Seenotretter Reisch: “Das Urteil wird nicht das Ende meiner Tätigkeit sein”

Claus-Peter Reisch ist Kapitän und Seenotretter. Seit Juli 2018 steht er deswegen in Malta vor Gericht. Ein Gespräch über die Lifeline, die CSU und wie es ist, sechs Tage lang nicht anlegen zu dürfen.

Ende Februar feierte der Film „Mission Lifeline“ in Graz Weltpremiere. Am Tag darauf lief er im Wiener Schikaneder Kino. Mosaik-Redakteur Moritz Ablinger habt Claus-Peter Reisch, Kapitän des Lifeline-Rettungsschiffes, getroffen und mit ihm gesprochen. Das Interview ist bereits als Podcast erschienen.

Fotos: Reinhard Lang

Mosaik: Im April 2017 bist du das erste Mal eine Rettungsmission im Mittelmeer gefahren. Wie bist du dazu gekommen?

Claus-Peter Reisch: Ich bin im Sommerurlaub 2015 mit meinem Schiff von Italien nach Griechenland gesegelt. Da sind mir in den kalabrischen Häfen die abgewrackten libyschen Fischerboote aufgefallen. Wir haben uns damals gefragt, was wir tun würden, wenn wir einem Flüchtlingsboot begegnen würden. Mit sechs Schwimmwesten und einer kleinen Rettungsinsel kommt man da nicht weit.

Bald hat dann ja auch die Diskussion angefangen, ob die Seenotrettung überhaupt sinnvoll ist. Das war für mich ungeheuerlich. Ich hatte damals ziemlich viel Zeit, seefest war ich auch. Ich habe mich dann bei verschiedenen Organisationen beworben und war im April 2017 das erste Mal auf einem Schiff. Und das, gleich als Kapitän.

Du hast in einem Interview mit der Schweizer Onlineplattform „watson“ gesagt, dass du früher CSU gewählt hast. Wie stehst du da heute dazu?

Ich habe kein Problem damit, dass ich einmal CSU gewählt habe. Sobald man die Bibel lest, wird ja klar, dass es eine christliche Pflicht ist, andere Menschen zu retten. Da braucht man nur die Bibel lesen. Fest steht auch, dass sich die Partei unter Horst Seehofer von diesen Idealen verabschiedet hat. Andererseits bin ich ein konservativer Mensch. Man braucht kein Antifaschist zu sein, um Leute in Not retten zu wollen.

Wie ist es denn, Leben zu retten?

Es prägt sich in das Gedächtnis ein. Das erste Mal war es ein Holzboot, auf dem 80 Personen saßen. Der Motor lief nicht mehr, weil der Sprit aus war. Diese Menschen wären gestorben, wenn wir sie nicht gefunden hätten. Entweder das Boot geht unter oder die Leute verdursten, weil ihr Wasser irgendwann aufbraucht ist. Wir haben das verhindert. Das hat mich motiviert, weiterzumachen und weitere Missionen zu fahren.

Seit Juli stehst du nun in Malta vor Gericht. Was bedeutet der Prozess für dich persönlich?

Es wäre mir recht, wenn er so schnell wie möglich vorbei wäre. Aber die Anklagebehörde verzögert, wo es möglich ist. Ich war bis jetzt sechs Mal für den Prozess auf Malta und die ersten fünf Mal ist nichts passiert. Einmal hat ein Termin drei Minuten gedauert, bis er vertagt worden ist. Das hätten uns die Behörden auch im Vorhinein sagen können, dafür hätten wir nicht nach Malta fliegen müssen. Man gewinnt den Eindruck, sie wollen Zeit gewinnen.

Zeit gewinnen, damit das Schiff noch länger im Hafen liegt?

Genau. Es geht darum, die Rettungsschiffe aus dem Verkehr zu ziehen. Bei uns geht es um die Registrierung, bei der Aquarius ist es angeblich ein Müllproblem. Unser Prozess dauert bereits ein Dreivierteljahr, in dem wir viele Menschen hätten retten können. Die Politik nimmt es wissentlich in Kauf, dass da draußen Menschen sterben. Da fragt man sich doch schon,wer sich auf die Anklagebank gehört.

Was wird dir genau vorgeworfen, was ist der blaue Zettel, von dem du da sprichst?

Der Vorwurf lautet, dass wir das Schiff nicht richtig registriert haben und damit die niederländische Fahne nicht führen dürften, weil dieses Zertifikat nicht dazu berechtigen würde. Dabei steht da doch drin: „Flag: Dutch, Homeport: Amsterdam“. Darum geht es vor Gericht, um sonst nichts. Aber das ist ein Originaldokument, das hat uns mittlerweile auch das Gericht beschieden. Warum soll ich dem nicht mehr glauben können?

Bevor du verhaftet wurdest, durftest du mit sechs Tage lang nicht anlegen. Welche Gedanken macht man sich da?

Früher oder später wären wir in einen Hafen gekommen, das war mir immer klar. Im schlimmsten Fall hätte ich das Schiff zum Seenotfall erklärt, dann hätten sie uns anlegen lassen müssen. Aber es bedarf einer logistischen Vorbereitung, wenn ein Schiff mit 235 Menschen an Bord kommt, die zum Großteil medizinische Hilfe benötigen. Deswegen bekommt man auf diesen Rettungsmissionen immer einen Hafen zugeteilt. Ich suche mir den nicht aus.

Wie lang wäre es auf der Lifeline noch gut gegangen?

Ich weiß es nicht. In der letzten Nacht habe ich einen Mann vom Schiff evakuieren lassen, weil der sonst gestorben wäre. Dann wurde das Wetter schlechter, die Wellen waren bis zu drei Meter hoch. Wir hatten 150 kotzende Menschen an Bord. Deswegen habe ich bei den maltesischen Behörden angefragt, ob ich aus humanitären Gründen in den Windschatten der Insel fahren darf, wo der Seegang weniger arg gewesen wäre. Das ist dann genehmigt worden und noch am Weg zu dieser Position kam die Erlaubnis, in den Hafen von Valletta einzufahren.

Wie ging es dort dann weiter?

Unser Arzt hat die Menschen in medizinischer Betreuung anderen Ärzten übergeben. Das ist ein Routineprozedere, das mehrere Stunden dauert. Dann kam die Polizei und hat gemeint, dass ich die Papier mitnehmen soll. Sie wollten mit mir sprechen. Das war faktisch eine Verhaftung. Sie haben mir den Pass abgenommen und gesagt, dass ich die Insel nicht verlassen darf. Ich kam aber nicht ins Gefängnis. Meinen Pass bekam ich erst über zwei Wochen wieder.

Hast du mit solchen Vorgängen gerechnet, als du mit der Mission begonnen hast?

Nein, aber es war uns klar, dass es nicht einfach werden würde. Wir waren das einzige Schiff, das nach Ramadan in diesem Teil des Mittelmeeres unterwegs war. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das eine Zeit ist, in der unglaubliche viele Menschen versuchen nach Europa zu kommen. Deswegen wollten wir unbedingt fahren. Aber weder das rechtliche Nachspiel noch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit haben wir nicht geahnt.

Wie geht es weiter, wenn das Urteil gesprochen ist?

Die Urteilsverkündigung wird sicher nicht das Ende meines Engagements in der Seenotrettung sein. Es gibt ja in diesem Jahr schon wieder Hunderte Tote, das können wir nicht hinnehmen. Solange es dieses Elend gibt, werde ich weitermachen.

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