Die Nationalratswahlen 2024 sind geschlagen. 6.346.059 Stimmen ergeben eine Wahlbeteiligung von 77,7%. Doch was bedeutet diese Zahl unter Anbetracht der Summe an Menschen, die in Österreich leben aber aufgrund ihrer Nicht-österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wählen können? Maiko Sakurai von SOS Mitmensch zu den Ergebnissen und Erfahrungen der diesjährigen Pass Egal Wahl.
Laut Statistik Austria lebten am 1. Juli 2024 insgesamt 1.514.334 Personen im wahlfähigen Alter in Österreich, die aber aufgrund ihrer „falschen“ Staatsbürgerschaft von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen sind. Das heißt, jede fünfte hier lebende Person im Wahlalter konnte bei dieser Nationalratswahl nicht mitbestimmen. In Wien sind es bereits mehr als ein Drittel der Wohnbevölkerung, die vom Wahlen ausgeschlossen sind. Das ist ein Problem und nicht nur in Hinsicht auf die kommende Wien-Wahl 2025.
Hintergrund des zunehmenden Ausschlusses ist, dass Österreich ein sehr restriktives Wahlrecht und darüber hinaus die ausgrenzendsten Einbürgerungsbestimmungen in ganz Europa hat. Ein Großteil der Menschen, die vom Wahlausschluss betroffen sind, lebt schon lange in Österreich. Immer mehr sind auch hier geboren. Während sie in vielen anderen Ländern bereits mit ihrer Geburt im Land die Staatsbürgerschaft bekommen hätten, sind sie in Österreich darauf angewiesen, dass ihre Eltern hohe Einbürgerungshürden überwinden. Das tut den betroffenen jungen Menschen nicht gut, weil sie keine Zugehörigkeit zu unserer Demokratie entwickeln können. Denn warum sollen sie sich für Politik interessieren, wenn sich niemand in der Politik für sie interessiert? Und das tut wiederum unserer Demokratie nicht gut, weil sie zu einer Schrumpfdemokratie wird.
Ausschluss der Wähler*innen
Die überwältigende Rekordbeteiligung an der Pass Egal Wahl 2024 von SOS Mitmensch bezeugt sowohl die Dringlichkeit einer Öffnung Österreichs für demokratische Beteiligung, als auch die Notwendigkeit dafür. Die stetig steigende Anzahl an Menschen die bei Pass Egal Wahlen ihre Stimmen abgeben, korrespondiert mit der jährlich größer werdenden Anzahl an nicht wahlberechtigten Menschen und kann auf Dauer nicht länger ignoriert werden.
An der mit Abstand größten Pass Egal Wahl der Geschichte nahmen 19.854 Menschen mit Pässen aus 120 Ländern teil. Neben über 70 Wahlstandorten in ganz Österreich, welche dank zahlreicher Kooperationspartner:innen organisiert werden konnten, hielten auch 74 Schulen und Bildungseinrichtungen in Kooperation mit SOS Mitmensch eigene Pass Egal Wahlen ab. Unter den fast 20.000 Wähler:innen, gaben auch 11.428 österreichische Staatsbürger:innen ihre Stimmen ab, um ihre Solidarität mit den Menschen, die kein Wahlrecht haben, zum Ausdruck zu bringen.
Bei den Wahlteilnehmer:innen ohne österreichische Staatsbürgerschaft konnte die SPÖ unter den bundesweit kandidierenden Parteien den ersten Platz erringen. Sie bekam 36,8 Prozent der Stimmen. Dahinter folgen die Grünen mit 19,3 Prozent, KPÖ mit 10,4 Prozent, FPÖ mit 8,1 Prozent, NEOS mit 7,9 Prozent, ÖVP mit 6,4 Prozent, KEINE mit 3,2 Prozent, BIER mit 2,9 Prozent und LMP mit 0,7 Prozent. In Relation zum diesjährigen Wahlergebnis der Nationalratswahl ein großer Unterschied.
Auch wenn nun einige Menschen daraus eine Öffnung Österreichs für demokratische Beteiligung als Lösung für den gravierenden Rechtsruck lesen könnten, ist es SOS Mitmensch wichtig zu betonen, dass das Ergebnis der „Pass Egal Wahl“ nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft ist. Das Wahlergebnis steht für das politische Stimmungsbild jener Menschen, die von dieser Aktion erfahren haben und aktiv ein Zeichen für eine inklusive Demokratie setzen wollten.
Der nächste Schritt
Es ist nicht einfach vorauszusehen, wie sich Wahlausgänge verändern würden, wenn wirklich alle in Österreich lebenden Menschen im wahlfähigen Alter politische Mitsprache hätten. Manche würden, wie Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft auch, für Populismus oder Extremismus anfällig sein. Andere wiederum eine solidarische und klimagerechte Weltanschauung vertreten.
Entscheidend ist, dass die große Masse der Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft längst ein wichtiger Bestandteil Österreichs ist und daher auch integraler Bestandteil unserer Demokratie sein sollte. Für das Leben in einem Land und für das Funktionieren eines Landes sind alle Menschen entscheidend, die in diesem Land leben. Die Politik muss Antworten für eine inklusive Demokratie finden, die alle hier langfristig lebenden Menschen miteinschließt. Sonst steht die Zukunft unserer Demokratie auf dem Spiel.
Die Geschichte des österreichischen Wahlrechts ist die einer langsamen und schrittweisen Demokratisierung. Jede Ausweitung des Wahlrechts musste hart erkämpft werden. Lange Zeit wurden Menschen, die nicht genug besaßen oder verdienten, vom Wahlrecht ausgeschlossen. Ebenso waren lange Zeit Frauen vom Wahlrecht ausgeschlossen. Erst 1918 erlangten Frauen das allgemeine und gleiche Wahlrecht. Im Jahr 2007 wurde das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre abgesenkt.
Entgegen dieser Geschichte einer zunehmenden Gleichberechtigung und Demokratisierung, steigt in den letzten Jahren wieder der Anteil der Menschen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Dieser zunehmende Ausschluss von der Demokratie ist auf der einen Seite fatal, aber er ist, wie die Geschichte zeigt, auf der anderen Seite jederzeit veränderbar. Nutzen wir daher die Möglichkeit, die Demokratie für die Menschen, die hier leben, zu öffnen und öffnen wir damit zugleich alle Menschen, die hier leben, für unsere Demokratie.
Foto: Michael Pöltl / Grafik: SOS Mitmensch