Die Spiele der Reichen auf Kosten der Armen

Vertreibung, Korruption und Polizeigewalt: Das verbinden die meisten BewohnerInnen von Rio de Janeiro mit den Olympischen Spielen – und setzen sich gegen die zahlreichen Ungerechtigkeiten zur Wehr. Barbara Stefan wirft einen kritischen Blick auf Sport-Ereignis dieses Sommers.

Aus Österreich treten 34 Frauen und 37 Männer bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro an. Wie die meisten TeilnehmerInnen und BesucherInnen werden sie nicht viel vom veränderten Lebensalltag der Cariocas, wie die BewohnerInnen der Stadt genannt werden, mitbekommen. Dafür sorgt der 2010 aufgestellte, kilometerlange Sichtschutz entlang der Straße vom Flughafen ins Zentrum. Diese „Wand der Scham“, wie sie Einheimische nennen, versperrt TouristInnen und Sportbegeisterten den Blick auf die Armut und Gewalt, die in vielen der durchquerten Viertel herrschen. Doch das ist nur eine von vielen Maßnahmen der Segregation, Ausgrenzung und Kontrolle von Armen. Seit der Vergabe der Olympischen Spiele und der Fußball-Weltmeisterschaft an Rio de Janeiro ist eine wahre Welle der Repression über die Stadt hereingebrochen.

Zehntausende vom Wohnort vertrieben

Beginnen wir bei den Bauarbeiten der olympischen Anlage. Um für die Sportstätten, Wohnungen und Infrastruktur Platz zu schaffen, wurden etwa 80.000 Menschen aus ihren selbstgebauten Heimen vertrieben. Sie erhielten zwar Ersatzwohnungen angeboten, doch diese waren meist unfertig, lagen sehr abgelegen oder waren ohne jede Infrastruktur. Wer die Entschädigung nicht annahm, wurde schikaniert. Wer immer noch nicht auszog, wurde auf brutale Art und Weise zwangsabgesiedelt.

Zum Symbol des Widerstands wurde vor allem die Gemeinschaft Vila Autodromo. Ihre BewohnerInnen kämpften erbittert gegen die Vertreibung, konnten den Bau von Parkplätzen, einem Medienzentrum und olympischen Stätten aber nicht verhindern. Von den 500 Häusern blieben letzten Endes nur zwanzig stehen, deren BewohnerInnen nach jahrelangem Kampf Ende Juli 2016 kleinere Wohnungen am gleichen Ort zugesprochen bekamen.

Täglich Tote durch Polizeigewalt

Schon 2008, als Rio de Janeiro die Olympischen Spiele und die Fußball-WM zugesprochen bekam, begann die Militarisierung der Stadt. Die vom Drogenhandel betroffenen Favelas sollten „pazifiziert“, also „befriedet“ werden, um für die Sicherheit der ausländischen Gäste zu garantieren. Dazu wurden 42 sogenannte „Befriedungsseinheiten“ gegründet. Mit Unterstützung von Militär, Panzern, schwerer Bewaffnung und der sogenannten „Friedenspolizei“ zogen sie in die Viertel ein. Diese Einheiten sind vor allem in jenen Favelas aktiv, die entlang von teuren und schicken Mittelschichtsvierteln oder in der Nähe von Sportstätten liegen. Vielerorts war es das erste Mal, dass die Staatsgewalt überhaupt in Erscheinung trat.

Die „Befriedungseinheiten“ sollten Drogenhandel und Gewalt unterbinden, so der offizielle Diskurs. Die Kriminalitätsrate sank zwar, doch das Problem wurde nur verlagert. Die meisten Drogenbanden flüchteten in Rios Vororte, wo nun Straßenschießereien die BewohnerInnen in Angst und Schrecken versetzen. Zur fallenden Kriminalitätsrate trägt auch bei, dass Morde durch die Polizei nicht eingerechnet werden. Über 2.500 Menschen, vor allem schwarze Männer, wurden seit 2008 durch Polizeikräfte getötet, Tendenz steigend. Im Frühjahr 2016 starb mehr als ein Mensch pro Tag durch Polizeigewalt – eine traurige Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr.

Reichen-Viertel weiter aufgewertet

Hinzu kommt, dass die Investitionen für die Sport-Events in erster Linie dem reichen Teil der Stadtbevölkerung zugutekommen. Der Olympische Park, das Kernstück der Anlagen, wurde im Bezirk Barra da Tijuca errichtet. Das wohlhabende, abgelegene Viertel im Westen der Stadt bekam eine eigene U-Bahnstation. Die bereits schlechte Verkehrsanbindung zwischen dem armen, dicht besiedelten Norden und dem Zentrum der Stadt wurde dagegen eingeschränkt. Insgesamt 70 Buslinien wurden gestrichen und durch gerade einmal 16 Routen ersetzt. Zudem steigen die Fahrpreise seit Jahren stetig und verschlingen bei GeringverdienerInnen bis zu 50 Prozent ihres Einkommens.

Insgesamt wurden 40 Milliarden Reais (gut 11 Milliarden Euro) in die Errichtung der olympischen Anlagen investiert. Über 63 Prozent davon kommen aus öffentlichen Mitteln, 37 Prozent aus privaten Geldern. Die davon profitierenden Baufirmen zahlten fette Spenden an die Partei des konservativen Bürgermeisters. Sie sind zudem in den Korruptionsskandal rund um den staatlichen Ölkonzern Petrobras verwickelt, der zum derzeit laufenden Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff beitrug. Die für die AthletInnen errichteten Wohnungen dürfen die Firmen später als Luxusapartments verkaufen. Die Investitionen in Infrastruktur, Straßen und öffentlichen Verkehr haben die Preise im Viertel bereits stark nach oben getrieben.

Streikende an TouristInnen: „Willkommen in der Hölle“

Eigentlich ist Rio de Janeiro pleite. Der sinkende Ölpreis und die Rezession lassen die Staatseinnahmen fallen. Um die Vorbereitung der Olympischen Spiele nicht zu gefährden, rief die Stadtregierung daher kürzlich den finanziellen Notstand aus. Viele öffentliche Bedienstete, etwa bei Straßenpolizei, Feuerwehr, Universitäten, Schulen, Spitälern, sowie ausgelagerte DienstleisterInnen, etwa Putzkräfte und technische Services, wurden monatelang nicht bezahlt.

Die Folge: Müll und Dreck blieben auf der Straße liegen, etliche öffentliche Spitäler schlossen, Studierende erhielten keine Stipendien mehr, der Unterricht an öffentlichen Universitäten wurde eingestellt, SchülerInnen sowie Lehrkräfte traten in den Streik. Protestierende aus Straßenpolizei und Feuerwehr empfingen bei einer Protestaktion am Flughafen TouristInnen mit einem Schild mit der Aufschrift: „Willkommen in der Hölle. Wer nach Rio kommt, ist nicht sicher.“

Die Spiele der Exklusion

Die Olympischen Spiele dienen also nicht nur dazu, öffentliche Gelder in private Vermögen zu verwandeln, sondern sie vertiefen auch die Spaltung der Stadt zwischen einer weißen Mittel- und Oberschicht und mehrheitlich schwarzen Armen. Die enorme Ungleichheit wird durch Militarisierung unter Kontrolle gehalten. Für die sozialen Bewegungen, die den August über Proteste organisieren, sind die Olympischen Spiele mit Recht nur eines: die „Spiele der Exklusion“.

Barbara Stefan ist Politikwissenschaftlerin und schreibt derzeit an ihrer Dissertation zum Thema soziale Bewegungen. Im Rahmen ihrer Forschung und in ihrer Freizeit hat sie Rio de Janeiro mehrfach besucht, dort gelebt und studiert.

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