Nicht die EZB, die Kürzungspolitik ist das Problem

Die EZB pumpt eine kaum vorstellbare Summe in den Bankensektor, um die Eurozone aus der Krise zu ziehen, und wird damit scheitern. Um die Lage wirklich zu verbessern, müsste sie die Finanzmärkte umgehen – und die Staaten direkt finanzieren.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat diese Woche beschlossen, in großem Stil Staatsanleihen zu kaufen („Quantitative Easing“). Der Entscheidung ist eine hitzige Debatte vorausgegangen, in der vor allem deutsche Ökonom_innen Skepsis und Empörung verbreitet haben. Oft wird dabei kritisiert, dass damit die Grenze zur „verbotenen Staatsfinanzierung“ überschritten wird. Sie sei gefährlich, weil Regierungen dadurch weniger Druck verspüren, „notwendige Reformen“ durchzuführen. Manche bemühen gar die Gefahr einer Hyperinflation, um vor Ankäufen von Staatsanleihen zu warnen. Diese Argumente sind falsch und irreführend. Sie sollen eine Maßnahme dämonisieren, die den Druck auf Staaten etwas reduziert, damit diese weiter neoliberale Reformen durchführen. Das eigentliche Problem ist vielmehr, dass das EZB-Programm wenig dazu beitragen wird, die Krise zu lösen. Ihre Ursachen sitzen tiefer und sind durch Geldpolitik allein nicht zu beseitigen.

Hilfe für alle – außer Griechenland

Das neue Programm der EZB sieht vor, dass zwischen März 2015 und September 2016 jedes Monat Wertpapiere im Ausmaß von 60 Mrd. Euro gekauft werden. Dieses Volumen umfasst sowohl private als auch staatliche Anleihen, wobei der Großteil jedoch auf letztere entfallen dürfte. In Summe würde das 1,14 Billionen Euro ergeben, das sind ungefähr 1/6 aller im Euroraum ausgegebenen Staatsanleihen. Angekauft werden sollen die Anleihen aller Euro-Staaten. Ausgerechnet für Griechenland und andere Länder mit sogenannten „Hilfsprogrammen“ gelten jedoch andere Regeln. Nur wenn sie sich zu neuen Reformen verpflichten, gelten ihre Anleihen als ankaufwürdig. Mit dieser Klausel wird Druck auf jene Staaten ausgeübt, in denen weitere unsoziale Maßnahmen demokratisch nicht mehr durchsetzbar wären.

Die EZB kann die Wirtschaft nicht in Gang bringen

Von ihrem Ankaufprogramm erwartet sich die EZB, dass die Zinsen weiter sinken und dadurch mehr Kredite an private Unternehmen und Haushalte vergeben werden. Darüber hinaus soll es zu einer weiteren Abwertung des Euro gegenüber anderen Währungen führen, und so die Exportwirtschaft fördern. Beides soll die schleppende Konjunktur wieder in Gang bringen. Ob diese Effekte eintreten, ist jedoch mehr als zweifelhaft: Die Zinsen sind bereits so niedrig wie noch nie. Die Nachfrage nach Krediten ist dennoch schwach, weil Unternehmen und Haushalte eher versuchen, Schulden abzubauen, als neue kreditfinanzierte Ausgaben zu tätigen. Der Euro-Wechselkurs hat in Erwartung der EZB-Entscheidung schon nachgegeben und dürfte die Konjunktur tatsächlich etwas unterstützen; eine dauerhafte Lösung der Krise stellen immer höhere Exporte allerdings keine dar. Der Euroraum verzeichnet schon jetzt einen Leistungsbilanzüberschuss, d.h. die übrige Welt trägt mehr zu seinem Wachstum bei als die Länder der Währungsunion zur Weltwirtschaft.

Die wahre Krisenwurzel: Austeritätspolitik

Die Wurzeln der Krise im Euroraum liegen woanders: Schuld sind vor allem eine chronisch schwache Inlandsnachfrage und die Wirtschaftspolitik. Die immer ungleicher werdende Einkommensverteilung bewirkt, dass die Konsumausgaben gedämpft bleiben. Aufgrund der fehlenden Absatzmöglichkeiten investieren auch die Unternehmen wenig. Darüber hinaus hat das starke Wachstum des Finanzsektors in den letzten 30 Jahren dazu geführt, dass Finanzinvestitionen oft profitabler sind als reale Investitionen. Vor der Krise wurde die schwache Einkommensentwicklung in vielen Ländern (insbesondere in Südeuropa) durch übermäßiges Kreditwachstum ausgeglichen. Der dortige Boom der Inlandsnachfrage führte zu hohen privaten Schulden und zu einer Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland. Das belastet nun die Wirtschaft in diesen Ländern zusätzlich.

Die Wirtschaftspolitik hat auf die Krise mit einer Verschärfung der Budgetregeln reagiert. Mit großer Unterstützung der Mainstream-Ökonom_innen wurde die Krise zu einer „Staatsschuldenkrise“ erklärt, deren Wurzel die Verschwendungssucht der Regierungen sei. Alle Länder werden daher gezwungen, gleichzeitig zu sparen – je tiefer die Krise, umso mehr. Die sogenannten „Hilfsprogramme“ für Südeuropa waren mit „Strukturreformen“ verbunden: Einschnitte in die öffentliche Beschäftigung, Arbeitnehmer_innenrechte und Sozialausgaben. Als Folge brach die Nachfrage ein, und Arbeitslosigkeit und Armut stiegen dramatisch an.

Die EZB sollte Staaten direkt finanzieren

Die EU-Kommission und die Regierungen der EU-Länder haben aus diesem Desaster allerdings nichts gelernt. Sie halten unverändert an ihrer Sparpolitik fest und verlassen sich darauf, dass die EZB und die genannten „Strukturreformen“ die Krise lösen. Bleibt nur die Geldpolitik – doch die hat mit dem Ankauf von Staatsanleihen endgültig ihr letztes Pulver verschossen. Ohne zusätzliche öffentliche Ausgaben wird auch dieses Programm seine Wirkung verfehlen. Zudem profitiert davon in erster Linie der Finanzsektor. Die EZB kauft den Banken Anleihen ab und hofft, dass diese das Geld an die Realwirtschaft weitergeben. Sinnvoller und effektiver wäre es, das Geld direkt den Staaten zu überlassen, damit diese dringend notwendige Investitionen durchführen. Höhere Ausgaben, finanziert von der EZB, schaffen unmittelbar neue Nachfrage, ohne die Gefahr einer neuen „Staatsschuldenkrise“ zu erhöhen. Dies müsste gerade für die Krisenländer gelten, ohne dass sie gleichzeitig gezwungen werden, weitere Einschnitte durchzuführen.

Inflationspanik ist absurd

Absurd sind in der aktuellen Situation die Warnungen, dass das Ankaufprogramm der EZB inflationstreibend sei. Mehr Geld führt nicht zwangsläufig zu höheren Preisen, wie oft behauptet wird. Ist die Nachfrage schwach, dann sinken die Löhne und Preise eher. Erst wenn die Konjunktur wieder in Schwung kommt und die Arbeitslosigkeit abgebaut wird, steigt die Inflation. Im Moment droht der Euroraum vielmehr in eine Deflation mit sinkenden Preisen abzurutschen, was die Krise wie in den 1930er-Jahren vertiefen und verlängern würde. Das Programm der EZB ist ein letzter verzweifelter Versuch, sich dagegen zu stemmen. Die EU-Regierungen sollten nicht erst das Scheitern der Zentralbank abwarten, sondern sofort einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik einleiten. Angesichts der Ideologie und Kräfteverhältnisse in der EU stehen die Chancen dafür jedoch schlecht. Damit wird aber auch die Krise im Euroraum weiter anhalten.

Stefan Ederer ist Ökonom in Wien

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