Sebastian Kurz’ Rücktrittsbegründung „Vaterschaft“ wirkt vor dem Hintergrund seiner Familienpolitik scheinheilig. Er zieht sich durch „politische Männlichkeit“ aus der Affäre, analysieren Birgit Sauer und Gundula Ludwig.
Sie haben es wieder getan, die rechtskonservativ-populistischen Jungmänner, die die Zerstörung der Demokratie zur Programmatik erhoben haben. Sie inszenieren ihre Männlichkeit und hoffen, mit diesem Schutzschild den Schleier über die Korruptionstatbestände legen zu können. Sebastian Kurz hat seine Jungmännlichkeit als politisches Kapital seiner Karriere medial gepflegt, immer wieder in die politische Auseinandersetzung eingebracht und nun auch als zentrale Erklärung für seinen Rücktritt inszeniert.
Politische Männlichkeit als Rechtfertigung
Die politischen Männlichkeiten der österreichischen Demokratie sind vielfältig und dann doch wieder eintönig ähnlich – eine Technokraten-Männlichkeit mit enormem Machtwillen und Hang zur Korruption. Anders als Weiblichkeit wirkt Männlichkeit weiterhin als Rechtfertigung in der Politik. Während die Rücktrittserklärung von Heinz-Christian Strache nach dem Ibiza-Video vor Macho-Männlichkeit strotzte und Alkohol und Testosteron als Erklärung für das Fehlverhalten herhalten mussten, wählte Sebastian Kurz‘ bei seiner Rücktritts-Pressekonferenz die Vaterschafts-Variante. Um Aufklärung und weitere öffentliche Skandale im Amt zu vermeiden, wird bei Kurz das Private plötzlich politisch und öffentlich. Wer will beim glücklichen Vater hinter die Fassade in die korrupten Abgründe blicken?
In den leuchtenden Augen des Jungvaters sollen schnell die Politiken seiner türkisen ÖVP vergessen gemacht werden, die zutiefst kinder- und sorgefeindlich ausgerichtet waren. Einen Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen hatte Kurz als Strategie seines Projekts „Ballhausplatz“ aktiv verhindert. Auch die Corona-Politiken unter seiner Kanzlerschaft machten unverhohlen deutlich, dass Kinderbetreuung und Sorgepolitiken im türkisen neuen Stil nicht als politikrelevant erachtet wurden. Und noch im Sommer 2021 zementierte Kurz mit seiner Aussage, dass er als Kanzler freilich keine Zeit für Väterkarenz habe, ein maskulinistisches Politikverständnis, das Sorgen und Politik als Gegensätze konstruierte. Für all jene Menschen (vor allem Alleinerziehende), die Beruf und Kinderbetreuung vereinbaren (müssen), konnte das bloß zynisch klingen.
Idyll des engagierten Familienvaters
Klar, kein Mensch glaubt Kurz, dass er nun das Baby wickelt und nachts tröstet, als Erholung von dem harten Politikjob. Wichtig und bemerkenswert an der Inszenierung ist aber, dass Kurz ein Idyll von Vaterschaft entwickelt. Arbeit scheint Kinderversorgung nicht zu sein, eher ein Erholungsprogramm. Dieses Erklärungsmuster hat politische Kontinuität in Österreich. Es zeigt sich in der strukturellen Missachtung von Sorgearbeit. Diese wird in eine weiblich definierte Privatheit verdrängt. Ihr Gegenstück ist eine männlich dominierte politische Öffentlichkeit, in der die Beteiligten Sorgen, Emotionen wie Bedürfnissen enthoben sind. Die Konstruktion von Politik als über sozialen Beziehungen und Emotionen stehend, prägte auch Kurz‘ Hardliner-Haltung in seiner Asyl- und Migrationspolitik, die zwar nicht „ohne hässliche Bilder“ auskommen würde, diese aber eben nicht politikrelevant werden durften.
Kurz bediente also argumentativ ein Grundmuster, ja eine Grundstruktur des Maskulinismus österreichischer Politik. Er reproduziert damit nicht nur die heteronormative geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, sondern Männlichkeit als Standardform von Politik, die die Notwendigkeit solidarischer und sorgender gesellschaftlicher Beziehungen negiert. Das paternalistische Politikbild, nämlich eine Kontinuität der Väterlichkeit, lässt Kurz in seinen jungen Jahren jedoch als gütigen, stets ‚seinem Österreich‘ bloß dienenden Landesvater erscheinen, der nun zum engagierten Familienvater mutiert.
Männerbünde privatisieren Politik
Verbunden mit dieser patriarchal-männlichen Sicht von Politik ist die Selbstreproduktion von weißer männlicher Überheblichkeit oder besser, die Machtabgehobenheit politischer Männlichkeit, in der österreichischen Politik. Männlichkeit und männliche Rituale schotten die In-Group des Männerbundes ab, die ihre kriminellen Machenschaften als selbstverständlich wahrnehmen kann. Ohne ein Korrektiv wird da gehandelt, um Macht zu erlangen oder zu erhalten. In diesen homogenen Gruppen können Allmachtsphantasien blühen und Politik wird auf den Erhalt von Privilegien zusammengeschrumpft. Zur Not auch über unlautere oder kriminelle Wege. Statt dass das Private im emanzipatorischen Sinne als politisch betrachtet wird, wird Politik privatisiert.
So funktioniert populistische Männlichkeit: Sebastian Kurz inszeniert sich bei seinem Rückzug als „Diener“ der österreichischen Republik. Als bescheidener Lenker, als Reh, das sich gejagt fühlte. Auf jeden Fall unschuldig und allzu menschlich: „kein Heiliger“. Auch wenn wir seit Walter Kollos Operette wissen: Die Männer sind alle Verbrecher – nicht so Sebastian Kurz. Er ist bloß ein Jedermann, ein Mann mit „Stärken und Schwächen“.
Politische Männlichkeit abschaffen
Politische Männlichkeit ist eine Gefahr für die Demokratie, für die Öffentlichkeit, für die Partizipation und für eine solidarische, nachhaltige Organisation von Gesellschaft. Fälschen von Umfragen und damit Wahlbetrug sind Teil einer selbstherrlichen und machtorientierten Männlichkeit.
Was maskulinistische Politik nicht kann, ist nachhaltige Antworten auf die Corona-Krise und die ihr zugrunde liegende umfassende Sorge-Krise zu geben. Die gegenwärtige Regierungskrise spiegelt daher auch den krisenhaften Normalzustand von Politik wider. Eine umfassende Demokratisierung bedeutet freilich nicht, Männer einfach durch Frauen auszutauschen, sondern das politische System Männlichkeit abzuschaffen. Nicht zuletzt, damit Politik nicht mehr als Gegenpol von Sorge und Verantwortlichkeit gilt, sondern diese zur Grundlage macht. Die ÖVP ist selbst von ersterem weit entfernt, wie weit erst von zweiterem?