Vier Dinge, die man über die Verteilung des Reichtums in Europa wissen sollte

Die Europäische Zentralbank hat neue Daten zu Vermögen, Einkommen und Ausgaben der privaten Haushalte im Euroraum präsentiert. Der Ökonom Martin Schürz hat sich für uns durch die Zahlen gearbeitet. Lest hier, was er herausgefunden hat.

Die Daten zeigen zunächst, dass es eine enorme Ungleichheit in der Vermögensverteilung gibt. Die reichsten 5 Prozent der Haushalte im Euroraum haben einen Anteil am gesamten Vermögen von rund 38 Prozent. Dieser Anteil ist während der Finanzkrise zwischen 2010 und 2014 gestiegen. In Österreich ist diese Verteilung sogar noch ungleicher: Hier besitzen die Top-5 Prozent sogar 43 Prozent des Gesamtvermögens.

10 Prozent der Haushalte im Euroraum haben weniger als 1.000 Euro an Vermögen. Bei zwei Haushaltsmitgliedern im Haushalt sind dies Rücklagen von 500 Euro pro Person. Zugleich verfügen die oberen 10 Prozent der Haushalte über ein Vermögen von mehr als 500.000 Euro. 5 Prozent im Euroraum haben sogar mehr als rund 740.000 Euro.

Solche Daten sind wichtig, um Reichtum und damit auch Macht in unseren Gesellschaften zum Thema machen zu können. Hier sind vier Aspekte, die wir aus den EZB-Daten ablesen können und über die wir dringend reden sollten

1. Die Sorge um die „Kleinen“ ist meist Ideologie.

Als reich sieht sich selbst ohnehin fast niemand. Die Kleinmacherei Vermögender in Medien und Politik erfüllt eine Funktion. Das kleine Familienunternehmen, der Kleinaktionär, der Kleinanleger wetteifern um die vorderen Plätze in einem steuer-feindlichen Opferwettstreit. Als Bild dient auch gerne der fleißige Hausbauer, weil er Sekundärtugenden verkörpert wie Sparsamkeit, Fleiß und Sesshaftigkeit.

Doch wirklich „klein“ sind diese Menschen alle nicht, wenn man ihre Ressourcen mit denen armer Menschen in der Gesellschaft vergleicht. Wer kleine Leute fälschlich in der Vermögensmitte sucht, relativiert die soziale Ungleichheit. Der Kleinanleger ist eine Schimäre. Nur 5 Prozent der Haushalte im Euroraum halten Anleihen, weniger als 9 Prozent besitzen Aktien. Es es sind gerade die vermögenderen Haushalte, die solche Papiere haben. Wer vorgibt, Kleinanleger Innen zu retten, rettet in Wirklichkeit Vermögende.

Grundregel Nummer Eins ist daher, nicht nur auf Vermögenspositionen, wie Häuser oder Aktien, zu schauen, sondern zu beachten, ob die Menschen solche Dinge überhaupt haben. Nicht mutmaßen, ob ein „300.000 Euro-Haus“ viel oder wenig ist, sondern zuerst untersuchen, wie viele HauseigentümerInnen und AktionärInnen es überhaupt gibt. Auch unter YachtbesitzerInnen gibt es eine ungleiche Verteilung von kleineren und größeren Booten, und doch muss sich niemand um das untere Fünftel Sorgen machen.

2. Die Kluft zwischen Arm und Reich bleibt riesig.

Die Vermögensungleichheit im Euroraum ist zwar auch von 2010 auf 2014 gestiegen, statistisch signifikant ist der Anstieg jedoch nicht. Doch das sind keine guten Nachrichten. Viel wichtiger als kurzfristige Veränderungen der Vermögenskonzentration im Verlauf von ein paar Jahren ist der anhaltend tiefe Graben zwischen Arm und Reich. Diese Kluft war schon vor einigen Jahren enorm und sie bleibt riesig.

Die wirklich Reichen werden in den EZB-Daten leider nicht gut erfasst, da es sich um eine freiwillige Umfrage handelt, welche die Superreichen nicht gut erreicht. Was wir uns mit diesen Daten aber ansehen können, ist die Spanne zwischen dem 90. Perzentil (10 Prozent haben mehr an Vermögen) und dem 10. Perzentil (10 Prozent haben weniger an Vermögen) der Vermögensverteilung. Daran können wir den Graben zwischen Oben und Unten ablesen und erkennen: Ein Haushalt, der an der oberen Grenze angesiedelt ist verfügt im Euroraum über rund das 500-Fache an Nettovermögen jenes Haushalts an der unteren Grenze.

3. Die Ungleichheit betrifft ganz Europa.

Wer bekommt die größten Stücke vom Kuchen und wer muss sich mit Krümeln begnügen? Wir sollten so auf die Vermögensverteilung schauen, dass wir den Bezug auf das Ganze und damit auf die Gesellschaft nicht verlieren. Vermögen im Euroraum ist sehr ungleich verteilt, viel ungleicher als Einkommen. Wenige Haushalte haben den Löwenanteil. Dies gilt für alle Länder des Euroraums. Vermögenskonzentration findet sich in Zypern und in Deutschland, aber auch in Spanien und in Litauen.

Das vermögensärmste Fünftel im Euroraum hat einen Anteil von 0,3 Prozent am gesamten Bruttovermögen und das zweitärmste Fünftel hat mit einem Anteil von 3,1 Prozent auch nicht bedeutend mehr. In allen Ländern des Euroraums dominiert eine reiche Minderheit. In jedem Land im Euroraum haben die Reichsten 10 Prozent mehr als ein Drittel des gesamten Kuchens.

4. Die Vermögensungleichheit ist ein gesellschaftliches Problem.

Vermögen erfüllt unterschiedliche Funktionen für Arm und für Reich: für viele Menschen ist es eine Ressource, um Probleme (Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Reparaturen) zu bewältigen. Für eine reiche Minderheit ist es aber ein Instrument, um ihre Interessen in der Gesellschaft durchzusetzen. Für die Einen geht es um Gefahrenabwehr, für die Anderen um Machtausübung. Vermögenskonzentration zerstört die Demokratie.

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