Blockade in Wien-Liesing: Wieso das Tor von Rheinmetall-MAN heute geschlossen bleibt

Anti-militaristische Aktivist:innen vor Rheinmetall-MAN

Aktivist:innen blockieren gerade die Eingänge des Betriebs Rheinmetall-MAN. Zwei von ihnen, Mara und Karl, erklären im Interview die Hintergründe der Aktion.

50 anti-militaristische Aktivist:innen stören seit sechs Uhr Früh den Betrieb des Unternehmens Rheinmetall-MAN Military Vehicles (RMMV) in Wien-Liesing. Mit Transparenten wie „Rüstungskonzerne enteignen – sozialökologischer Umbau jetzt“ blockieren sie den Zugang zum Werkstor. Mosaik spricht mit den Aktivist:innen Mara und Karl von Rise Up 4 Rojava über die Hintergründe des Protests, ihre Forderungen und warum die Rüstungsindustrie keine Zukunft hat.

Warum stört ihr heute den Betrieb von Rheinmetall-MAN?

Mara: Bei Rheinmetall-MAN in Wien-Liesing werden seit 2010 militärische Fahrzeuge hergestellt, unter anderem Truppentransporter und Militär-LKWs. Diese wurden bislang in mehr als 60 Länder exportiert. Sie tragen dazu bei, dass Menschen sterben. Das sollte schon als Grund ausreichen, sich gegen dieses Unternehmen zu stellen. Aber Rheinmetall-MAN liefert seine Fahrzeuge auch an verbrecherische Regime wie jenes in Saudi-Arabien oder des türkischen Diktators Recep Tayyip Erdoğan. Erdoğan führt seit Jahrzehnten einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die kurdische Freiheitsbewegung im eigenen Land sowie in den kurdischen Gebieten im Irak und Syrien.

Karl: Außerdem verschärfen Militäreinsätze und ihre Industrie die Klima- und Umweltkrise: Enorme Mengen von fossilen Brennstoffen werden verbraucht und damit Feinstaub und Treibhausgase emittiert. Lebensräume werden durch Kriegshandlungen zerstört und Biotope und landwirtschaftliche Flächen durch den Einsatz von Chemikalien nachhaltig verseucht. Das sind nur einige Beispiele. Was bleibt ist, dass Rheinmetall-MAN und der Konzern Rheinmetall im Allgemeinen in vielerlei Hinsicht menschen- und lebensfeindliche Kriegstreiber sind.

Was lässt sich aus eurer Sicht dagegen tun?

Karl: Wir setzen uns für eine Produktion für Menschen, nicht gegen Menschen ein. Deswegen fordern wir – gemeinsam mit Aktivist:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung – den sozial-ökologischen Umbau des Unternehmens.

Das klingt abstrakt. Was fordert ihr konkret?

Karl: In einem ersten Schritt fordern wir Transparenz in der österreichischen Rüstungsindustrie. Seit 1977 ist im Kriegsmaterialgesetz festgeschrieben, dass jegliche Ein-, Aus-, und Durchfuhr von Kriegsgütern genehmigt werden muss. Exporte in Gebiete, in denen ein bewaffneter Konflikt herrscht oder Menschenrechtsverletzungen stattfinden, sind dabei ausgeschlossen. Österreich hält sich nicht an die eigenen Gesetze, wie Ausfuhren nach Saudi-Arabien und in fünf weitere kriegsführende Staaten zeigen.

Wir fragen uns, wie es sein kann, dass im ach so neutralen Österreich kontinuierlich Milliardengeschäfte mit der Rüstungsindustrie gemacht werden: 2002 wurden Waren im Wert von 40 Millionen Euro aus Österreich exportiert. Bis zum Jahr 2016 hat sich diese Zahl auf 638 Millionen verfünfzehnfacht. In Summe gingen von 2002 bis 2016 Rüstungsgüter im Wert von 4,8 Milliarden Euro über die Grenze.

Mara: Transparenz ist aber nur der Anfang. Sie zeigt die Praktiken sowie den Umfang der lebensfeindlichen Rüstungsindustrie auf und macht deutlich, dass Rüstungsgüter nicht mehr produziert werden dürfen. Deswegen fordern wir den sozial-ökologischen Umbau von Unternehmen wie Rheinmetall-MAN. Gerade in den Zeiten einer Pandemie kommt es uns besonders absurd vor, dass gegen und nicht für Menschen produziert wird. Wir brauchen dringend lebenserhaltende Produktion und Forschung.

An wen richten sich eure Forderungen und euer Protest?

Mara: Unser Protest richtet sich gegen die österreichische Regierung, weil sie die Interessen von Konzernen wie Rheinmetall-MAN schützt. Sie stellt Profite über Menschenleben. Österreich ist außerdem Teil eines weltweiten Aufrüstens. Dieses zeigt sich unter anderem bei der Militarisierung von Sicherheitskräften und beim ‚Grenzschutz‘. Anstatt Geflüchteten zu helfen, werden hilfesuchende Menschen durch immer ausgefeiltere Waffensysteme ‚abgewehrt‘. Auch bei der heutigen Aktion ist wieder die Polizei vor Ort, um die Interessen des Unternehmens durchzusetzen.

Karl: Natürlich richten wir uns aber auch gegen Rheinmetall-MAN als Konzern. Dass Unternehmen damit aufhören können, Menschenleben zu zerstören, hat BRP-Rotax gezeigt; ein Hersteller von Antriebssystemen in Oberösterreich. Letztes Jahr hatte sich herausgestellt, dass seine Motoren in türkischen Kampfdrohnen verbaut werden. Nach öffentlichem Druck wurden die Lieferungen in die Türkei eingestellt.

Mara: Das reicht uns bei Rheinmetall-MAN aber nicht. Wir fordern, RMMV sowie die gesamte Rüstungsindustrie zu enteignen. Wir wollen einen gesellschaftlichen Prozess, in dem wir diskutieren, was ein Betrieb wie RMMV – der ja schon einmal zivile Busse hergestellt hat – sinnvoller Weise produziert. Dabei spielen die Arbeiter*innen und ihr Know-How eine wichtige Rolle.

Polizeiaufgebot vor Ort in der Brunner Straße, Wien-Liesing. Foto: Rise up 4 Rojava

Das ist ein gutes Stichwort. Wie geht ihr mit Unmut hinsichtlich eures Protests von Seiten der Arbeiter:innen um? Gibt es den heute?

Mara: Wir verteilen Flyer vor den Toren, bisher waren uns die Reaktionen der Beschäftigten eher wohlgesonnen. Wir machen aber auch ganz klar, dass sich unser Protest nicht gegen die Beschäftigten von Rheinmetall-MAN richtet. Das haben wir den Arbeiter:innen auch mittels Flugblättern mitgeteilt und sie zu Gesprächen vor Ort eingeladen. Menschen müssen in diesem System arbeiten gehen, um sich und andere Menschen zu erhalten. Es wäre zu einfach, ihnen einen Vorwurf daraus zu machen, dass sie das bei Rheinmetall-MAN tun.

Karl: Wem wir allerdings sehr wohl einen Vorwurf machen, sind die Vorstände und Geschäftsführer:innen von Rheinmetall-MAN und Rheinmetall im Allgemeinen. Sie machen Profite mit Menschenleben. Nicht nur, indem sie Kriegsgeräte herstellen. Auch am Leben der eigenen Arbeiter:innen scheint ihnen nicht viel zu liegen. Im Werk einer Tochterfirma von Rheinmetall zur Herstellung von Bomben und Munition in Südafrika starben 2018 acht Arbeiter:innen durch eine Explosion. Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt. Bei den fünf weiteren Zwischenfällen, die seitdem in dem Werk passiert sind, ist zum Glück niemand gestorben.

Mara: In Wien wollen wir den Arbeiter:innen unsere Perspektive vermitteln. Wir wollen aber auch erfahren, wie ihre Arbeitsbedingungen sind, unter welchem Druck sie arbeiten und inwieweit sie sozial abgesichert sind. Die Drohung des Abbaus von Arbeitskräften stand bei Rheinmetall-MAN immer wieder im Raum, im Jahr 2013 machte sie der Konzern auch wahr.

Foto: Rise up 4 Rojava

Ihr bezeichnet euch als Anti-Militarist:innen, sprecht aber viel von sozial-ökologischem Umbau. Wie passt das zusammen?

Karl: Wir haben vorhin schon angedeutet, inwieweit Krieg systematisch ökologische Lebensgrundlagen von Menschen vernichtet und die Klimakrise befeuert. Ressourcenknappheit und politische Destabilisierung sind Folgen der Klimakrise. Ihre Bekämpfung wird von Seiten von Regierungen und Konzernen ideologisch genutzt, um militärische Einsätze als notwendiges Mittel für gesellschaftliche ‚Sicherheit‘ und ‚Nachhaltigkeit‘ darzustellen. Das zeigt sich auch dann, wenn sich Rheinmetall auf seiner Website als ‚umweltfreundlicher‘ Technologiekonzern „für eine sichere und lebenswerte Zukunft“ inszeniert. Das wollen wir so nicht stehen lassen. Es liegt auf der Hand, dass die verschiedenen sozialen Kämpfe zusammengehören.

Mara: Deswegen sind heute auch viele Aktivist:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung hier. Sie haben in Wien mit der Verhinderung der Lobauautobahn in den letzten Monaten enorme Erfolge verzeichnen können. Ihr Kampf für eine sozial-ökologisch gerechte Mobilitätswende geht aber weiter, indem sich nach wir vor auch die Stadtautobahn bekämpfen. Unsere Forderung, das Rhienmetall-MAN-Werk in gesellschaftliche Hand zu überführen und die Produktion umzustellen, verfolgt dieselben Ziele wie die Lobau-Bleibt-Proteste.

Rheinmetall produziert auch für die Automobilindustrie, stellt E-Mobilität als ‚grüne Alternative‘ zum Verbrennermotor dar und verhindert somit eine sozial-ökologisch gerechte Mobilitätswende. Wir zeigen heute genau das, was auch schon #lobaubleibt gezeigt hat: Wir lassen uns in unserem Protest nicht gegeneinander ausspielen – hier die Anti-Militarist:innen, dort die Klimagerechtigkeitsbewegung und außerdem noch die Arbeiter:innen. Wir fordern heute gemeinsam: Rüstungskonzerne enteignen, Stadtautobahn stoppen und das gute Leben für alle.

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