Mi smo še vedno tu, tu, tu! – Wir sind noch immer hier!

Demonstrierende mit einem Banner auf dem Minderheitenstreik

Anlässlich des 70. Jahrestags der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags fand in Wien der Minderheiten Štrajk statt. Ana Grilc berichtet von den Forderungen der Demonstrierenden und den Versäumnissen der Österreichischen Politik.

Drei Meter groß, Papiermachekörper, mit waldgrünem Umhang, Dreigipfelkappe und rotem Stern. So geistert sie vor dem Bundeskanzleramt herum – die Partisanin Mira. 70 Jahre nach der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages (ÖSV) und damit auch von Artikel 7, der den slowenischen und kroatischen Volksgruppen ihre Rechte zuspricht. Jetzt muss sie sich erneut erheben, um für die Verbesserung der Minderheitenrechte in Österreich zu kämpfen. Doch auch diesmal tut sie es nicht allein.

Štrajk – Streik – Strike!

Rund 400 Demonstrierende versammelten sich am 15. Mai vor dem Bundeskanzleramt, um unter dem Banner des Minderheiten Štrajks auf die Straße zu gehen. Organisiert wurde die Demonstration von den Studierendenklubs der slowenischen und kroatischen Volksgruppen – dem Klub slovenskih študentk*študentov na Dunaju (KSŠŠD) und dem Hrvatski akademski klub (HAK). Anlässlich des 70. Jubiläums des ÖSV arbeiten die Klubs am Projekt Čl_n 7, das den Artikel 7 neu denken und den Kampf der Volksgruppen und Minderheiten um ihre Rechte wieder zu einem breiten gesellschaftlichen Thema machen soll. Im Rahmen des Projektes haben sie bereits eine Veranstaltungsreihe durchgeführt, eine Broschüre und eine Wanderausstellung sind in Arbeit und 2026 soll ein Symposium zum Thema »Minderheitenbildung« stattfinden. Aber zunächst geht man auf die Straße – österreichweit.

Die Mehrheit ist eine Minderheit

Den Auftakt machte die Wiener Demo. Im Vorfeld hatten sich die burgenland-kroatischen und kärntner-slowenischen Studierenden mit zahlreichen Organisationen anderer Minderheiten, Volksgruppen und der solidarischen Mehrheitsbevölkerung vernetzt. Schließlich sollte es ein Minderheiten Štrajk werden, der den Fokus auf den gemeinsamen Kampf, die Solidarität und minoritäre Allianzen legt. Jede Minderheit hat ihre eigenen Problematiken, doch Marginalisierung und Diskriminierung treffen alle. Am Tag-X lauschten die Demonstrierenden 14 Redenbeiträgen von Vertreter*innen der Volksgruppen der Ungar*innen, Rom*nja, Kroat*innen und Slowen*innen, der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, der Jüd*innen, der queeren Kurd*innen, sowie der Vereine Standing Together Vienna, Initiative Minderheiten und Initiative Antifaschistisches Gedenken. In ihrer Rede meinte die Burgenlandungarin Liza Hausmann-Farkas: „Wir wissen, was es heißt, um Sichtbarkeit, um Schulen, um Medien, um den Platz in dieser Gesellschaft zu kämpfen. Und wir sagen: Volksgruppenrechte sind keine Sonderrechte. Sie sind Menschenrechte!“.

Der Grundton der Demo ist schnell gegeben. Das Call-and-Response-Spiel von „Ich sag Österreich, ihr sagt…“ „Fail!“ funktionierte tadellos – vor allem vor dem Parlament. Der Kinderblock, bei dem unter anderem der burgenland-kroatische Kindergarten Viverica stark vertreten ist, skandierte lautstark: „Viverica, naša pravica!“ („Viverica, unser Recht!“). Mit den Worten „Abrakadabra, večjezična tabla!“ zauberten sie mehrsprachige Ortstafeln herbei. Auf dem Minderheiten Štrajk versammelten sich junge und ältere Generationen, um dem Hohen Haus alte und neue Forderungen entgegenzuschreien.

Wir fordern: Das Minimum

Forderungen gibt es nicht zu wenige. Denn neben der weiterhin ausstehenden vollständigen Umsetzung des Artikel 7 haben Volksgruppen in Österreich heute auch andere Bedürfnisse. Schließlich kann sich in 70 Jahren doch einiges ändern. Neben den historisch gewachsenen Siedlungsgebieten der Volksgruppen – also Südkärnten/Južna Koroška und Burgenland/Gradišće – leben die Burgenlandkroat*innen und Kärntner Slowen*innen heute auch in urbanen Zentren. Dort haben sie jedoch aktuell keine Möglichkeit die ihnen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Dies stellt vor allem für junge Familien eine große Herausforderung dar. Denn ihre Kinder haben kaum oder keine Möglichkeit ihre Erstsprache in der Krippe, Volks- oder Mittelschule bzw. im Gymnasium zu sprechen oder zu erlernen. So wird die Sprache in den privaten Raum gesperrt und zu einer “Geheimsprache” degradiert.

Seit der Unterzeichnung des Artikel 7 hat sich etwas weiteres geändert: Die Sprecher*innenzahlen befinden sich im Sturzflug. Die slowenischen Idiome und das Burgenlandkroatische verschwinden langsam aus der Öffentlichkeit, den Heimen und den Mündern. Was es also braucht, ist die Absicherung und Digitalisierung dieser Sprachen, eine minderheitenfreundliche Reform des Volksgruppengesetzes – jenes Gesetzes, welches den Artikel 7 nutzbar machen soll -, die Ausweitung des Artikel 7 auf alle Volkgruppen und die Anerkennung weiterer Volksgruppen. Denn so traurig es klingt, die Burgenlandkroat*innen und Kärntner Slowen*innen sind durch ihren Status als Volksgruppen und ihre Nennung im Staatsvertrag privilegiert. Andere Minderheiten genießen nicht einmal den Anspruch auf diese Rechte.

Stari*a, hör zu!

Über den Ring führte der Minderheiten Štrajk zum Schillerplatz – dorthin, wo jedes Jahr das Gedenken an den armenischen Genozid stattfindet. Die dortige Büste wird prompt mit Bannern ausgestattet, während sich die Menge um die sechs mal drei Meter große Bühne versammelt. Denn der Tag ist noch nicht zu Ende: Für 70 Jahre sollte zumindest eine siebenstündige Demonstration doch drin sein! Das Programm am Platz wird von Dominik Krištof und Mira Gabriel ,den Redner*innen des KSŠŠD, eröffnet. Dominik Krištof sagt in seiner Rede: „Wir fordern den Artikel 7 des Staatsvertrags von Wien nicht nur umzusetzen, sondern ihn weiterzudenken und auf alle Minderheitengruppen auszuweiten! Denn viele Sprachen, Kulturen, und Identitäten werden noch immer unterdrückt, reglementiert, überwacht – von einem System, das über sie entscheidet, ohne ihnen zuzuhören.“ Doch an diesem Tag hört man zu – und nicht nur den Redner*innen sondern auch den Minderheitenbands. Dem Demo-Festival-Hybrid gaben nämlich die kärntner-slowenische Gruppe Bališ, die burgenland-kroatischen Bands Bruji, Kacavida und Basbaritenori und die Punk-Bands Makeshift-Concept und Ubahn Pudding seinen Sound. Inklusive Minderheiten-Moshpit.

Nach der Demo ist vor der Demo

Um Punkt 22 Uhr schließen die Demonstrant*innen die Veranstaltung mit dem Ruf „Člen 7 – pravica naša“ („Artikel 7 – Unser Recht!“) in Richtung Belvedere ab. Die Bühne wird abgebaut und bis zur nächsten Demo am 10. Oktober 2025 in Klagenfurt in die Obhut des Technikers Erwin übergeben. Das Organisationsteam schwankt zwischen Erschöpfung, Ethno-Stress und Euphorie. Denn zwar waren Leute gekommen, aber hauptsächlich Minderheitenangehörige. Die Mehrheitsbevölkerung hatte größtenteils durch Abwesenheit geglänzt. Auch die Medien waren gekommen – aber wieder nur die Volksgruppenmedien. Man ist enttäuscht, aber nicht überrascht.

Während Minderheitenangehörige ständig mit ihrem Status als marginalisierte Gruppe konfrontiert werden, kann die Mehrheitsbevölkerung sich leicht aus der Verantwortung ziehen. Dabei geht es uns alle etwas an. In einer Zeit des weltweiten Rechtsrucks sind Minderheiten die Seismographen der Gesellschaft. Werden ihre Rechte beschnitten, verschwinden ihre Sprachen, wird gegen sie gehetzt, so wackelt das Fundament der Demokratie. Sie sollten diese Funktion nicht erfüllen müssen. Einer solidarischen Gesellschaft sollte es reichen, dass in ihrer Mitte seit Jahrhunderten Unrecht geschieht. Die Leute sollten wissen, dass ihre Apathie Mitschuld bedeutet. Denn heute und immer gilt: Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!

Foto: Alexander Wallner

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