Die Initiative #WannWennNichtJetzt tourte durch Ostdeutschland, um linke Initiativen vor Ort zu stärken und ihnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Mosaik-Redakteur Markus Gönitzer sprach mit der Pressesprecherin für #WannWennNichtJetzt in Brandenburg, Sarah Fartuun Heinze.
Kannst du die Kampagne von #WannWennNichtJetzt kurz vorstellen?
#WannWennNichtJetzt (WWNJ) ist ein breiter unparteiischer Zusammenschluss, der sich 2019 entschieden hat, in strukturschwachen Regionen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, in denen scheinbar ein rechter Konsens herrscht, zu touren. Ziel war es Marktplätze durch Konzerte, Vorträge, Diskussionen oder Workshops in Orte der Solidarität zu verwandeln.
Die Themen, die in diesem Rahmen verhandelt wurden, waren ganz unterschiedlich: Rechte von Arbeiter*innen und Mieter*innen, Klimagerechtigkeit, Feminismus, Arbeitslosigkeit und Strukturwandel, Rechtsruck und Solidarität mit Geflüchteten. Dabei war uns auch der Bezug zur Region, zu Erfahrungen während und nach der DDR und zu Ostdeutschland-Klischees wichtig. Auch hier gibt es überall Personen, Initiativen und Organisationen, die schon jahrelang emanzipatorische Arbeit machen, die im bundesdeutschen Diskurs aber weitgehend unsichtbar bleiben. Genau diese Personen und Strukturen wollten wir stärken. Denn die Rechtsextremen auf der anderen Seite sind in diesen Regionen extrem gut vernetzt.
Was war der Ausgangspunkt für #WannWennNichtJetzt?
Angefangen hat es mit den rassistischen Ausschreitungen letztes Jahr in Chemnitz. Als Antwort darauf organisierten Aktivist*innen ein großes Konzert mit dem Motto „Wir sind mehr“. Dadurch wurde uns aber auch bewusst, dass wir in diesen Gegenden eben oft nicht „mehr“ sind. Aber wir können mehr werden.
In Österreich sind wir auch schon länger mit einem Rechtsruck vor allem in ländlichen Regionen konfrontiert. Trotzdem ist der Kontext in Ostdeutschland ein ganz spezieller. Woher kommt die historische Stärke rechtsextremer Strukturen in Ostdeutschland?
Wie vielen in Westdeutschland aufgewachsenen Personen war auch mir sehr lange nicht klar, was der Fall der Mauer für Menschen aus der ehemaligen DDR bedeutet hat. Die Lebensleistungen dieser Leute haben plötzlich nichts mehr bedeutet, ihre Arbeitsplätze verschwanden einfach so. Über diese Entwicklungen wird kaum gesprochen. Stattdessen dominieren Vorurteile. Auch ich war in meiner Jugend mit einem popkulturell geprägten, klischeehaften Bild von Ostdeutschland konfrontiert. Deswegen haben wir auf unserer Tour auch mit Aufbruch Ost zusammengearbeitet, einer Initiative, die sich mit der Aufarbeitung und Analysen von ostdeutschen Verhältnissen und Lebensrealitäten aus einer emanzipatorischen Perspektive beschäftigt.
Historisch ist mit Sicherheit zu erwähnen, dass im Rahmen der Wende viele Nazi-Kader in den Osten abgewandert sind. Sie haben geholfen, dort politische Strukturen zu etablieren. All das ist im aktuellen bundesdeutschen Diskurs weitgehend unterbelichtet.
Wie wurde euer Angebot angenommen?
Natürlich war nicht bei jedem Tourstopp die ganze Stadt auf den Beinen und hat unsere Workshops besucht. Für mich war aber der wichtigste Aspekt, den linken Projekten vor Ort mehr Sichtbarkeit zu geben. Die gibt es schon lange, aber sie gehen oft unter. Aktuell werden ja in Deutschland Vereinen wie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, oder der globalisierungskritischen und umweltaktivistischen NGO Attac die Gemeinnützigkeit entzogen. Das bedeutet für sie eine existenzbedrohende Steuerbelastung. Auf der anderen Seite passiert das Vereinen, die ganz offensichtlich Verbindungen zur extremen Rechten haben, nicht. Das zeigt meiner Meinung nach gut, mit welchen Problemen linkspolitisch aktive Gruppen und Personen in ganz Deutschland, aber vor allem auch in den strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland zu kämpfen haben. Deswegen waren das Sichtbarmachen, das Strukturenstärken und das Schaffen von Begegnungsräumen die größten Ziele von #WannWennNichtJetzt und das ist uns auch gelungen, wie ich finde.
Wie lief die Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen ab? Gab es auch Vorbehalte gegen Vereinnahmungen oder ähnliches?
Das war von Ort zu Ort verschieden. Aber uns war es ein sehr großes Anliegen, dass es nicht so rüberkommt, als kämen da jetzt die Leute aus Berlin und Leipzig und erklären den „Dorfaktivist*innen“ das Leben. Sondern die Frage war immer: Wie können wir euch aus Berlin oder Leipzig unterstützen?
Ergaben sich aus diesen Kooperationen dann auch längerfristige Projekte, oder blieb es bei den punktuellen Tourstopps?
Das jetzt schon zu beurteilen, ist noch zu früh. Wir hatten am 21. Oktober unsere letzten Tourstopp in Erfurt. Vor drei Wochen haben wir mit den Auswertungen der Kampagne begonnen. Parallel dazu gab es eine Zukunftswerkstatt, um zu überlegen, wie wir weiter machen wollen. Aber ein großer Erfolg, auf den wir alle gemeinsam zurückblicken können, ist dass unsere Verbindungen als linke Aktivist*innen aus unterschiedlichen Teilen des Landes jetzt nicht mehr abstrakt sind, sondern wir einander tatsächlich begegnet sind. Wir haben uns kennengelernt, zusammen überlegt, eine Wahnsinnskampagne auf die Beine gestellt und zusammen gefeiert. Das alles war und ist eine sehr empowernde Erfahrung.
Wie es konkret weitergeht, ist zwar noch unklar, aber es tut sich was. In Cottbus hat sich zum Beispiel im Anschluss an die #WannWennNichtJetzt-Tour aus der Zivilgesellschaft heraus ein tolles Projekt mit dem Namen Appell von Cottbus entwickelt. Die haben in den letzten Monaten zum Beispiel immer Gegenveranstaltungen organisiert, wenn AfD-Spitzenpolitiker*innen wie Björn Höcke in die Stadt gekommen sind. Ich kann mir sehr gut vorstellen und hoffe, dass sich in anderen Orten ähnliche Dinge entwickelt haben.
#WannWennNichtJetzt fand im Vorfeld der jeweiligen Landtagswahlen statt. Wie wichtig war der Fokus auf die Wahlen?
Zu sagen, die Wahlen waren nebensächlich, wäre genauso falsch, wie zu sagen unser größtes Ziel war es, die Leute zur Wahlurne zu schieben. Prinzipiell haben wir ja nicht mit Parteien zusammengearbeitet und ihnen im Rahmen von #WannWennNichtJetzt keine Bühne geboten. Ich würde die Frage gerne aus meiner persönlichen Perspektive beantworten. Ich bin eine Woman of Colour und mir hat beispielsweise die Wahl in Brandenburg echt Angst gemacht. Und ich glaube ein extrem wirksames Mittel gegen Angst ist es, sich zusammen zu tun und Banden zu bilden.
Wenn man wirklich etwas tut, erlebt man die eigene Wirksamkeit ganz anders. Deswegen war es uns wichtig, auch vor den Wahlen noch einmal zu signalisieren, dass ein anderes Miteinander möglich ist. Eine Gesellschaft, in der niemand im Mittelmeer ertrinken muss, in der niemand auf Grund seiner Hautfarbe, seiner Geschlechtsidentität oder seiner sexuellen Orientierung Angst haben muss, ist möglich. Und so war das vor der Wahl auch ein wichtiger Zeitpunkt, um zu zeigen, uns alle und all unsere politischen Projekte und Anliegen gibt es hier und gibt es hier schon lange, egal wie diese Wahl ausgeht. Und die Vernetzung, die wir geschaffen haben, wirkt über diese Wahl hinaus.