Niederösterreich ist das am höchsten verschuldete Bundesland, gleichzeitig mangelt es an allen Ecken und Enden an notwendiger Infrastruktur. Das betrifft vor allen den ländlichen Raum. Bei den Bürgerinnen und Bürgern wurde eisern gespart, während für sinnlose Prestigeprojekte Millionen verpulvert wurden. Eine Bilanz von Boris Ginner.
Das Land Niederösterreich ist zweigeteilt. Einerseits boomen die Räume entlang der Verkehrsachse Westautobahn/Westbahnstrecke und im Wiener Umland, andererseits vegetieren unzählige Gemeinden in der niederösterreichischen Peripherie nur so dahin.
Abwanderung und Untergangsstimmung machen sich etwa seit Jahren in vielen Gemeinden des niederösterreichischen Südens entlang des Alpenhauptkamms breit, oder in den Grenzregionen zum ehemaligen Eisernen Vorhang. Hier vor allem hervorzuheben: das Waldviertel. Doch anstatt in Infrastruktur zu investieren, wird weiter gekürzt.
15 Jahre Kahlschlag
Von der Kahlschlagspolitik kann sich jede/r selbst überzeugen – sie ist mit freiem Auge sichtbar. Denn zwischen den Kirch- und Lagerhaustürmen stechen oftmals leere Ortskerne, ausgestorbene Innenstädte, leerstehende Geschäftslokale, geschlossene Wirtshäuser oder Betriebsstätten ins Auge.
Allein unter Innenministerin Mikl-Leitner wurden 2014 etwa 21 Polizeidienststellen geschlossen, nachdem es während der ersten schwarzblauen Regierung Anfang der 2000er Jahre schon eine Schließungswelle gegeben hat. Verantwortlich dafür war auch damals mit Ernst Strasser ein Vertreter der ÖVP NÖ. Fast völlig ausradiert wurde das weit verästelte Netz an Postfilialen, auch zahlreiche Bezirksgerichte fielen dem Kahlschlag zum Opfer.
Regionalbahnen zerstört
Eine regelrechte Zerstörungswut (wohl auch gegen die „rote Bahn“ gerichtet) hat die ÖVP NÖ im Bereich der Regionalbahnen getrieben: 2011 hat das Land von den ÖBB 28 Nebenbahnen übernommen – mit dem Versprechen, diese nicht nur zu erhalten, sondern zu sanieren (man sei ja „näher am Bürger“ und daher ein „besserer Betreiber“). Dafür hat das Land auch über 160 Millionen Euro vom Bund erhalten. Besonders dreist: In der Folge wurden von den 28 Nebenbahnen 27 stillgelegt, wobei die Eisenbahngleise auch gleich herausgerissen wurden, um nachhaltig Fakten zu schaffen.
Stattdessen wurden vereinzelt Radwege hingebaut, um den Wegfall der Bahn für die Bevölkerung „erträglicher“ zu machen. Die einzige Nebenbahn, die fortgeführt wurde, die Mariazeller Bahn, verschlang als Prestigeprojekt allein rund 120 Mio. Euro. Diese Einschränkung der Mobilität ist gerade für abgelegene ländliche Regionen ein Todesstoß.
Denn Mobilität ist der einzige Schlüssel, mit dem die Vorteile strukturschwacher Regionen (oftmals billige Wohnpreise, schöne Natur, Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten) mit den Arbeitsplatzvorteilen der boomenden Regionen verbunden werden kann. Aus der Zweiteilung Niederösterreichs könnte so eine Win-Win-Situation gemacht werden. Auch aus klimapolitischer Sicht geht die Streichung der Regionalbahnen in die völlig falsche Richtung.
Digitales Hintertupfing
Um an der Wissensökonomie teilnehmen zu können – und für Betriebsansiedelungen unerlässlich – ist eine leistungsfähige digitale Ausstattung. Hier scheitert es schon: In weiten Teilen Niederösterreichs ist nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit eines guten Breitbandzugangs gegeben.
Oftmals hat man sich mit einem Festnetz-Internet von max. 20Mbit/sec. zufrieden zu geben. Grund für die ÖVP-Landesregierung, endlich zu handeln? Weit gefehlt. Das Breitbandmodell des Landes Niederösterreich sieht den vollständigen Ausbau erst für das Jahr 2030 vor.
Kindergärten: Am Nachmittag zu
Ein weiterer krasser infrastruktureller Mangel: In großen Teilen Niederösterreichs fehlt es an Kinderbetreuungseinrichtungen oder sind Kindergärten nachmittags geschlossen – und wenn nicht, dann kostenpflichtig. Dies erschwert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und senkt damit die Attraktivität für junge Familien.
Dazu kommt: Trotz steigender Kosten für Eltern bei Schulbeginn, schaffte die ÖVP vor Jahren die NÖ Schulstarthilfe ab. Diesen Missständen zum Trotz feiert die ÖVP das Bundesland mittels Plakatkampagnen als „Kinderösterreich“ ab.
Abwärtsspirale
Die Folge von all der Schließungspolitik ist eine generelle Abwärtsspirale, in deren Folge auch die Nahversorgung schlechter und die Abwanderung verstärkt wird. In den Köpfen der Bevölkerung der betroffenen Regionen kommt es zu einer resignativen Grundstimmung. Kaum jemand glaubt mehr an Aufschwung, eine Entwicklungsumkehr oder reale Verbesserungen.
Da ist es fast schon ein Wunder, dass Niederösterreich trotz der Zusperr-Politik und des eisernen Sparens der Schuldenkaiser Österreichs ist. Denn neben dem durch die Pröll-ÖVP angehäuften Schuldenberg wirken Schneeberg und Ötscher wie niedliche Hügel.
Gedeckelte Mindestsicherung
Gespart wird nicht nur bei der notwendigen Infrastruktur, sondern auch bei den Menschen direkt. Das Modell der NÖ Mindestsicherung sieht zum Beispiel einen Deckel von EUR 1.500,- für BezieherInnen pro Haushalt vor. Die Deckelung gilt auch für alleinstehende, aber in Wohnungen zusammenlebende Personen.
In der Praxis heißt das zum Beispiel: Wohnen zwei Erwerbstätige und eine Mindestsicherungsbezieherin in einem Haushalt und die beiden Erwerbstätigen verdienen zusammen mindestens 1.500 Euro, bekommt die Mindestsicherungsbezieherin Null Euro Mindestsicherung, weil der Deckel für diesen Haushalt schon erreicht ist.
Absurde Folgen
Das gilt auch, wenn es sich um eine WG handelt, in der die BewohnerInnen nicht sonderlich viel miteinander zu tun haben. All das, weil „wer arbeitet, nicht der Dumme“ sein dürfe. In den letzten Jahren häuften sich absurde Vorfälle:
Gernot T. hat als Angestellter 31 Jahre lang gearbeitet und Beiträge eingezahlt, war dann als Unternehmer im Ausland und hat daher die letzten Jahre nicht durchgängig in Österreich gelebt. Jetzt bekommt er nur 572,50 Euro. Die Kremserin Maria S. bekommt monatlich ganze 226 Euro Mindestsicherung, weil sie in einer Krisen-WG lebt und dort der Deckel von 1.500 Euro gilt.
Die Regelung, die für die ÖVP-FPÖ-Regierung als Vorbild für ganz Österreich gilt, führt zu derart absurden Auswüchsen, dass sogar eine 84-jährige Hornerin per Brief der Gemeinde zum Arbeitseinsatz aufgefordert wurde.
Die Einsparungen durch die Änderungen bei der Mindestsicherung sind mit 5 Millionen Euro minimal, sie werden wohl schon allein von den zusätzlichen Kosten für die Administration der Ausnahmeregelungen aufgefressen. Dennoch: Bedürftige sollen zu AlmosenempfängerInnen gemacht werden. Denn in der Welt der ÖVP ist offenbar jenen, die arbeiten, geholfen, wenn es anderen noch schlechter geht.
Geldverschleuderung
Während man den Ärmsten der Armen den letzten Groschen aus der Tasche zieht, obwohl es das Budget nicht einmal im Ansatz aufbessert, verpulvert die Landes-ÖVP gleichzeitig das Geld für Prestigeprojekte, wo es nur geht.
Ob es um die Landesgartenschau Tulln geht, wo eine Kostenexplosion von geplanten 5 auf 21 Millionen Euro stattgefunden hat, oder um den Umbau des Schlosses Grafenegg, der mit 25 Millionen doppelt so viel gekostet hat als veranschlagt wurde.
Schwarzes Machtkartell
Dies alles geht der ÖVP NÖ durch, weil es neben der völligen Abwesenheit kritischer Medien im Bundesland auch noch ein enges Machtnetzwerk gibt, das die NÖ Bevölkerung in Geiselhaft hält. So sind etwa Landwirtinnen und Landwirte in einem engen Netz von Abhängigkeiten und Zwängen gefangen, das von der Mitgliedschaft im ÖVP Bauernbund bis hin zum Monopol Raiffeisenbank und all ihren Tochterfirmen in der Agrar- und Verarbeitungsindustrie reicht.
Nur so ist es möglich, dass jahrelang erfolgreich Politik gegen die Interessen der Agrarbevölkerung betrieben werden kann (siehe CETA, TTIP usw.). Aber auch auf die Restbevölkerung wird Druck ausgeübt: Nirgendwo sonst in Österreich spielt Parteibuchwirtschaft noch eine derart dominante Rolle. Von der Stelle als Kindergärtnerin oder Bankangestellte bis zur Schuldirektorin oder zum Beschäftigten im Landesdienst – wer das falsche Parteibuch besitzt, hat beruflich schlechte Karten.
Raus aus dem NÖ-andertal
Bleibt zu hoffen, dass es nach den nächsten Landtagswahlen mit dem demokratiepolitischen NÖ-andertal vorbei ist und demokratische Mindeststandards in Niederösterreich Einzug halten. Die fetten ÖVP-Jahre des Abkassierens und Geldverpulverns bei Landesausstellungen oder Prestigeprojekten, während bei den Bürgerinnen und Bürgern eisern gespart wird, sollten schön langsam der Vergangenheit angehören.