn Kern hat CETA, trotz Gegenwind von Gewerkschaft und Jugendorganisationen, im Europäischen Rat zugestimmt und auch die SPÖ spricht sich im Gesamten nicht mehr gegen dieses arbeiterInnenfeindliche Handelsabkommen aus. Der programmähnliche Katalog enthält auch einen Mindestlohn, Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung, eine Erbschaftssteuer, mehr PolizistInnen und eine Verwaltungsreform. Viele konkrete sozialdemokratische Forderungen, wie nach einer Vermögenssteuer oder Arbeitszeitverkürzung, fehlen.
Die linken Inhalte machen das Papier gefährlich
Inhaltlich enthält das Papier einige Punkte, die man als LinkeR unterschreiben würde – etwa zu sozialer Sicherheit, Gleichstellung der Geschlechter oder Bildung. Doch das macht das Papier umso gefährlicher. Der Kriterienkatalog suggeriert linke Politik, lässt aber extrem viel Spielraum, was das konkret bedeutet. Klar ist: Bei einer etwaigen Koalition würden ÖVP oder FPÖ den formulierten Kriterien klar entsprechen und somit ihre Politik weiter legitimiert, ja sogar noch lobend hervorgehoben. Für Linke bleibt nur zu hoffen, dass die Partei den Katalog am Ende so auslegt, dass er eine Koalition mit ÖVP oder FPÖ ausschließt. Die Entscheidung darüber liegt allerdings bei einigen wenigen, die ihre Argumentation ohne weiteres den machtpolitischen Gegebenheiten anpassen können.
Insgesamt war das Zustandekommen des Kriterienkatalogs undemokratisch. Er wurde im Bundesparteivorstand beschlossen und hebelt somit den gültigen Parteitagsbeschluss gegen Rot-Blau einfach aus. Wenn der zweite Satz der Präambel „Demokratie sichert die Teilhabe aller Menschen an der politischen Willensbildung“ lautet, sollte man sich dies auch für parteiinterne Prozesse zu Herzen nehmen. Immerhin wird es nach Ende der Koalitionsverhandlungen eine Urabstimmung geben – ein guter Schritt, der für eine demokratische Partei Selbstverständlichkeit sein sollte. Der Zeitpunkt der Urabstimmung spricht trotzdem für sich: Diese jahrelange Forderung des linken Flügels wird erst aufgegriffen, wenn der Rechtsruck in der Partei schon weit fortgeschritten ist. Es ist anzunehmen, dass sich die Parteispitze davon Zustimmung für eine rot-blaue Koalition erhofft.
Der Kriterienkatalog öffnet die Tür zu Rot-Blau
Der Kriterienkatalog öffnet offiziell die Tür zu Rot-Blau. Er signalisiert, über die Zusammenarbeit mit der FPÖ könne man im Einzelfall entscheiden und es brauche keine grundsätzliche Position dagegen. Tatsächlich verwundert es, warum viele in der SPÖ eine Koalition mit der FPÖ sach- und demokratiepolitisch für möglich halten. Die FPÖ ist und wird immer eine gewerkschaftsfeindliche Sozialabbaupartei sein. Viele ihrer FunktionärInnen haben Kontakte zur Neonazi-Szene und der Neuen Rechten. Die Bereitschaft zur Koalition mit ihnen lässt sich nur durch einen extremen Rechtsruck der SPÖ, offensichtlichen Gedächtnisverlust und massive Selbsttäuschung erklären.
Enthielte der Kriterienkatalog tatsächliche sozialdemokratische rote Linien gegenüber Sozialabbau, Sexismus und Rassismus, wäre eine Koalition mit der FPÖ sofort unmöglich. In der Partei wird oft beschworen, die SPÖ bräuchte eine Alternative zur großen Koalition. Doch angesichts der Erfahrungen der letzten FPÖ-Regierungsbeteiligung ist klar, dass diese wirtschafts- und sozialpolitisch wenig anders wäre.
Wie weiter?
Eine Partei, die ihre Grundsätze und Positionen verliert, die keine Vision einer anderen Gesellschaft abseits von Profitorientierung mehr hat, kann auf Dauer nur verlieren. Sie hat den Rechten und Neoliberalen nichts entgegenzusetzen, sondern fährt genau diesen Kurs mit. Der Gang in die Opposition wäre vielleicht die letzte Chance für die SPÖ, das wiederzugewinnen – ohne die verheerenden Folgen einer schwarz-blauen Regierung außer Acht lassen zu wollen.
Stellen wir eines klar: Verhandlungen und im schlimmsten Fall eine Koalition mit der FPÖ werden nicht still abgesegnet werden. Viele Menschen, wenn nicht sogar ganze Teilorganisationen, werden Widerstand leisten. Und sie werden ihr Verhältnis zur SPÖ überdenken. Einzelpersonen werden sicher mit der Partei brechen und auch für rote Jugendorganisationen, wie die Sozialistische Jugend, muss es zu verschiedenen Arten von Bruchlinien kommen.
Nina Andree, 22 Jahre, ist Frauensprecherin der Sozialistischen Jugend Oberösterreich und Aktivistin im Bündnis „Linz gegen Rechts“.