Nach 17 Jahren droht dem nicht-kommerziellen und freien Fernsehsender Okto das Aus: Die Stadt Wien will seine Förderung streichen. Okto-Geschäftsführer Christian Jungwirth spricht im Interview mit mosaik-Redakteurin Sonja Luksik über die Stimmung unter den Mitarbeiter*innen, Österreich als Weltmeister in der Finanzierung des Boulevards und wie man Okto jetzt unterstützen kann.
mosaik: Wie ist die Stimmung bei Okto und wie geht es den Mitarbeiter*innen?
Christian Jungwirth: Die Stimmung ist weniger eine gedämpfte, als eine sehr kämpferische. Die 20 Mitarbeiter*innen empfinden den Förderstopp als einen unverhältnismäßigen, massiven Angriff auf Werte wie freie Meinungsäußerung, Einschränkung der medialen Artikulation durch Minderheiten und Benachteiligte.
Die Okto-Mitarbeiter*innen sind sehr stark ideell motiviert. Den Job macht man nicht, weil man mit einer Anstellung bei Okto reich wird. Sie sehen den Förderstopp daher auch als Angriff auf die 300 bis 400 Leute, die ehrenamtlich bei Okto engagiert sind. Und als Angriff auf die Netzwerke aus dem NGO- und zivilgesellschaftlichen Bereich und alternative Kulturveranstalter*innen. Das ist ja ein Flächenbrand, der da losgeht. Den Förderstopp nehmen sie als maßlos überzogen wahr.
Der Stop kam außerdem sehr kurzfristig. Deshalb mussten wir bereits im April sämtliche Beschäftigungsverhältnisse mit sofortiger Wirkung kündigen. Denn aufgrund der Kündigungsfrist haben wir einen Nachlauf von bis zu drei Monaten. Doch auch wenn wir eine Möglichkeit finden, den Betrieb weiterzuführen, werden wir die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse reduzieren müssen. Wir versuchen jetzt, mit einem Not-Team weiterzumachen. Gerade überlegen wir, welches Mindestmaß an Arbeitsverhältnissen wir brauchen, um das Sendesignal von Okto aufrechtzuerhalten. Wenn wir das wissen, können wir manche Kündigungen rückwirkend einvernehmlich auflösen oder als gegenstandslos erklären.
Im April gab es die Schlagzeile „Förderstopp für Okto“. Dann kam die kurzzeitige Entwarnung: Weiterverhandlung mit der Stadt Wien. Nun heißt es erneut: Förderstopp. Warum kam es zu keiner Einigung?
In den eineinhalb Jahren Verhandlungen seit Gründung der „Fortschrittskoalition“ (Anm. d. Red.: Wiener Stadtregierung aus SPÖ und Neos) gab es kein direktes Gespräch zwischen mir und Stadtrat Peter Hanke. Beide Regierungsparteien schickten Funktionär*innen, die als unser Gegenüber fungierten. Sie mussten jeden Schritt in der Verhandlung über zwei bis drei Ecken mit dem Stadtrat kommunizieren und abgleichen.
Aufgrund der akuten Problematik und des ausgesprochenen Förderstopps hat sich dann der ehrenamtliche Okto-Vorstand eingeschaltet. Armin Thurnher ist es als Gründungsmitglied von Okto gelungen, einen Termin beim Stadtrat zu bekommen. Erstmals seit Gründung der „Fortschrittskoalition“ sind wir mit Peter Hanke persönlich an einem Tisch gesessen. Da haben wir über Möglichkeiten abseits der Basisförderung gesprochen. Im Mittelpunkt standen konkrete Projektförderungen für Bereiche wie Aus- und Weiterbildung oder inklusive Medienarbeit. Es sollte ein Finanzierungsrahmen definiert werden, der dann auch fix zugesagt werden würde. Der Stadtrat sagte per Handschlag zu, das alles in vier Wochen auf die Beine zu stellen.
In den folgenden Gesprächen war es dann aber immer nur ein Vertrösten auf weitere Entwicklungsprozesse neuer Instrumente im Bereich Medienförderung. Dabei handelte es sich um einen sehr weiten Ergebnishorizont, der frühestens im Jahr 2023 wirksam werden sollte. Das war letztlich auch unserem Vorstand zu wenig und die Gespräche mussten als gescheitert betrachtet werden.
Was entgegnen Sie jenen die meinen, dass Okto aufgrund seiner geringen Reichweite und seines Nischenprogramms verzichtbar ist?
Von der Wiener Stadtregierung kommt neuerdings immer wieder das Argument, dass lineares Fernsehen nicht förderwürdig ist. Es sei eine alte Mediengattung mit zu wenig Attraktivität für junge Zielgruppen. Die lineare Programmverbreitung macht jedoch nur einen geringen Anteil der Okto-Aktivitäten aus. Der Aufwand dafür ist gerade einmal zehn Prozent. Wenn uns die Stadt Wien früher hätte wissen lassen, dass sie das nicht mitfinanzieren will, hätten wir andere Finanzierungsmöglichkeiten gefunden.
Okto auf ein reichweitenschwaches Fernsehprogramm zu reduzieren, ist die Hauptproblematik. Als einzige Einrichtung setzen wir in dieser Form und Größe in Österreich zahlreiche Aktivitäten wie zum Beispiel im Bereich der inklusiven Medienarbeit. Wir geben Menschen mit Behinderungen und Lernschwierigkeiten die Möglichkeit, an medialer Arbeit teilzuhaben. Wir binden Kinder, Ältere und Menschen mit nicht-deutscher Erstsprache ein. Diese Bereiche brauchen hochqualifizierte Personen, damit dieser offene Zugang aufrechterhalten werden kann. Das jetzt alles auf einen kleinen Fernsehbetrieb zu reduzieren, kann man als Ignoranz interpretieren. Oder auch als taktisches Argument, damit man Gründe hat, die Förderung einzustellen.
Gleichzeitig ist das lineare Fernsehen bei Okto auch ein Erprobungskanal. Es geht um den Anreiz für Studierende, im Rahmen von Praktika bei Okto dann auch bei den Credits und im Abspann vorzukommen. Und es geht um migrantische Jugendliche, die eigene Sendungen gestalten und diese stolz ihren Familien zeigen können. Denn diese sind sehr oft klassisches Publikum von linearem Fernsehen. Das jetzt alles vom Tisch zu wischen und zu sagen „Das hat keinen Wert!“, ist für uns nicht nachvollziehbar.
Was sagt es über die österreichische Medien- und Förderpolitik aus, dass für ein freies Community-Medium scheinbar kein Geld vorhanden ist, für Boulevard und Regierungsinserate jedoch Unsummen locker gemacht werden?
Es ist ja noch schlimmer. Denn es ist nicht nur so, dass einerseits Geld für den Boulevard im Rahmen von Anzeigengeschäften in drei Boulevardmedien gepumpt wird. Und dass andererseits die überschaubaren Beträge für ein Community-Fernsehen eingestampft werden. Wir sind Weltmeister in der Finanzierung des Boulevards – in Österreich und in Wien ganz im Besonderen.
Wir recherchieren gerade, ob es in vergleichbaren europäischen Städten auch nur annähernd solche Volumina an Anzeigengeschäften mit der öffentlichen Hand gibt wie in Wien. Bis vor zwei Monaten hat Wien sich wenigstens noch damit brüsten können, bei offenen Zugängen im Bereich elektronischer Medien im europäischen Spitzenfeld zu liegen. Nach 17 Jahren stürzt sich die Stadt da freiwillig von einen auf den anderen Tag in die Bedeutungslosigkeit. Und daneben stehen die unglaublich hohen Volumina bei der Finanzierung des Boulevards. Das ist absoluter Wahnsinn.
Wie geht es jetzt weiter und wie kann man Okto unterstützen?
Wir freuen uns über Solidaritätsbekundungen, auch in den sozialen Medien. Es ist wichtig zu zeigen, dass Okto kein Einzelphänomen von einer kleinen Gruppe im 14. Bezirk ist, sondern dass wir über einen unglaublichen Vernetzungsgrad in der Wiener Zivilgesellschaft verfügen. Es ist in dieser schwierigen Zeit schön zu sehen, wie viele Leute hinter uns stehen und uns unterstützen.
Ab Herbst werden wir niedrigschwellige Angebote im Bereich der Medienbildung ausrollen. Da sind alle herzlich eingeladen, davon auch Gebrauch zu machen. Wir werden zeitgemäße Angebote wie Mobile Reporting, also die Produktion von Videoinhalten mit Smartphones, fortsetzen. Da freuen wir uns über Leute, die daran teilnehmen oder auch selbst Programme anbieten wollen.
Interview: Sonja Luksik