Nach dem letzten Gefecht

Der neoliberale Kapitalismus als einzig vorstellbare Gesellschaftsordnung hat nicht nur die Gegenwart im Würgegriff – auch die Zukunft erscheint als bereits vereinnahmt. Die Konferenz „Monopol auf Morgen“  geht dem oft beschriebenen Verlust alternativer Zukunftserzählungen nach und fragt, was nach dem Ende der Geschichte kommt.
Von Lukas Franke

„Am Ende des Jahrhunderts das in die Zukunft vertraute, hat die Utopie das Königreich der Dystopie geboren.” (Übersetzung Red.) schrieb der italienische Theoretiker Franco „Bifo“ Berardi in seinem 2011 erschienen Buch „After the future“ und brachte damit ein im grenzen- und alternativlosen Kapitalismus immer stärker verbreitetes Gefühl auf den Punkt: Der Verlust der Zukunft, mindestens aber der Verlust der Vorstellung von einer besseren Zukunft. Was nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Osteuropa und dem damit verbundenen Wegfall der Systemkonkurrenz von liberalen Autoren wie etwa Francis Fukuyama euphorisch als „Ende der Geschichte“, als endgültiger Triumph der Verbindung von bürgerlich-repräsentativer Demokratie und liberalem Kapitalismus abgefeiert wurde, scheint sich in den letzten Jahren in ein Schreckensszenario verwandelt zu haben. Zwar würde heute niemand mehr einem Ende der Geschichte das Wort reden, doch die Zukunft scheint von der spätkapitalistischen Gegenwart geradezu verschluckt worden zu sein. Während der Verlauf der Geschichte bis in das Jahr 2015 durchaus anders denkbar scheint und die Gegenwart so noch einen Rest kontingenter Offenheit bewahrt, scheint die Zukunft bereits vorbestimmt. „Es fällt leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“ beschreibt der amerikanische Kritiker der Postmoderne Fredric Jameson diesen Zustand empfundener Alternativlosigkeit.

Die Zukunft als Ware

So weit ist die Zukunft kolonisiert, dass sie zu einer Ware geworden ist, mit der an den Aktienmärkten der Welt spekuliert wird. Jedes Wertpapier ist eine Wette auf zukünftige Wertschöpfung, jeder Kredit eine Verpflichtung, die in der Zukunft eingelöst werden muss. Die dem Kapitalismus innewohnende Tendenz zur stetigen Ausdehnung ist im Begriff, noch die letzten Sphären menschlichen Lebens der Logik der Verwertung zu unterwerfen und macht dabei auch vor der Zukunft nicht halt. „Kapitalistischen Realismus“ nennt der britische Poptheoretiker Mark Fisher diesen Totalitarismus der Gegenwart, in dem die Zukunft verkauft und gewissermaßen mit der Gegenwart verschmolzen wird. Die alternativlose Gegenwart lässt nur ein „more of the same“ zu, in dem Konsum an die Stelle von Emanzipation und Wachstum an die Stelle von Befreiung tritt. Dabei tritt dieser neoliberale Totalitarismus mit einer freiheitlichen Oberfläche auf, die Offenheit suggeriert und zugleich mögliche Gegenbewegungen im Keim erstickt – und zwar nicht, in dem sie bekämpft sondern in dem sie vereinnahmt werden. Krisen wie etwa die aktuelle Finanzkrise oder auch die apokalyptische Bedrohung durch den Klimawandel bewirken keinesfalls einen Paradigmenwechsel, sie scheinen vielmehr die Dynamik des Systems weiter anzutreiben. Die politischen Akteure halten indes unbeirrt an ihrer Ideologie immer weiterer Deregulierung und Privatisierung fest. Neues, Befreiendes scheint schlechterdings undenkbar zu sein. Das einzige was bleibt ist die verstetigte multiple Krise, die unausweichlich in einer multiplen Katastrophe enden muss und verbreitet zu kollektiver Depression führt. Das Ende der Geschichte offenbart sich nicht als Paradies sondern als banaler Horrer eines totalitären Kapitalismus.

Überwindung der Kapitalherrschaft

Doch so eindeutig, wie sie in Momenten kapitalistisch-realistischer Depression zu sein scheint, ist die Situation nicht. Zwar fällt es schwer, in den weltweiten Protesten von Occupy bis Gezi die Vorboten wirkmächtiger Massenbewegung gegen den totalitären Kapitalismus zu erkennen und auch auf theoretischer Ebene ist kein großer neuer Gesellschaftsentwurf sichtbar. Doch steht der zunehmenden Krisenhaftigkeit und Instabilität der kapitalistischen Ordnung hochentwickelte Technologie gegenüber, die anstatt zur weiteren Beschleunigung des aktuellen Systems ebenso gut zu seiner Überwindung genutzt werden könnte.

Weil die Welt noch nie so vernetzt war wie heute, erscheint eine globale Öffentlichkeit und in der Folge eine Weltgesellschaft in greifbarer Nähe. Weil die industrielle Produktion ungeahnte Effizienz erreicht hat, ist eine Welt ohne die Knechtschaft der Erwerbsarbeit besser denkbar denn je. Weil viele Länder der so genannten Dritten Welt selbstbewusster werden, ist die Hegemonie des Westens auf dem Rückzug. Nicht zuletzt lehrt auch die historische Erfahrung, dass als bleiern empfundene Zeiten selten so auswegslos sind, wie sie im jeweiligen Moment erscheinen.

Wenngleich es schwer vorstellbar bleibt, dass die Überwindung der gegenwärtigen Kapitalherrschaft nicht auf massive Gegenwehr treffen würde. Das letzte Gefecht scheint noch nicht geschlagen.

Lukas Franke ist Initiator eine Konferenz zum Thema am Wiener Theater WERK X, die an diesem Wochenende stattfindet. Er lebt und arbeitet als freier Autor und Dramaturg in Berlin und Wien

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