Die sexuelle Orientierung spielt keine Rolle? Es haben alle die gleichen Chancen? Wie kann es dann sein, dass der Anteil an offen lesbischen und schwulen Politiker*innen im Hohen Haus seit jeher beschämend niedrig ist – zwischen 0 und 1 von 183 Abgeordneten.
Mit der Selbstauflösung der türkis-blauen Regierung hat bei den Parteien das Gerangel um chancenreiche Listenplätze für die Nationalratswahl im September begonnen. Erstmals könnten Lesben und Schwule adäquat im Parlament repräsentiert sein. Trans, inter* und bisexuelle Menschen hingegen eher nicht.
Lesben und Schwule in der Politik
Bis 1971 war Homosexualität in Österreich strafbar. Werbe- und Vereinsverbote blieben gar bis 1997 aufrecht. Vorurteile gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen halten sich bis heute. Rechtlicher Schutz vor Diskriminierung außerhalb der Arbeit fehlt ebenso wie die Sichtbarkeit von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Bildungssystem.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass erst 1999 die erste offen lesbische Frau ins Parlament einzog. Zehn Jahre lang war Ulrike Lunacek, spätere Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, als einzige Lesbe im Hohen Haus. Bis heute hat keine andere lesbische, bisexuelle oder queere Frau den Sprung in den Nationalrat geschafft – der „Lesbenanteil“ im Nationalrat liegt somit seit zehn Jahren wieder konstant bei null. Auch offen schwule Männer suchte man bis vor kurzem im Nationalrat noch vergeblich. Bisexuelle noch immer.
„Only Gay“ im Hohen Haus
Erst 2013 outete sich mit Gerald Grosz ausgerechnet ein BZÖ-Politiker als schwul – kurz vor seiner Abwahl wohlgemerkt. Darauf sind wohl weder das „dritte Lager“ noch die queere Community besonders stolz. 2017 wurde Mario Lindner, Gewerkschafter und ehemaliger SPÖ-Bundesratspräsident, als erster offen schwuler Politiker in den Nationalrat gewählt. Sein Mandat erhielt er nicht wegen, sondern trotz seines öffentlichen Coming-out im Jahr zuvor. Heute ist Lindner, der sich vor allem mit dem Kampf für Arbeitnehmer*innen-Rechte und gegen Hass im Netz einen Namen gemacht hat, „the only Gay in the Village“ bzw. der einzig offen Schwule im Nationalrat. Schwule Männer, die sich nicht öffentlich zu ihrer Homosexualität bekennen, gibt es natürlich weitere – so wie in jedem Beruf.
Im Bundesrat, der zweiten Kammer des Parlaments, ist Ewa Dziedzic (Grüne) die einzige Lesbe – wie vor 20 Jahren Lunacek im Nationalrat. Auf Landesebene ist der „Regenbogenanteil“ teilweise höher. Rekordhalter sind die Grünen Wien mit aktuell drei lesbischen und einem schwulen Abgeordneten von insgesamt zehn (Jennifer Kickert, Faika El-Nagashi, Peter Kraus und Birgit Meinhard-Schiebel).
Queere Hoffnungsträger*innen
Dziedzic hat ihre Kandidatur für einen Listenplatz bei den Wiener Grünen bereits bekannt gegeben. Genauso wie Faika El-Nagashi. Beide sind erfahrene Politiker*innen, bestens vernetzt mit unterschiedlichen NGO-Szenen, Bewegungen und Aktivist*innen. Beide sind Hoffnungsträger*innen für die queere Community, für Frauenrechte, für eine Politik gegen Hass, Ausgrenzung, Rassismus und menschenverachtende Asylpolitik. Beide wären die ersten queeren Frauen mit Migrationshintergrund im Nationalrat.
Chancen auf einen wählbaren Listenplatz werden auch der SoHo-Tirol Vorsitzenden Theresa Muigg zugerechnet. Sie war die Spitzenkandidatin der Tiroler SPÖ bei den letzten EU-Wahlen und kam ohne Vorzugsstimmenwahlkampf auf über 2.800 Stimmen – ein Erfolg, der SPÖ-intern registriert wird. Zum Vergleich: Bei der Nationalratswahl 2017 erhielten mit Ausnahme von Christian Kern in Tirol selbst erfolgreiche SPÖ-Politiker*innen nur wenige hundert Vorzugsstimmen. Für die NEOS kandidierte bei den EU-Wahlen Isak Schneider als offen schwuler Mann auf dem achten Listenplatz. Für die kommenden Nationalratswahlen versuchen es mehrere LGBTIQ-Personen auf einen NEOS-Listenplatz zu schaffen. Ob es ihnen gelingt, entscheidet zunächst ein mehrstufiges Vorwahlsystem.
Kein Regenbogen bei Türkis-Blau
Bei den Türkisen und der FPÖ gibt es bis dato keine offen queeren Kandidat*innen. Alles andere wäre verwunderlich. Denn die ÖVP hat in über drei Jahrzehnten Regierungsbeteiligung im Bund so ziemlich jede Verbesserung in puncto LGBTIQ-Rechte verhindert oder verzögert. Die FPÖ ist in der Vergangenheit immer wieder mit LGBTIQ-feindlichen Sagern aufgefallen. In der Regierung setzte Ex-Innenminister Kickl zwei Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs – jene zur Ehe-Öffnung sowie zum dritten Personenstand im Geschlecht – nur mangelhaft um.
Am Donnerstag hat die ÖVP im Nationalrat überraschend gemeinsam mit der SPÖ, den NEOS und der Liste Jetzt zwei Fristsetzungsanträgen zugestimmt, die LGBTIQ-Rechte betreffen. Anfang Juli wird der Nationalrat deshalb voraussichtlich darüber entscheiden, ob einerseits ein Verbot von Konversionstherapien kommt und ob andererseits eine diskriminierende und rassistische Ehe-Regelung gestrichen wird. Denn seit 1. Jänner dürfen gleichgeschlechtliche Paare zwar heiraten, aber – dank Innenminister Kickl – nur wenn sie den „richtigen“ Pass haben. Wenn im Herkunftsland eines Partners oder einer Partnerin keine Regelung für gleichgeschlechtliche Ehen besteht, darf das Paar in Österreich nicht heiraten.
Kein Minderheitenthema
Lesben, Schwule und Bisexuelle machen rund zehn Prozent der Bevölkerung aus. Ihre Anliegen werden oft als „Minderheitenthema“ abgetan. Aber: Queer-feindliche Gewalt ist kein Minderheitenthema. Auch Heterosexuelle können ihr zum Opfer fallen, wenn sie als „zu weiblich/männlich“ oder „zu lesbisch/schwul“ wahrgenommen werden. Erhöhtes Suizidrisiko ist ebenso kein Minderheitenthema. Es kann Jugendliche betreffen, die als „Schwuchtel“ oder „Kampflesbe“ gehänselt werden oder LGBTIQ-feindlichem Mobbing ausgesetzt sind, auch wenn sie gar nicht lesbisch, schwul oder bisexuell sind. Menschenrechte sind kein Minderheitenthema. Sie sind ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft und unserer Verfassung.
Wir brauchen queere Politiker*innen, die die – vielfältigen – Erfahrungen der Community kennen, benennen und ihre Stimmen im Parlament vertreten. Die Nationalratswahlen 2019 sind, trotz aller berichtigter Sorgen vor einem neuerlichen rechten Backlash, auch eine historische Chance. Parteien, nutzt sie, und wählt kompetente, erfahrene und überzeugende Politiker*innen auf wählbare Listenplätze! Sie existieren und sie kandidieren.