Als Bundeskanzler Sebastian Kurz im deutschen Fernsehinterview meinte, „Hetze gegen Reiche“ sei genauso schlimm wie Rassismus (und deshalb sei die Koalition mit der rechtsextremen FPÖ eh okay – nein, wir haben die Logik dahinter auch nicht ganz verstanden), hatte eine Twitter-Userin eine Idee:
https://twitter.com/vnyshkr/status/954371542569357312
Es war nicht peinlich, es hat hingehaut. Und dazu geführt, dass Menschen in tausenden Tweets und Facebook-Postings ihre Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus in die Öffentlichkeit tragen.
Die Geschichten, die unter dem Hashtag #reichenhetze zu lesen sind, machen traurig und wütend. Viele, die selbst nicht von Rassismus betroffen sind, können kaum glauben, wie weit verbreitet alltägliche Diskriminierungen, Verletzungen und Kränkungen sind. Alle anderen wissen es sehr gut, weil sie es ein Leben lang am eigenen Körper erleben. Viele Postings und Tweets beginnen mit „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, oder enden mit „Ich könnte den ganzen Tag so weitermachen“.
Aber die Geschichten, die unter #Reichenhetze erzählt werden, sind nicht nur traurig und verstörend. Sie sind für jene, die Rassismus nicht am eigenen Leib verspüren, eine Gelegenheit zu lernen. Dafür müssen sie aber auch hinhören, wenn diejenigen sprechen, die sich auskennen.
1. Rassismus heißt, dass Menschen fremd gemacht werden
Rassismus diskriminiert nicht einfach „Fremde“. Sondern er bestimmt, wer oder was als fremd in einer Gesellschaft gilt. Eine weiße Person aus Frankreich oder Schweden kann von Rassismus in Österreich recht unbehelligt bleiben. Ein Mensch, der hier geboren und aufgewachsen ist, bekommt dagegen die volle Ladung Rassismus ab, wenn er die „falsche“ Haut- oder Haarfarbe hat, den „falschen“ Akzent spricht oder der „falschen“ Religion angehört.
Meine Eltern hatten jahrelang ein Wirtshaus (das Salz&Pfeffer). Wolfi, ein Stammgast, meinte mal zu mir: „Du wirst hier immer Ausländer bleiben, egal wie gut dein Deutsch ist. Das weißt du eh, oder?“ Damals war ich circa zehn, hab deswegen geweint. #reichenhetze
— Alexandra Stanić (@AlexSta_) January 19, 2018
https://twitter.com/InsightOnEnergy/status/954644600542711808
Wenn du Bezirksrätin wirst und du zu hören bekommst:“jetzt nimmt die SPÖ schon Asylanten auf. So weit ist es gekommen…“ #reichenhetze
— Mireille Ngosso (@missngosso) January 21, 2018
https://twitter.com/nukingnona/status/954472822302232576
2. Das Fremd-machen passiert auch, wenn es nicht böse gemeint ist
Die Botschaft des Rassismus ist: Du gehörst hier nicht her, du gehörst nicht zu uns. Sie wird auch in Fragen oder Kommentaren transportiert, die für jene, die davon nicht betroffen sind, harmlos erscheinen mögen. Sie kann sich in einem Lob verstecken („Du kannst aber gut Deutsch!“), in einer „unschuldigen“ Frage („Wo kommst du eigentlich her?“) oder in einem vermeintlichen Witz. Doch die Botschaft bleibt – rassistisch.
https://twitter.com/Pfirsichbluete9/status/954812194553769985
https://twitter.com/blauerelefant/status/954622085413920768
https://twitter.com/s_velebit/status/954850951248187399
https://twitter.com/irina_durovic/status/954653093953761281
https://twitter.com/Kathi33323292/status/955516306853425155
3. Rassismus bedeutet, dass du aussortiert wirst…
Rassismus bleibt nicht beim Fremdmachen stehen. Sondern er führt dazu, dass den Einen bestimmte Orte verschlossen bleiben, die den Anderen ganz selbstverständlich offen stehen. Klassisches Beispiel: Lokale, Discos und Clubs.
Wenn alle in ein Lokal reinkommen nur du nicht…. #reichenhetze
— Mireille Ngosso (@missngosso) January 21, 2018
Irgendwann ist es nicht lustig von Türstehern wie ein Stück Dreck aussortiert und von anderen Discobesuchern ausgelacht zu werden.#reichenhetze
— dasMigrant (@dasMigrant) January 20, 2018
https://twitter.com/blauerelefant/status/954619694140547072
4. …und weniger Chancen im Bildungssystem hast.
Im österreichischen Bildungssystem entscheidet die Frage, in welche Schule du im Alter von zehn Jahren kommst, über deine Chancen im Berufsleben. Rassismus bedeutet auch, dass fremd gemachten Kindern weniger zugetraut wird, sie weniger gefördert oder gleich in eine Sonderschule gesteckt werden.
Im Gymnasium sind bis zur vierten Klasse quasi alle Kinder mit dem “falschen“ Migrationshintergrund – i.e. nicht Schweden/Schweiz – auf wundersame Weise verschwunden. Unterdurchschnittliche rich kids wurden indes gefördert bis dort hinaus. Es ging um den “Ruf“😡#reichenhetze
— Sara Hassan (@sarahas_san) January 20, 2018
Die Professorin, die bei der Vorstellung im Gymnasium trotz 1er-Zeugnis zu meinem Vater sagte: „Sie schafft es hier nicht, wenn sie Deutsch nicht als Muttersprache hat.“ #reichenhetze
— Jelena Gučanin (@jelenagucanin) January 20, 2018
#reichenhetze In der vierten Klasse hat mir meine Klassenlehrerin eine Empfehlung für die Hauptschule ausgestellt. Ich war Klassenbester mit sieben Einsen und einer Zwei in Kunst. Begründung: Wieso soll er einem deutschen Kind einen Platz auf dem Gymnasium wegnehmen?!
— SiⓂ️ack 💨🔥 (@simack___) January 20, 2018
Als ich eingeschult wurde (Deutsch eher schlecht), sagte Direktor in Nebensatz, dass Sonderschule Option wäre. Wären meine Eltern nicht ausgerastet, es hätte (wie bei vielen anderen) passieren können. Kaum vorstellbar, wie sehr das mein Leben gefickt hätte. #reichenhetze
— žarko (@zarkojank) January 20, 2018
Die schwarz-blaue Regierung plant übrigens, die Trennung durch die Einführung von eigenen “Deutschklassen” noch zu verschärfen.
5. Rassismus schafft eine Kultur des Verdachts…
meine eltern leben seit ü20 j in ö u manchmal beim billa gibts hobbypolizisten die ganz genau schauen ob sie was ~einstecken~ #reichenhetze
— prof. salon sarer (@ajkozissou) January 19, 2018
https://twitter.com/quauhtemoc/status/954461874506096640
1 mal sind buntstifte von 1 klassenkollegin verschwunden meine eltern mussten in schule kommen weil es war fix das jugokind #reichenhetze
— prof. salon sarer (@ajkozissou) January 19, 2018
6. …und einen Zwang zur Rechtfertigung
https://twitter.com/duduhier/status/954770092570619906
Bei jedem Anschlag in Europa: „und, was sagst jetzt du zu deinen Leuten?“ #reichenhetze
— So Matsch (@somatschmore) January 20, 2018
7. Rassismus bedeutet Gewalt und Erniedrigung im Alltag
Wer es nicht selbst erlebt, versteht das Ausmaß des Rassismus nicht. Viele Berichte erzählen von Gewalterfahrungen, die nur jene kennen, die fremd gemacht werden.
https://twitter.com/duduhier/status/955395590585798656
Musliminnen berichten davon, dass sie sich Strategien zurechtlegen müssen, um der Gewalt zu entkommen.
#reichenhetze
wenn schwangere Schwestern ihr Kopftuch ablegen, aus Angst um die körperliche Unversehrtheit in der Öffentlichkeit— Naomi Afia (@afia_hajar) January 21, 2018
ÖsterreicherInnen berichten, dass sie auf der Straße angespuckt, beschimpft und beflegelt werden.
Demente, bettlägrige Dame auf meiner Bettenstation im Spital, als der aus Sri Lanka stammende Diplomkrankenpfleger zu ihr kommt, um sie zu waschen: "Geh was arbeiten, du Asylant!" #reichenhetze
— Wolfgang Hagen 💉🚴🏻♂️🇪🇺 (@docjosiahboone) January 19, 2018
meine (afroamerikanische) frau wurde heute am helllichten tag in #wien von einem #rassisten arschloch auf der straße angespuckt – aber das ist ja nichts gegen diese #reichenhetze!
— trishes jackson (@nuTrishes) January 19, 2018
https://twitter.com/gabido68/status/954823659708932096
Vor ca 3 jahren beim KIK an der Kassa. Längere Schlange , ältere Türkisch Frau findet ihr Portmonee nicht. 2 Frauen in der Schlange sind genervt weil sie warten müssen , fingen an zu schimpfen " scheiß Ausländer " "Unterm Hitler hätte es sowas nicht gegeben. #reichenhetze 1/2
— 🇺🇦 auto nom (@5a551_aut0n0m) January 20, 2018
8. Im Rassismus ist die Vernichtung angelegt. Es geht um Leben und Tod.
Der deutsche Rassismusforscher Wulf D. Hund hat einmal geschrieben, dass der Rassismus „unterschiedliche Grade des Menschseins“ behauptet. Die #Reichenhetze-Berichte bestätigen ihn. Immer wieder tauchen Erzählungen auf, in denen klar wird: Es geht um nicht weniger als den Wert des Lebens. Wenn bestimmte Leben weniger wert sind, kann der Tod der Minderwertigen in Kauf genommen werden – oder gleich ersehnt.
https://twitter.com/damon_taleghani/status/954822565733830657
Ich mit Fan-der-bellen Button in der ubahn. Mann ggü. von mir: „wir haben euch einmal in die gaskammer gebracht, wir schaffens ein zweites Mal“ #reichenhetze
— So Matsch (@somatschmore) January 20, 2018
Als ich Zivi bei der Rettung gemacht habe, ist mein Fahrer immer absichtlich langsamer gefahren, wenn ein "ausländischer" Name am Display angezeigt wurde, "weil die Milosevics eh alle nur schauspielern."#reichenhetze
— Wurzelmann (@Wurzelmann) January 20, 2018
Im Rettungsdienst in einem kleinen Kaff ist der Kollege bei zwei Frauen vorbeigefahren, die Kopftuch trugen und sagte „ma wenn mir jetz das Lenkradl ausrutscht wärs a ned schad hahaha“ #reichenhetze
— Dropkickingdave (@dropkickingdave) January 20, 2018
9. Rassismus will stumm und unsichtbar machen
Wer nicht dazugehört, soll auch nicht wahrgenommen werden. Auch wenn fremd gemachte Sprachen nicht direkt verboten werden, ist der Effekt der alltäglichen Erniedrigungen, dass ihre SprecherInnen zumindest in der Öffentlichkeit verstummen.
Wurde von meiner Baka (Oma) von der VS abgeholt. Andere Kinder bekamen mit, dass sie Jugo m mir sprach & haben sich daraufhin lautstark über uns lustig gemacht. In unserer Anwesenheit. Grund warum ich die nächsten Jahre nicht mehr öffentlich Jugo gesprochen hab. #reichenhetze
— Mara Hohla (@stadtmaerchen) January 20, 2018
https://twitter.com/RafkoGstanzl/status/955536973632024579
Die vielen neg. Kommentare und Diffamierungen unter #reichenhetze -Berichten zeigen worum es bei Rassismus geht: Nämlich um die Erlangung/Manifestation von Diskurshoheit und die Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen. Das Subjekt muss Subjekt bleiben – am besten es schweigt.
— Rami Ali (@DerRami_) January 22, 2018
Schon alleine deshalb sind die #Reichenhetze-Berichte so wichtig. Weil sich Fremdgemachte das Wort nehmen und die „Diskurshoheit“ beanspruchen.
10. Wir können etwas gegen Rassismus tun
Die Lawine an rassistischen Grausamkeiten, die hier ans Online-Licht kommen, macht nicht sonderlich zuversichtlich. Doch scheinen darin auch Möglichkeiten auf, wie es anders gehen kann.
Die wichtigste Botschaft der #Reichenhetze an alle, die nicht selbst von Rassismus betroffen sind, lautet: Hinsetzen und zuhören! Wenn du den Impuls verspürst, zu sagen: Ist doch alles gar nicht so schlimm, dann lies dir die Berichte nochmal in Ruhe durch und versuche, dich in die geschilderten Situationen hineinzuversetzen.
Wie man es nicht macht, zeigt Heimo Lepuschitz, ehemaliger Sprecher des BZÖ und Twitter-Alphamännchen:
https://twitter.com/mathiasertl/status/954754836125413378
Was man tun kann, ist: Von Rassismus betroffene FreundInnen und KollegInnen ermutigen und unterstützen. Zuhören und lernen, was Rassismus in unserer Gesellschaft anrichtet. Widersprechen, wenn jemand von uns fremd gemacht wird. Einschreiten und Zivilcourage zeigen, wenn jemand rassistisch angemacht wird.
https://twitter.com/duduhier/status/954825035465805824
Wenn ihr rassistische Übergriffe beobachtet, wendet euch an Dokumentationsstellen wie Zara, die Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen oder die Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus.
Und im Alltag hilft es manchmal schon, wenn man einfach kein Arschloch ist und freundlich bleibt.
#reichenhetze Ich arbeite bei einem Arzt am Empfang. Ich merke ganz oft, wie Menschen mit Migrationshintergrund total überrascht sind, weil sie schlicht und einfach freundlich behandelt werden.
— Verena (@Verena6869) January 20, 2018
https://twitter.com/sagittanox/status/954811670597177345