Rassismus: eine Gefahr für „uns“ und „die Anderen“

Rassismus befindet sich in stetigem Wandel und passt sich an aktuelle Gegebenheiten an. Was sich jedoch nie ändert, ist, dass Rassismus als System ungerechtfertigter Benachteiligung einer Gesellschaft schadet. So wird bestimmten Menschen über physische Übergriffe und verbale Beleidigungen die Möglichkeit genommen, sich in Österreich zugehörig zu fühlen. Anlässlich des Erscheinens des ZARA Rassismus Report 2015 stellt sich Lilian Levai die Frage, ob die Welt wirklich eine Leistungsgesellschaft ist und jede*r alles erreichen kann, wenn er*sie sich nur anstrengt.

Rassismus benachteiligt bestimmte Menschengruppen aufgrund von unveränderbaren Merkmalen bzw. Zuschreibungen und ist damit eine massive Bedrohung für die Gesellschaft. In ihrem Bericht aus 2015 rügt die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) Österreich dafür, dass die Abneigung Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber gestiegen sei und rassistisches bzw. neonationalistisches Gedankengut selbst von politischen Parteien und Organisationen verbreitet werde. Darüber hinaus wird kritisiert, dass verschiedene Medien – sowohl online als auch offline – rassistische und damit herabwürdigende Inhalte einer breiten Masse zugänglich machen.

Insbesondere die Verbreitung negativer und hassbesetzter Bilder über das Internet bzw. sonstige Medien birgt große Gefahr. Unser Gehirn kreiert Vorurteile anhand von Eindrücken, die ihm zur Verfügung gestellt werden. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, wie oft und intensiv wir mit gewissen Ereignissen konfrontiert werden. Wird also im Zuge der Berichterstattung über furchteinflößende Ereignisse wie Anschläge und Vergewaltigungen immer wieder das „Fremdsein“ des Täters bzw. der Täterin hervorgehoben, so wird diese Verknüpfung abgespeichert und in ähnlichen Situationen aktiviert. Das führt schließlich dazu, dass wir gewisse Bilder verinnerlichen und unsere Wahrnehmung dadurch stark beeinflusst und gefärbt wird.

Feindbild Flüchtlinge

Genau dieses Phänomen tritt seit mittlerweile mehr als einem Jahr verstärkt im Zusammenhang mit Flüchtlingen auf. Die anfängliche mediale Aufmerksamkeit richtete sich auf die Gründe, warum Menschen flüchten, und auf die prekären Bedingungen in den Erstaufnahmezentren. Die steigende Zahl an ankommenden Geflüchteten löste aber sehr schnell infrastrukturelle und wirtschaftliche Bedenken aus. Insbesondere die Anschläge in Paris Ende 2015 prägten das Bild von Flüchtlingen als Terrorist*innen. Dadurch wurden Angst und Misstrauen in der Bevölkerung geschürt und die Debatte über „echte“ und „falsche“ Flüchtlinge (sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“) verschärft.

Flüchtlinge werden als „fremd“ wahrgenommen und als Bedrohung auf verschiedensten Ebenen empfunden. Einerseits geht es dabei um die Gefährdung „unserer“ materiellen Ressourcen. Ängste wie jene, dass „uns“ „die Ausländer“ die Arbeitsplätze wegnehmen und Asylwerbende „unser“ Steuergeld beanspruchen, schlagen in diese Kerbe. Andererseits werden „die Fremden“ als symbolische Bedrohung und als Angriff auf „unser Wertesystem“ empfunden. Dabei wird ein einheitliches österreichisches „Wir“ suggeriert, das in dieser Weise keineswegs besteht.

Die verschiedenen Gesichter des Rassismus

Rassismus zeigt sich auf unterschiedliche Art und Weise. Einen Einblick in die verschiedensten aktuellen Erscheinungsformen bietet der ZARA Rassismus Report 2015. Am meisten Bewusstsein herrscht für Übergriffe, die mit körperlicher Gewalt einhergehen. In Niederösterreich kam es beispielsweise im vergangenen Jahr zu einem derartigen Vorfall: Vier junge Männer schossen mit einer Softgun auf eine Gruppe von Asylwerber*innen und verletzten einige davon. Als Grund für diesen Übergriff gaben die Männer an, eine Abneigung gegen Asylwerber*innen zu haben und mit der Flüchtlingspolitik unzufrieden zu sein.

Im Internet werden abscheuliche rassistische Kommentare gepostet und mit rasanter Geschwindigkeit verbreitet. In diesen Postings werden Menschen massiv beleidigt, die als „fremd“ wahrgenommen werden, und teilweise wird sogar physische Gewalt angedroht. Beispielsweise schrieb ein User auf der Facebook-Seite der FPÖ Heidenreichstein zu einem Beitrag, in dem behauptet wurde, dass „Putzen für Asylwerber unzumutbar wäre“ folgendes: „Dann zündet den Dreck und das Gesindel an! Damit ist Ruhe und Ordnung, entsorgt ist auch gleich wenn man viel Buchenholz dazu gibt.“ Derartige verbale Übergriffe tragen wesentlich dazu bei, dass ein negatives und hasserfülltes Klima gegenüber Menschen (vermeintlich) nicht-österreichischer Herkunft entsteht.

Das bewusste Verbreiten von Falschinformationen über die sozialen Medien spielt eine tragende Rolle beim Schüren von Angst vor geflüchteten Menschen. Einerseits verbreiteten politische Akteur*innen – vor allem vonseiten der FPÖ – Falschmeldungen im Zusammenhang mit unterstelltem „Asylmissbrauch“ und angeblichen kriminellen Handlungen von bzw. Geldleistungen an Flüchtlinge. Andererseits fluteten auch Privatpersonen das Internet mit erfundenen negativen Vorfällen mit Flüchtlingen.

So empörte sich etwa eine Frau auf Facebook darüber, dass angeblich ein junger Österreicher mit Herzfehler in einem oberösterreichischen Krankenhaus nicht behandelt worden wäre. Sie behauptete, dass das daran gelegen hätte, dass es „auf dem langen Gang der Station nur so von Asylanten jeglicher Hautfarben gewimmelt“ habe. Noch bevor sowohl das Spital als auch der junge Mann selbst klarstellen konnten, dass diese Geschichte in keiner Weise der Wahrheit entsprach, war der Beitrag schon 5000 Mal geteilt worden. Genau darin liegt auch die Gefahr derartiger Falschmeldungen: Die Richtigstellungen erhalten nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit, wie die zuvor verbreiteten hasserfüllten Fehlinformationen.

Sehr häufig kommt es auch zu rassistischen Übergriffen, die von der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen werden. So zog etwa ein Mann, der selbst in Wien geboren wurde, seine Eltern aber in der Türkei, mit seiner Familie in eine Eigentumswohnung. Seit dem Einzug werden sie von einem Nachbarn immer wieder belästigt, bedroht und unter anderem mit Worten wie diesen beleidigt: „Ihr Tschuschn, schleicht’s euch, ich will euch nicht hören!“ Abgesehen davon, dass derartige Aussagen verletzend sind, verursachen sie gleichzeitig eine starke Verunsicherung und machen es Menschen schwierig, sich willkommen und zugehörig zu fühlen.

Wem nutzt Rassismus: Mythos Leistungsgesellschaft

Insbesondere wenn man derartige Beispiele vor Augen geführt bekommt, ist es nicht schwer, zu erkennen, dass Rassismus ein System von ungerechtfertigter Benachteiligung ist. Was aber oft und gerne übersehen wird, ist, dass diese Benachteiligungen bedingen, dass es auch Bevorzugungen geben muss. Gehört man der Mehrheitsgesellschaft und somit der Norm an, werden einem Vorteile zuteil, die man genauso wenig verdient hat, wie andere gewisse Nachteile. Das zuzugeben, ist unangenehm. Der Unterschied ist ein wesentlicher: Nachteile möchte man loswerden, während man Privilegien gerne behalten will und sogar bereit ist, diese zu verteidigen. Nicht über die Vorteile der Mehrheitsgesellschaft zu sprechen, ist also eine Art Schutzmechanismus, um die eigene mächtige Position nicht zu gefährden. Peggy McIntosh, eine amerikanische Feministin und Anti-Rassismus-Aktivistin, spricht im Zusammenhang mit diesen Privilegien der weißen Mehrheitsgesellschaft von einem unsichtbaren Rucksack voll mit unterstützenden Werkzeugen, den man stets dabei hat.

Wir sind gewohnt, Rassismus als einzelne gemeine Handlungen zu sehen. Womit wir uns viel seltener befassen, ist, dass Rassismus untrennbar mit einer ungleichen Verteilung von Macht verknüpft ist. Rassismus bedeutet also auch, dass es ein unsichtbares System gibt, in dem eine Gruppe von Menschen von Geburt an als dominant und mächtig angesehen wird. Wenn man sich das eingesteht, muss man den Mythos einer Leistungsgesellschaft, in der jede*r bekommt, was er*sie verdient, aufgeben. Das bedeutet, das Leben ist nicht nur das, was man daraus macht. Viele Türen öffnen oder verschließen sich für bestimmte Menschen, ohne dass sie das beeinflussen könnten.

Rassismus geht ganz klar uns alle an, und nur wenn möglichst viele zusammenarbeiten und -wirken, können wir gegen dieses System von ungerechtfertigter Bevorzugung und Benachteiligung ankämpfen!

Lilian Levai arbeitet für den Verein ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) in der Beratungsstelle für Menschen, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind. Außerdem hält sie Workshops in den Bereichen Zivilcourage, Sensibilisierung gegen Rassismus und Antidiskriminierungsrecht.

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