Die Polizei setzt in Wien seit letztem Jahr sogenannte Dialogteams bei Demonstrationen und anderen Großveranstaltungen ein. Malte Niederhuber ordnet diese Entwicklung in internationale Erfahrungen und Trends im Protest Policing ein. Dabei erscheinen repressives Vorgehen und Kommunikation als zwei Seiten derselben Medaille; der selektiven Kontrolle von Protest.
Fünfzehn Polizist*innen sind in Wien seit Mitte 2024 als Dialogteams bei Versammlungen und Fußballspielen unterwegs. Medienberichten zufolge ist eine österreichweite Einführung geplant. Wie in anderen europäischen Ländern, in denen es vergleichbare Einheiten gibt, melden sich die Polizist*innen freiwillig zu den Teams und werden speziell ausgebildet. Sie sollen bei Großveranstaltungen die Kommunikation zwischen Teilnehmer*innen und Polizei gewährleisten. Zudem stehe laut einem Polizeisprecher die Richtigstellung von Falschinformationen im Fokus der Beamt*innen in blauen Westen.
Dialogteams – internationale Trends im Umgang mit Protest
Eine Polizei, die auf Verständigung setzt, erscheint vor dem Hintergrund der Entwicklungen des Protest Policing zunächst aus der Rolle zu fallen. Denn Polizeiforscher*innen interpretieren die aktuellen Veränderungen der polizeilichen Kontrolle von Protest oft als Militarisierung oder auch „neuen Rigorismus“. Gerade bei Großprotesten versucht die Polizei immer wieder durch technisch aufgerüstete Gewaltandrohung Stärke zu demonstrieren. Auch in Österreich kann seit einiger Zeit eine robusteres Vorgehen gegen Proteste beobachtet werden. Die Ausweitung von Pfeffersprayeinsätzen wie etwa gegen Blockierer*innen bei der European Gas Conference 2024 und die Inszenierung der Räumung des Lobau Camps mit einem Großaufgebot sind Beispiele dafür. Zudem schaffte die Polizei quasi-militärische Fahrzeuge für die Cobra an und testet seit Kurzem Elektroschockwaffen im Streifendienst.
Die Dialogteams stehen diesen Trends aber nur scheinbar entgegen. Zunächst gibt es Verhandlungen mit Protestierenden seit Langem. Die Strategie des negotiated management löste ab den 1960er und 70er Jahren Strategien gewaltsamer Protestverhinderung als dominante Einsatztaktik ab. Dies galt aber nie für alle Proteste, sondern vor allem für solche die Repräsentant*innen auserwählten und zu Verhandlungen mit der Polizei bereit waren. Außerdem musste die Polizei die Verhandlungspartner*innen auch akzeptieren. Weil die Polizei mit unterschiedlichen Protestspektren anders umgeht, spricht man davon, dass der polizeiliche Umgang mit Protest selektiv ist. Selektiv entlang der Gefahrenzuschreibungen der Polizei.
Gelten Demonstrierende als ‚gefährlich‘, dann neigt die Polizei dazu, ihre Kräfte aufzustocken und auf vermeintliche Anzeichen für Gesetzesübertretungen besonders zu achten. Das kann in einer selbsterfüllenden Prophezeiung enden, bei der die Eskalationserwartungen (oft auf beiden Seiten) das tatsächliche Geschehen so sehr prägen, dass jede kleinste Handlung den Ausschlag für gewaltsame Gegenreaktionen geben kann. Anzumerken ist hier, dass die österreichische Polizei mit ihrem Kräfteaufgebot und Technik- bzw. Waffeneinsatz im internationalen Vergleich noch immer durchaus zurückhaltend ist.
Dialogteams im selektiven Protest Policing
Wie kommen die Dialogteams ins Spiel des selektiven Protest Policing? Laut Standard liegt ihr Einsatzfokus auf der „Deeskalation, Trennung von gewaltbereiten Störern und friedlichen Demonstranten sowie Verhinderung von Störaktionen“. Dialogteams erfüllen damit eine wichtige taktische Aufgabe. Denn aus Polizeisicht ist die Vermischung von vermeintlich ‚gewaltbereiten‘ und vermeintlich ‚friedlichen‘ Teilnehmer*innen von Versammlungen eine Gefahr. Sie bringt polizeiliche Deutungsmuster und Kategorisierungen durcheinander. Die Folge ist, dass die Polizei ihre ‚üblichen Verdächtigen‘ nicht mehr effektiv bestimmen kann.
Polizeiliche Interventionen wirken dann oft wahllos. Dies hat nicht selten einen zumindest vorübergehenden Legitimitätsverlust am Einsatzort und in den Medien zur Folge. Das ist nicht nur ein demokratiepolitisches Problem, sondern auch ein einsatztaktisches, befürchtet man doch stets eine Solidarisierung gegen die Polizei. Die taktische Aufgabe der Dialogteams ist es daher, die Abgrenzung der Protestteilnehmer*innen durch ständige taktische Kommunikation aufrechtzuerhalten. Sie agieren in diesem Sinne auch vorbeugend mit einem Blick auf Protest, der immer schon davon ausgeht, dass dieser ein Ordnungsproblem darstellt.
Um dem Legitimitätsverlust vorzubeugen, setzen Polizeien längst nicht nur auf die Beamt*innen vor Ort, sondern auf eigene Öffentlichkeitsarbeit und insbesondere Social-Media-Teams. Im Kontext des G20-Gipfels in Hamburg 2017, bei dem es zu schweren Auseinandersetzungen kam, gab es Kritik an diesem Vorgehen der Polizei. Die auf Deeskalation geschulten deutschen Kommunikationsbeamt*innen wurden fernab des Konfliktgeschehens eingesetzt. Die Social-Media-Teams nahmen im Diskurs um die Proteste eine so wichtige Position ein, dass sie die politische Debatte massiv beeinflussten. Kommunikative Maßnahmen schienen vor allem für die Legitimität der Polizei in der Bevölkerung sorgen zu sollen, anstatt die politische Meinungskundgabe der Bürger*innen zu ermöglichen.
Dialog mit den Herrschenden?
Wenngleich eine Polizei, die auf Kommunikation setzt, aus einer bürgerrechtlichen Perspektive gegenüber einer abgeschotteten und nur auf Gewalt setzenden Behörde ohne Zweifel zu präferieren ist, hat das Konzept der Dialogteams also seine Grenzen. Die Bezeichnung als Dialogbeamt*innen ist irreführend, wenn man darunter eine wechselseitige Verständigung gleichberechtigter Partner*innen mit offenem Ausgang versteht. Einerseits sind die Dialogteams wie beschrieben taktische Einsatzmittel. Sie arbeiten nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ daran, Proteste in ‚Gute‘ und ‚Böse‘ zu sortieren. Den jeweiligen Gruppen begegnen sie selektiv. Sie arbeiten insofern nie als unparteiische Unterhändler*innen in Eskalationssituationen, sondern tragen im Zweifelsfall sogar dazu bei, bestimmte Gruppen zu isolieren, die dann härter poliziert werden können. Andererseits findet dieser Dialog unter der impliziten, oft auch sehr expliziten Androhung von staatlichen Zwangsmaßnahmen statt. Oder anders gesagt: Am Ende setzt die Polizei ihren Willen durch – notfalls mit Gewalt. Der Ausgang des Dialogs ist also im Grunde vorgezeichnet.
Das Auftauchen der Dialogteams ist also keine Wende im staatlichen Umgang mit Protest – weder ein autoritärer Rückschritt, noch ein bürgerrechtlicher Quantensprung. Es handelt sich vielmehr um eine Feinjustierung der polizeilichen Kontrolltechniken. Gewalt und Kommunikation sind dabei keine separaten Bereiche, sondern ergänzen sich. Sie sichern ihr effektives Funktionieren wechselseitig ab. Dennoch ist bei aller Kritik darauf hinzuweisen, dass die Dialogteams zumindest ein Indikator dafür sind, dass Protestierende nicht ausschließlich als zu bekämpfende Gegner*innen angesehen werden. Die Dialogteams halten eine – wenngleich immer herrschaftsförmige und gewaltbasierte – Beziehung zwischen Polizei und Bevölkerung aufrecht, in der zumindest über die Art und Weise polizeilicher Kontrolle geredet wird. Das ist der kleine aber feine Unterschied zwischen Kickls Pferdestaffel und Karners Dialogteams.
Foto: © Ivan Radic auf Flickr (unter Creative Commons Lizenz: CC BY 2.0)