Rechtsextreme vor Gericht: Deshalb braucht es kritische Prozessbeobachtung

Gerichtssaal

Als die rechtsextreme „Europäische Aktion“ in Wien für Wiederbetätigung und Hochverrat angezeigt wird, hält sich das öffentliche Interesse in Grenzen. Für eine kritischere Auseinandersetzung ist die Prozessbeobachtung wichtig, schreiben Aktivist*innen von prozess.report.

Zwischen 2011 und 2016 rekrutiert ein Zusammenschluss aus Holocaustleugner*innen, Rechtsextremen und Neonazis Mitglieder aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Ihr Ziel: Ein gewaltsamer Systemumsturz und die Einführung einer neonazistischen Eidgenossenschaft – der „Europäischen Aktion“ (EA). Fünf Jahre später, im Februar 2021, werden vier Männer am Wiener Landesgericht dafür verurteilt. In Anbetracht der Schwere der Vorwürfe, Wiederbetätigung und Hochverrat, fallen die Strafen milde und das Interesse der Öffentlichkeit ernüchternd aus. Auch die Gefahr, die von der EA ausging, wird mit dem Urteil nicht völlig eingedämmt.

Prozessbeobachtung: Verstrickungen mit der extremen Rechten

Während der Einvernahmen der Angeklagten offenbarten sich ihre Verstrickungen in andere extrem rechte Kreise. So waren drei der acht Beschuldigten im Ermittlungsverfahren Mitglieder der rechtsextremen Burschenschaft Tafelrunde zu Wien. Peter K. organisierte ein Vernetzungstreffen der EA mit der paramilitärischen Ungarischen Nationalen Front (MNA), bei der er selbst Mitglied war und regelmäßig an paramilitärischen Übungen teilnahm. Peter H. wurde unter anderen vorgeworfen wurde, die EA mit Tipps zu ihren YouTube-Auftritten versorgt zu haben. Im Prozess wurde deutlich, dass der IT-Experte Teile der extrem rechten Szene bediente: Er hatte etwa Webseiten für Gerd Honsik, einen notorischen Holocaustleugner und Pierre Krebs, Vorsitzender des rechtsextremen Thule Seminars, erstellt und war bis Mitte März 2016 für das rechtsextreme Magazin info-direkt tätig. Peter H. wurde im EA-Strafverfahren freigesprochen.

Strafmilderung für „ordentlichen Lebenswandel“

Bei einem Strafrahmen von zehn bis zwanzig Jahren erhielt Peter K. die höchste Strafe der Angeklagten. Fünf Jahre Freiheitsstrafe, dazu vier zur Bewährung ausgesetzt. Um den Strafrahmen so eklatant zu unterschreiten, musste das Geschworenengericht die – im Übrigen selten angewandte – Strafbemessungsregel der außerordentlichen Strafmilderung bemühen. Dafür müssen die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe überwiegen sowie eine „günstige Täterprognose“ vorliegen. Der vorsitzende Richter führte im Gerichtsprozess aus, dass bei allen Verurteilten ein ordentlicher Lebenswandel und ihr „Wohlverhalten nach einer schon längeren Zeit zurückliegenden Tat“ (die Angeklagten hätten ihre Tätigkeiten für die EA 2016 beendet) für eine „günstige Täterprognose“ spreche. Ein ordentlicher Lebenswandel ist gesetzlich dadurch definiert, dass die Tat mit dem sonstigen Verhalten des Täters in einem auffallenden Widerspruch steht. Dass zumindest einer der Verurteilten erwiesenermaßen im Neonazi-Milieu verkehrte, scheint in die Beurteilung nicht eingeflossen zu sein.

Medien nur bei Eröffnungs- und Schlussvortrag

Ähnlich sah es in den Medienberichten aus. Anstatt die Gefahr, die von dem Netzwerk der EA ausging, tiefgründig zu analysieren, reproduzierten die Medien zumeist unkritisch die Narrative der Verteidiger und de-politisierten etwa die Angeklagten als Altherrenrunde, deren Rädelsführer bereits verstorben waren. Um die Vernetzungen in die Rechte zu analysieren, wäre es notwendig gewesen, den gesamten Prozess zu verfolgen und nicht nur den Eröffnung- und Schlussvorträgen der Verteidiger beizuwohnen.

Dass wir dennoch Kenntnis über diese Verstrickungen haben, ist der Prozessbeobachtung und der Antifa-Recherche zu verdanken. Prozess.report war das einzige Medium, dass den Prozess gänzlich verfolgte und wörtliche Protokolle über das im Gerichtssaal Gesagte verfasste. Ausgehend von den genannten Namen und Strukturen, bieten diese Protokolle die Grundlage für weitere Recherchen. Denn die Aufklärung rund um die EA und andere extrem rechte Gruppierungen ist mit der Verurteilung nicht abgeschlossen. Der Prozess hat viele Leerstellen hinterlassen: Erhielten Mitglieder der EA eine paramilitärische Ausbildung bei der Ungarischen Nationalen Front? Welche Aktivitäten hat die EA in Österreich tatsächlich gesetzt? Warum wurde nur bei fünf von neun Beschuldigten des Ermittlungsakts Anklage erhoben?

Rechtsextreme Gefahr unterschätzt

Die Gefahr, die von rechten Netzwerken ausgeht, wird in Österreich unterschätzt. Mit dem Akademikerball der FPÖ oder dem jährlichen Treffen Rechtsextremer in Bleiburg/Pliberk kann die extreme Rechte auf gut etablierte rechte bis rechtsextreme Strukturen zurückgreifen. Zugleich häufen sich rechtsextreme Verdachtsfälle in staatlichen Behörden, ebenso wie rassistische oder antisemitische Gewalttaten oder Waffenfunde. Nicht nur der EA-Prozess hat Leerstellen hinterlassen. Offen ist derzeit auch, warum der mutmaßliche deutsche Rechtsterrorist Franco Albrecht eine Wehrmachtspistole am Flughafen in Schwechat deponierte und welche Verbindungen er nach Österreich hatte. Auch mögliche Verbindungen zwischen der österreichischen Neonaziszene und dem NSU-Komplex wurden bis heute nicht aufgearbeitet.

Prozessbeobachtung und -recherche

Angeklagte und Verteidiger*innen sind nach der österreichischen Rechtslage nicht zur Wahrheit verpflichtet. Um ihren Pauschalisierungen und Vereinfachungen etwas entgegenzusetzen, ist eine tiefergehende Recherche unerlässlich. Für eine kritische Auseinandersetzung mit den Deutungsmustern der Ermittlungsbehörden und Gerichten braucht es die Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Ursprüngen und Auswirkungen solcher Taten. Nur durch das Zusammenspiel von unterschiedlichen, antifaschistischen Kräften kann es uns gelingen, für Aufklärung einzutreten und die Gefahr, die von der extremen Rechten ausgeht, publik zu machen.

Im Oktober erscheint die Broschüre „Die Europäische Aktion vor Gericht – Grenzen juristischer Aufklärung und die Notwendigkeit kritischer Prozessbeobachtung“ von prozess.report.

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