Pfadfinderinnen of Color auf dem Weg zur kollektiven Selbstermächtigung

In Oakland, Kalifornien, stärkt die Pfadfinderinnenbewegung Radical Monarchs“ (radikale Herrscherinnen) Identitäten und Gemeinden von Mädchen of Color. Am Grazer Crossroads-Festival gibt der Dokumentarfilm „We are the Radical Monarchs“ Einblicke in die Bewegung.

Im Jahr 2014 gründen Anayvette Martinez und Marilyn Hollinquest, zwei queere Frauen of Color (eine Selbstbezeichnung von Frauen mit Rassismuserfahrungen) die Radical Monarchs. Die Bewegung richtet sich an acht- bis dreizehnjährige Mädchen of Color und soll eine Alternative zur klassischen Pfadfinder*innenbewegung sein. Ziel der Radical Monarchs ist, sich gemeinsam für soziale Gerechtigkeit einzusetzen, Selbstermächtigung zu stärken und Communities of Color zu unterstützen. Im Dokumentarfilm „We are the radical monarchs“ (2019) begleiten Regisseurin Linda Goldstein und ihr Team die Mädchen in Oakland bei ihren Aktivitäten.

Ein Raum für Erfahrungsaustausch

Für Gründungsmitglied Anayvette Martinez waren die Erfahrungen ihrer eigenen Tochter ausschlaggebend, um eine Veränderung anstoßen zu wollen. Als diese einer Pfadfinder*innengruppe beitreten möchte, beobachtet Anayvette, wie ihre Tochter zunächst alleine anfängt, kritisch über ihre Identität und ihre Werte nachzudenken. Anayvette sieht, dass es eine Gruppe für junge Mädchen of Color braucht, um sich über Erfahrungen in einer von Ungerechtigkeit geprägten Welt auszutauschen und Schwesternschaft zu fördern. Gemeinsam mit einer Freundin, Marilyn Hollinquest, ruft sie 2014 die Radical Monarchs ins Leben. Marilyn, die in einer sehr konservativen und patriarchal (d.h. durch traditionelle Sichtweisen und männliche Vorherrschaft) geprägten Familie aufgewachsen ist, hätte sich eine solche Gruppe als junges Mädchen of Color gewünscht. Sie zögert deshalb nicht lange, sich an der Gründung zu beteiligen.

Von Betroffenheit zu Selbstermächtigung

Den Radical Monarchs geht es jedoch nicht nur um Identität, Selbstfürsorge oder individuelles Empowerment – die Mädchen greifen die Ungerechtigkeiten auf, mit denen ihre eigenen Communities im Alltag konfrontiert sind. Dazu gehören leistbares Wohnen, Angst vor Abschiebung und Polizeibrutalität. Im Dokumentationsfilm begleiten Linda Goldstein und ihr Team die Monarchs bei Treffen mit Gesetzgeber*innen. Dort konfrontieren die Monarchs jene mit den Bedürfnissen der Communities of Color. Mit ungebrochener Verbindung zur Gemeinschaft wollen sie den Mädchen eine andere Form von Führungsstil vermitteln. Dieser soll nicht nur Einzelnen den Aufstieg ermöglichen, sondern radikale und damit gesamtgesellschaftliche Veränderungen vorantreiben.

Ausflüge und Workshops mit nachhaltiger Wirkung

Die Mädchen absolvieren Einheiten, in denen sie sich mit unterschiedlichen Formen sozialer Ungerechtigkeit auseinandersetzen. Dies erfolgt durch Ausflüge oder Workshops. Die Themen reichen von LGBTIQA* über Black Lives Matter bis hin zu Umweltschutz und Gerechtigkeit für Menschen mit Behinderungen. Für die Auseinandersetzung mit den Themen erhalten die Mädchen jeweils ein Abzeichen. 

Dass die Bewegung eine nachhaltige Wirkung hat, beschreiben die Radical Monarchs DeYani Dillard and Neveah Kelly. Für DeYani ist es auch außerhalb der Monarchs zur Selbstverständlichkeit geworden, sich zu engagieren. Sie nutzt die Plattform, die sich durch die Monarchs ergibt und hilft anderen dabei, ihre Stimmen zu erheben. Neveah hebt den langfristigen Zusammenhalt hervor, den die Bewegung erschafft. Sie erläutert, dass die daraus entstehende kollektive Kraft auch dazu beitragen kann, im Kampf für Veränderung nicht auszubrennen. Zudem können sie in herausfordernden Zeiten, wie zum Beispiel der Trump-Präsidentschaft, auf die Ressourcen der Bewegung zurückgreifen.

„Unsere Generation ist mutiger und kriegt mit, was in der Welt passiert.“ 

DeYani, Radical Monarch

Sie betont, dass es keinen Grund gibt, junge Menschen im Kampf um Gerechtigkeit auszuschließen. Denn sie sind von Geburt an von diskriminierenden gesellschaftlichen Verhältnissen betroffen. 

Dokumentationsregie als (Ver-)Lernprozess

Für Regisseurin Linda Goldstein stellte sich anfangs die Frage, wie sie ihre Privilegien als weiße Frau nutzen kann, um die Arbeit von Frauen und Mädchen of Color sichtbar zu machen, ohne dabei für sie zu sprechen. Im Filmmakers Q&A beschreibt sie das Filmen der Dokumentation als intensiven Prozess, der zunächst davon gezeichnet war, Sichtweisen zu verlernen, um neue zulassen zu können. Eines ihrer Erkenntnisse ist, wie selbstverständlich es nach wie vor ist, von Frauen und Mädchen of Color zu erwarten, Nicht-Betroffene über ihre Probleme aufzuklären und unbezahlte Bildungsarbeit zu leisten. Es brauche auch hier mehr kritisches Hinterfragen der eigenen Perspektive und Verbündetenschaft.

Das Crossroads-Festival

Nach pandemiebedingter zweijähriger Pause findet das Crossroads – Festival für Dokumentarfilm und Diskurs heuer erneut in Graz statt. „We Are The Radical Monarchs“ wird unter dem Themenschwerpunkt Feminism is for Everybody (17.-19. Juni) gezeigt, der sich auf Dokumentarfilme zu unterschiedlichen feministischen Aktionsformen fokussiert. Außerdem gibt es die Themenschwerpunkte Climate Justice Now (9.-10.6), Harvesting Hope (10-12.6.), Earth Protectors (14.6.), Movements (16.6.), Solidarität statt Festung Europa/Black Lives Matter (20. Juni) und Animals<>Humans (21.6.).

Mit der Präsentation von Dokumentarfilmen, die im Rahmen des Crossroads zum Teil Österreich- oder Europapremiere feiern und dazugehörigen Diskussionen und Workshops möchte das Festival die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen der Gegenwart fördern. Das Sichtbarmachen von Menschen, Bewegungen und Initiativen, die sich für eine lebenswerte Zukunft für alle einsetzen, soll nicht nur Handlungsoptionen aufzeigen. Es soll Mut in herausfordernden Zeiten machen.

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